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KOMMENTAR

Von Wien bis Zagreb: Wer steckt hinter den Anti-Corona-Demos?

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Anti-Corona-Demos in Berlin, Zagreb und Wien: In der österreichischen Bundeshaupstadt zeriss Aktivistin Jenny Klaus die Regenbogenfahne. FOTO: zVg, FB

Corona hat uns nicht nur Masken, Abstandspflichten und eine verunsicherte Gesellschaft beschert.

Immer mehr zeichnet sich ab, dass Corona-Leugner und esoterische Verschwörungstheoretiker diese entstandene Unsicherheit und Angst in der Gesellschaft für ihre Zwecke politisch kapitalisieren wollen. Dabei finden sie Anschluss an Rechtspopulisten und deren politische Parteien und Netzwerke. In Österreich ging es sogar so weit, dass Heinz-Christian-Strache auf seiner Liste mehrere Kandidaten aus dem Wiener Demoumfeld auf der Liste seiner Partei hatte. Auch wenn diese unrühmlich – nach einem betrunkenen Video, in dem sie Bundeskanzler Sebastian Kurz beschimpften – abtreten mussten (KOSMO berichtete).

Reichsflaggen in Wien und Berlin
Gleichzeitig sorgte die Berliner Anti-Corona-Demo für internationales Aufsehen, aber vor allem für Entsetzen: Unzählige Reichsflaggen, die Schwarz-Reiß-Roten-Fahnen, wurden vor dem Brandenburger Tor geschwenkt. Von 1933 bis 1935 hat diese Fahne, stammend aus dem Deutschen Reich, auch Adolf Hitler verwendet. Heute ist diese Flagge zum Symbol der sogenannten Reichsbürger geworden. Das gleiche Bild zeigt sich aber auch in Wien: Auch bei den Wiener Anti-Corona-Demos waren rechtsextreme Aktivisten mit den gleichen Fahnen zu sehen und Menschen mit Transparenten wie „Heimatschutz statt Mundschutz“. Unter den TeilnehmerInnen waren ebenso bekannte Anhänger der Identitären Bewegung, die gerade im Anti-Corona-Pool neue Mitglieder zu generieren versuchen.

Angriff auf LGBTQ-Community
Welch Geistes Kinder und Weltbilder sich hinter dem „Kampf gegen die Corona-Panikmache“ vebergen, zeigt vielleicht am deutlichsten das Beispiel der Aktivistin Jenny Klaus, die in Wien die Regenbogenfahne auf der Bühne zerissen hat und dabei Homosexuelle mit Kinderschändern in den gleichen Topf warf. „Die Gleichsetzung von LGBTIQ mit Pädophilie ist als ein altes Diffamierungsmuster bekannt und wurde hier wohl nicht zufällig bedient“, ist sich die grüne Nationalratsabgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic bewusst. Sie rief gestern zu einer Gegenkundgebung, bei der sich 3.000 Menschen mit der LGBTIQ-Szene solidarisierten, darunter auch Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky sowie NEOS-Wien-Chef Christoph Wiederkehr.

Danke Wien für das großartige, bunte Zeichen für eine offene Gesellschaft ohne Hass & Hetze! ✊

Gepostet von Ewa Ernst-Dziedzic am Montag, 7. September 2020

Dass Teile des österreichischen dritten Lagers, die deutsche AFD und zahlreiche internationale rechtsextreme Organisationen federführende Rollen bei den Anti-Corona-Demos übernehmen, ist jedoch nicht nur kein Zufall, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern zu beobachten.

So ist auch in Kroatien die Anti-Corona-Bewegung mit den Rechtspopulisten mehr als nur gut vernetzt. Im Parlament bekommt sie Rückenwind von der „Heimatbewegung“ von Sänger Miroslav Škoro, die auf Anhieb bei den Parlamentswahlen in Kroatien 10,89 Prozent der Stimmen gewann und sich noch radikaler als die patriotische und herrschende HDZ gibt. Die Demo lockte viele prominente Gesichter und Redner aus der rechten Szene in Kroatien wie z.B. den sehr einflussreichen Journalisten Velimir Bujanec, dessen beliebte nationalistische TV-Sendung „Bujica“ oftmals – aufgrund des Verdachts der Verhetzung und Verleumdung – Gegenstand von Gerichtsverhandlungen war.

Dass dann bei solchen Demos neugebackene kroatische Xavier Naidoos wie Tony Cetinski auftauchen und die aufgeheizte Menge mit dem Spielen von patriotischen Hits in eine Art von Massenpsychose versetzen (siehe Video), zeigt welch gefährliche Entwicklungen uns erwarten können, wenn immer mehr Menschen das Vertrauen in die Politik und den Staat verlieren. Unter dem Deckmantel eines angeblichen Kampfes für die Freiheit jedes Einzelnen, versuchen hier rechte politische Strategen alle – nennen wir sie die „neuen Enttäuschten“ – abzuholen.

Spiel mit der Angst
Das ständige Spiel mit der Angst vor dem Fremden – die Angst vor Flüchtlingen, die Angst vor Ausländern, die Angst vor homosexuellen Ehen, usw. – ist schon lang an der Tagesordnung in Europa. Vor allem, wenn es darum geht, auf Stimmenfang zu gehen. Rechtspopulistische Pop-Stars wie Jörg Haider, Jean und Marine Le Pen, Geert Wilders oder Umberto Bossi haben mit ihren damals noch als Sensation geltenden Erfolgen bei Wahlen das Europa der letzten zwei bis drei Jahrzehnte geprägt. Diese Politik ist diejenige, die den Verängstigten noch mehr Angst, aber auch noch mehr Feindbilder gibt. Mittlerweile fischt sie Seite an Seite auch mit esotherischen und verschwörungstheoretischen Kreisen. Umso mehr sollte auch die österreichische Politik Antworten finden und genau hinter die Fassade dieser Bewegungen schauen. Die Anti-Corona-Bewegung ist genauso gefährlich wie homophobe und militante katholische Abtreibungsgegner oder islamistische Hassprediger.

Alle haben sie eines gemeinsam: Die Angst. So viel Angst, die sich gut verkaufen lässt.

* Die Meinung von Kolumnisten muss nicht mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. *