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KOMMENTAR

26 Jahre nach „Oluja“: Die kroatisch-serbische Sackgasse

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Bilder aus dem August 1995: Der kroatische Staatspräsident Franjo Tuđman auf der zurückeroberten Festung der Stadt Knin, auf der anderen Seite hunderttausende Serben aus Kroatien auf der Flucht in der Kolonne. Foto: zVg

Heute wird in Kroatien der „Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit“ gefeiert.

Für das offizielle Kroatien ist dies einer der wichtigsten Nationalfeiertage. Zur gleichen Zeit werden in Serbien zahlreiche Trauerfeiern und Totengedenken abgehalten. Auslöser für Sieges- und Trauerfeiern auf der einen und auf der anderen Seite ist die Operation „Oluja“ (Sturm), mit der die kroatische Armee die von den Krajina-Serben besetzten Gebiete im Sommer 1995 zurückerobert hat. In den frühen Morgenstunden des 4. August startete die militärische Offensive, die sich auf einer 630 Kilometer langen Front erstreckte und bei der innerhalb von 85 Stunden der Großteil der besetzten Gebiete, fast ein Drittel des heutigen kroatischen Staatsgebietes, wieder unter die Kontrolle des Küstenlandes gebracht wurde.

Tiefpunkt kroatisch-serbischer Beziehungen
Die komplett gegensätzliche Wahrnehmung und national geprägte historische Deutung dieser militärischen Operation und ihrer Folgen in Serbien und Kroatien sorgt jedes Jahr für ein erneutes Aufflammen von Konflikten. Es ist zugleich, mittlerweile eigentlich schon traditionell, auch der Tag im Jahr, an dem die kroatisch-serbischen Beziehungen – sei es in öffentlichen Äußerungen von staatstragenden PolitikerInnen oder alleine schon in der Wortwahl der Berichterstattung – ihren jährlichen, absoluten Tiefpunkt erreichen.

Alles was man an kroatisch-serbischem Friedensdialog durch das ganze Jahr auf die Beine gebracht hat, all das wo man nach vorne geschritten ist und – ob individuell oder kollektiv – aufeinander zugegangen ist, wird an diesem Tag zunichte gemacht. Als sei man nie an einem gemeinsamen Tisch gesessen. Doch egal wo man steht, ob in der Belgrader Trauermesse oder bei der Siegesfeier in Knin, Fakt ist: An diesem Tag gewinnt auf beiden Seiten erneut die Teilung, an diesem Tag gewinnen die Positionen, die bereits im Krieg herrschten. Und nein, leider keineswegs der Dialog oder die Versöhnung.

Erinnerungskultur und Umgang mit Geschichte am Balkan: Kroatien feiert den „Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit“ und in Serbien haltet man gleichzeitig zahlreiche Trauerfeiern und Totengedenken ab. Foto: zVg

200.000 vertriebene Serben
Es sind zwei völlig gegensätzliche Ausganspunkte. In Serbien wird der Akzent darauf gesetzt, dass die Oluja die ethnische Säuberung zur Folge hatte und für 200.000 Serben den Exodus in Kroatien bedeutete. Dass die Operation Sturm für die serbische Minderheit in Kroatien das völlige Ende bedeutete, dass hier Menschen vertrieben wurden, die jahrhundertelang diese Gebiete bewohnt haben: Das kann man nicht abstreiten und das ist zweifellos auch ein Verbrechen und eine Tragödie. Die Kolonnen von Kindern und Familien auf Traktoren, die in Tränen ihre jahrhundertelange Heimat verlassen, sind Bilder, die niemanden kalt lassen sollten. Es ist genauso ein Verbrechen wie die Vertreibung der Kroaten aus dem gleichen Gebiet 1991 durch die serbischen Paramilitärs, damals noch unterstützt durch die kriegstreibende, ebenso nationalistische Politik von Slobodan Milošević. Die Systematik ist die gleiche. Und das Gift und die Ursache ebenso: der Balkan-Nationalismus, der Ex-Jugoslawien in den Neunzigern zum Pulverfass machte.

Nationalismus, der blendet
Es ist auch 2021 leider derselbe Nationalismus, der die Menschen und so auch diese unterschiedlichen Deutungen prägt, blendet und in die Irre führt. Genauso wie viele Kroaten bei den Siegesfeiern noch immer jubelnd dastehen und auch mit keinem einzigen Wort die serbischen Opfer erwähnen, genauso sehen viele Serben heute irrtümlicherweise darüber hinweg, dass nicht ausschließlich Kroatiens Staatspräsident Franjo Tuđman und sein Generalstab ihr Schicksal entschieden haben. Dann, als sie beim Meeting auf der Insel Brioni – ganz klar und unmissverständlich – vom „Verschwinden der Serben aus Kroatien“ sprachen.

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Es war nämlich auch die serbisch-nationalistische Politik, die den Z-4-Plan, ein breites Autonomieangebot an die serbische Minderheit in Kroatien, einige Monate vorher ablehnte und damit erst recht dem kroatischen Präsidenten Tuđman den Weg frei für seine Oluja machte. Dadurch konnte Tuđman der Welt sagen: „Schaut her, mit denen geht es ganz und gar nicht, auch die größte Autonomie wollen sie nicht haben“. Erst mit dieser irrationalen Ablehnung wurde der Weg für die kroatischen Hardliner frei und erst danach bekam die Oluja auch den internationalen Segen.

Auf der Karte sind im Staatsgebiet Kroatiens die bis zum August 1995 besetzten Gebiete eingezeichnet, die von 1991-1995 unter der Kontrolle der paramilitärischen Einheiten der „Republika Srpska Krajina“ waren. Innerhalb von 85 Stunden wurden die Gebiete mit der Oluja zurückerobert. Foto: HRT

Verführt von Milošević und Tuđman
Und es war auch das gleiche Belgrad und der gleiche Milošević, der Anfang der Neunziger zuerst großsserbische nationale Gefühle bei der serbischen Minderheit in Kroatien weckte, um sie 1995 – am 4. August – fallen zu lassen und überhaupt keine militärische Hilfe zu schicken. Die kroatischen Serben wurden von Belgrad fallen gelassen, genauso wie die in Bosnien-Herzegowina lebenden Kroaten von Zagreb. So viel auch dann zur wahren Wertschätzung Miloševićs oder Tuđmans für ihre Landsleute in der Region, die sie vorher mit ihrer nationalistischen Politik dazu verführten und anstachelten, ihre eigenen „Republiken“ auszurufen und Teil ihrer nationalistischen Maschinerie zu werden.

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