REPORTAGE

Warum kehren „unsere” Migranten auf den Balkan zurück?

Warum kehren „unsere” Migranten auf den Balkan zurück? (FOTO: iStock)

In den letzten drei Jahrzehnten haben ca. 4,5 Millionen Menschen den Balkan verlassen. Das entspräche einem Balkanstaat, der etwas bevölkerungsreicher ist als Kroatien! Auf der Suche nach einem besseren Leben kaufen jedes Jahr Zehntausende Menschen, vor allem junge und gebildete, ein Einwegticket, aber in den letzten Jahren wurde daraus doch oft eine Rückfahrkarte. KOSMO hat untersucht, warum „unsere“ Migranten auf den Balkan zurückkehren und wie sich ihr Leben dort entwickelt.

Die häufigste Frage, mit der sich Rückkehrer konfrontiert sehen und die Freunde und Bekannte fast im Chor stellen, wenn jemand in die durch den Zerfall Jugoslawiens entstandenen Staaten zurückkehrt, deren gesellschaftliche und politische Entwicklung auch nach 30 Jahren noch nicht das Niveau der westlichen Welt und vor allem der EU-Länder erreicht hat, ist: „Warum gehst du zurück, wenn doch alles gleich geblieben ist?”. Mit dem Leben „oben, jenseits der Grenze” verbinden wir ein besseres System, sichere Arbeit, sicheren Lohn, bessere Ausbildung und mehr Chancen, aber alle, die ihr Land für ein besseres Morgen verlassen haben, wissen, dass das Leben im Ausland sehr oft ein schwerer Brocken ist, den man manchmal einfach nicht stemmen kann.

Zurück in die Heimat
Dass mehr Menschen ständig oder zumindest vorübergehend im Ausland leben, als man sich vorstellt, hat die Schließung der Grenzen zu Beginn der Pandemie gezeigt, als ganze Kolonnen von Autos stundenlang auf die Einfahrt in ihr Herkunftsland warteten. Dennoch fehlt es an offiziellen Daten, wie viele Menschen in den letzten Jahren ausgewandert sind, aber auch, wie viele auf den Balkan zurückgekehrt sind, denn viele Migranten melden ihren Wohnsitz bei der Ausreise ins Ausland nicht ab, was den Behörden der Balkanstaaten die Registrierung der Auswanderer und Rückkehrer erschwert.
Eines der Probleme, unter dem alle Balkanstaaten fast chronisch leiden, ist die Wirtschaftsmigration vor allem junger und gebildeter Bevölkerungsgruppen, die meistens in Länder der Europäischen Union übersiedeln, nicht selten jedoch auch nach Übersee. Vor nur vier Jahren (2018) verließen 175.000 junge Menschen unter dreißig Jahren Serbien, und jeder fünfte Auswanderer war hochgebildet. Dennoch zeigen jüngere Untersuchungen neue und etwas andere Ergebnisse. Eine Untersuchung des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche, die den Zeitraum von 2015 bis 2019 umfasste, zeigt, dass in allen Altersgruppen eine positive Nettomigration besteht, wenn man die hochgebildeten Rückkehrer betrachtet.

Vor nur vier Jahren (2018) verließen 175.000 junge Menschen unter dreißig Jahren Serbien, und jeder fünfte Auswanderer war hochgebildet.

„Die Gründe und Motive für die Auswanderung und die Rückkehr sind oft dieselben. Karriere, Studium, Familie, die Verbindung zu Freunden und Verwandten führen in unterschiedlichem Lebensalter zu unterschiedlichen Zielen. Die Motivation für eine Rückkehr ist immer sehr komplex und steht in jedem Fall in einer Verbindung zur Herkunft, aber auch zu einigen anderen persönlichen Umständen und zu Chancen, die sich bieten”, sagt Uroš Živković von der Organisation „Tačka povratka”, die Rückkehrern unter anderem dabei hilft, sich wieder in die serbische Gesellschaft zu integrieren.

„Die Zahlen der zirkulierenden Personen werden auch immer höher, was nicht nur durch die Pandemie bedingt ist, sondern auch durch Veränderungen in der Arbeitswelt, die immer flexibler und ortsunabhängiger wird. Wenn man die Daten von 2010 und 2019 vergleicht, weisen die Statistiken von EUROSTAT ebenfalls darauf hin, dass zum Beispiel unseren Landsleuten immer weniger häufig ausländische Staatsbürgerschaften verliehen werden (in der Schweiz um das Fünffache, in Frankreich um das Vierfache und in Großbritannien um das Dreifache weniger), während in anderen Ländern wie Deutschland und Österreich in diesem Zeitraum zumindest kein großer Zuwachs verzeichnet wurde”, erkläret Živković.

Die Zahlen der zirkulierenden Personen werden auch immer höher, was nicht nur durch die Pandemie bedingt ist, sondern auch durch Veränderungen in der Arbeitswelt, die immer flexibler und ortsunabhängiger wird.

Uroš Živković

Das bereits erwähnte Wiener Institut kam im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass in Serbien ein Trend des Brain Gains zu verzeichnen ist, und zwar vor allem durch Studenten, die nach ihrer Ausbildung aus dem Ausland nach Serbien zurückkehren, oder durch die Zusiedlung ausländischer Studenten, die die Fertigkeiten und Kenntnisse in diesem Land bereichern. Auch wenn es auf den ersten Blick wie ein einfacher Schritt wirkt, bringt die Rückkehr aus dem Ausland in die Heimat viele Zweifel und Ängste mit sich und Rückkehrer plagen viele Fragen wie etwas die nach der erneuten Anmeldung eines Aufenthalts, der Beschaffung offizieller Dokumente und Ähnlichem.

„Eines der größten Hindernisse stellt für die junge Diaspora (vor allem für die zweite und dritte Generation) die Sprache dar, aber es gibt immer mehr hervorragende Programme, die man online durcharbeiten kann und die darauf abzielen, eine potentielle Reintegration in die Gesellschaft durch Annäherung an die serbische Sprache und Kultur zu unterstützen. Mit der e-Verwaltung haben sich viele Dinge verändert und viele administrative Verfahren wurden verkürzt und erleichtert und sind online zu erledigen, aber diese Neuigkeiten müssen sich in der Diaspora erst einmal herumsprechen. Um diese Hindernisse zu überbrücken, haben wir haben wir Führer für Rückkehrer entwickelt, die rechtliche Informationen zur Rückkehr vermitteln sollen“, erklärt man uns bei „Tačka povratka” und fügt hinzu, dass die Staaten derzeit neue Mechanismen entwickeln, um Rückkehrer wieder in die Gesellschaft zu integrieren.

„Neben der Unterstützung bei der Gründung innovativer Unternehmen bzw. der Gründung von Unternehmen, die eine innovative Tätigkeit betreiben, sind auch Steuererleichterungen für die Beschäftigung von Rückkehrern Teil des Förderpakets, das unseren Mitbürgern zur Verfügung steht. Denn unter bestimmten Bedingungen können Rückkehrer bei Steuern und Abgaben bis zu 70 % einsparen, was für die Arbeitgeber bedeutet, dass sie mit demselben Bruttobudget bessere Nettogehälter bieten und Kandidaten mit internationaler Erfahrung anwerben können.”

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Nachdem sie ihr Bachelorstudium an der Fakultät für Politikwissenschaften in Belgrad abgeschlossen hat, begann Aleksandra ihre journalistische Karriere bei der Tagespresse in Serbien, wo sie bis zu ihrem Master-Abschluss gearbeitet hat. Letztes Jahr verschlug es die wissbegierige Serbin schließlich nach Wien. Jetzt lebt sie ihre Leidenschaft für Journalismus als Redakteurin des KOSMO-Magazins aus. Stets professionell und mit viel Interesse, berichtet sie über aktuelle politische und gesellschaftliche Themen. In ihrer Freizeit liest die Politologin am liebsten ein Buch, oder entdeckt auf ihrem Fahrrad neue Orte in Wien.