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REPORTAGE

Verica Stojić: Die Geschichte einer Balkan-Powerfrau

Verica ist von Liebe und Aufmerksamkeit umgeben. Ihre größte Freude sind seit dem ersten Tag ihre Enkelsöhne Leonardo (rechts) und Eduardo (links). (FOTO: KOSMO)

Weil sie es gewohnt war, stärker zu sein als all die Unbilden, die das Leben für sie bereithielt, verschob Verica Stojić ihren Besuch im Krankenhaus und arbeitete noch zwei Wochen weiter, ohne zu ahnen, dass ihr Körper von einer tückischen Krankheit befallen sein könnte.
„Als ich endlich mit meinem Sohn zur Untersuchung ins Krankenhaus ging, war ich ungeduldig, das alles so schnell wie möglich abzuschließen. Ich wartete lange, bis man mich zum Gespräch mit dem Professor hereinrief, und der sagte mir dann ohne jede Vorbereitung, dass ich ab diesem Tag seine Patientin sein würde, denn ich hätte Blutkrebs. Ich schaute ihn verwundert an und bat ihn, mir zu wiederholen, was ich hätte. Er erklärte, es handele sich um eine akute myeloische Leukämie. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und wiederholte, dass es nicht sein könne, dass ich eine so schreckliche Krankheit hätte. Aber der Arzt war unerbittlich und ließ mir keinen Raum zur Hoffnung, dass es sich um einen Fehler handelte, denn er fügte hinzu, dass ich sofort mit der Therapie beginnen müsse. Ich versuchte, meine Aufnahme im Krankenhaus hinauszuzögern und wiederholte, dass ich erst abwarten müsse, bis meine Schwiegertochter in zehn Tagen ihr Kind bekäme. Aber der Professor überzeugte mich mit den Worten, dass ich, wenn die Behandlung nicht sofort beginnen würde, mein Enkelkind vielleicht niemals sehen könnte. Erst da begann ich zu weinen und Angst zu empfinden. Ich wurde sofort zur Chemotherapie aufgenommen, die in mehreren Zyklen sechs Monate andauerte. Natürlich habe ich meine Haare verloren und mich schlecht gefühlt, obwohl mir meine Hausärztin Präparate gab, mit denen ich die Therapie leichter und mit weniger Nebenwirkungen vertrug.“ Man gewinnt den Eindruck, dass unsere Gesprächspartnerin das schmerzhafte Thema ihrer ruinierten Gesundheit möglichst schnell beenden möchte.

Aus dem schweren Kampf mit ungewissem Ausgang ist die mutige Frau als Siegerin hervorgegangen.
„Nach einem halben Jahr des Leidens wurde mir gesagt, dass die Symptome der Leukämie verschwunden seien. Ich gehe aber weiterhin alle drei Monate zur Kontrolle. Mir wird Knochenmark entnommen und überprüft, ob sich erneut bösartige Zellen gebildet haben. Bisher ist das nicht der Fall, aber erst nach drei Jahren werde ich sagen können, dass ich wieder gesund bin. Ich muss betonen, dass ich während der ganzen Therapie enorme Unterstützung und Hilfe von meinen Kindern hatte. Sie waren bei mir und ließen nicht zu, dass ich mich aufgab. Sie umgaben mich mit Liebe und Aufmerksamkeit, und meine größte Freude waren meine Enkelsöhne Leonardo (5) und Eduardo (2). Die Firma ist gut gelaufen. Ich habe von meinen Söhnen gefordert, dass sie mir jeden Tag berichten, was sich dort tut. Wenn ich einige Tage zu Hause war, habe ich sofort die Dokumente durchgesehen und alles kontrolliert. Die Kinder wollten nicht, dass ich mich anstrenge, aber sie wussten, dass ich es mir nicht nehmen lassen würde, mich um die Firma zu kümmern, sobald ich wieder die Kraft dazu hätte“, erzählt die stolze Mutter, die ihre Enkel die ganze Zeit zärtlich umarmt und auf den Kopf küsst, lachend.

Ohne zu klagen akzeptierte sie die Doppelbelastung – dass LKW-Fahren fällt ihr leichter als das Autofahren. (FOTO: KOSMO)

Hinter das Steuer ihres LKWs kehrte Verica ein Jahr nach dem Beginn ihrer Leukämietherapie zurück.
„Ich konnte nicht sofort wieder mit voller Kraft arbeiten, denn ich war noch schwach, aber sobald ich auf die Baustelle kam und mich hinter das Steuer meines Wagens setzte, ging es mir besser. Erst da war ich sicher, dass ich aus dieser schweren Erfahrung als Siegerin hervorgegangen bin. Es stimmt, dass ich jetzt nicht so viel arbeite wie früher. Ich verbringe mehr Zeit zu Hause mit den Enkelkindern, aber ich habe nie daran gedacht, nach der Krankheit ganz auf das Arbeiten zu verzichten. Ich habe mir meinen Optimismus bewahrt und glaube, dass das Leben schön ist, solange wir in der Lage sind, es uns schön zu machen. Ich habe begriffen, dass man weitermachen muss, egal, mit welchen Problemen wir konfrontiert sind und wie schwer es uns manchmal fällt. Wenn ich heute zurückblicke, weiß ich, dass ich viel erreicht habe, vor allem, wenn es um meine Familie geht, aber auch in materieller Hinsicht. Ich habe viel gearbeitet und alles gegeben, und das mache ich auch weiterhin, aber zum Glück weiß ich, für wen ich das tue. Meine Enkel sind für mich der Sinn meines Lebens. Nichts ist mit ihren Umarmungen vergleichbar. Die Probleme haben mich stärker und widerstandsfähiger gemacht. Die Zeit meiner Krankheit hat mir gezeigt, wir sehr meine Kinder mit mir verbunden sind, und dabei denke ich an meine Söhne und an meine Schwiegertochter Slobodanka“, betont die Mama, Schwiegermutter und Oma voller Liebe. Sie gibt aber zu, dass sie bisweilen auch streng ist mit ihrer Familie, alle auf eventuelle Versäumnisse hinweist und mit elterlicher Autorität sagt, was wie getan werden muss.

HARMONIE:
In der Familie Stojić fällt als erstes die Liebe ins Auge, die fast mit Händen greifbar scheint, wenn die Familienmitglieder sich einander zuwenden. Wenn Vericas Stimme zittert, umarmen und küssen sie die Söhne liebevoll und die Schwiegertochter kommt mit Taschentüchern gelaufen und ermuntert die Schwiegermutter mit ihrem fröhlichen Lächeln. Silver und Brandon haben uns leise anvertraut, dass es für die Mutter nach dem Tod des Vaters sehr schwer war und dass sie uns nur ein winziges Teilchen der Schrecken erzählt hat, die sie im Kampf gegen die Leukämie durchgemacht hat. Sie betonen, dass die Mutter sowohl zu Hause wie auch in der Arbeit ihr großes Vorbild ist. Sie hat die Arbeit im kleinen Finger und meint es immer gut. Die Schwiegertochter Slobodanka bestätigt das mit der Feststellung, dass ihre Beziehung zur Schwiegermutter unwahrscheinlich gut ist, weil Verica so ein enormes Herz hat.

Auf die Frage, was ihr heute, nach allem, im Leben am wichtigsten ist, sagt Verica Stojić, ohne nachzudenken:
„Dass meine Familie gesund und glücklich ist und dass ich gesund bin und arbeiten kann. Ich kann mir für mich keine andere Arbeit vorstellen und ich plane, hinter dem Steuer meines LKWs zu bleiben, bis ich ins Pensionsalter komme und vielleicht sogar noch länger. Wir haben heute zehn LKWs, man muss die Firma wie ein Familienunternehmen führen und ich möchte, dass meine Enkel alles haben, was sie sich wünschen.“

„Ich habe den Arzt ungläubig angeschaut, als er mir sagte, ich hätte eine akute myeloische Leukämie.“

Leukämie
Als Siniša Mihajlović, ein ehemaliger Fußballstar und Trainer des italienischen Clubs „Bologna“ im vergangenen Jahr erklärte, dass bei ihm Leukämie diagnostiziert worden war, waren die Fußballfans schockiert. In den folgenden Monaten verfolgten viele Menschen die Therapie des legendären Miho, litten mit ihm und erfuhren dabei viel über diese bösartige Erkrankung, die, vereinfacht gesagt, ein Krebs des Bluts und des Knochenmarks ist.

Es gibt mehrere Typen von Leukämie, aber die grundsätzlich Einteilung verläuft zwischen der chronischen, mit der ein Patient mehrere Jahre kämpfen kann, und der akuten, die schnell fortschreitet und oft auch schnell tragisch endet, wenn man nicht schnell reagiert und mit der Behandlung beginnt. Zur Freude der Fußballfans besiegte Mihajlović die Leukämie und kehrte auf die Trainerbank seines Clubs zurück, ebenso wie auch unsere Verica hinter das Steuer ihres LKWs zurückgekehrt ist. Es ist jedoch gut, sich als Warnung die Symptome der akuten Form dieser schweren Erkrankung in Erinnerung zu rufen: Müdigkeit, Schwäche, erhöhte Körpertemperatur und häufige Infektionen, verstärkte Hämatombildung am Körper oder häufigeres Nasen- und Zahnfleischbluten. Die akute Leukämie muss behandelt werden, sobald sie erkannt wird, denn im Kampf um das Leben zählt jeder Tag. In den meisten Fällen unterzieht sich der Patient einer Chemotherapie bzw. einer Bestrahlung des zentralen Nervensystems und manchmal wird auch Knochenmark transplantiert.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.