Start Aktuelles
Wahldebakel

Aus der Sicht der Community: Mahrers bittere Bilanz

Karl Mahrer
FOTO: BKA/Christopher Dunker

Nach dem Absturz bei der Nationalratswahl steht die ÖVP vor einem Scherbenhaufen. In Wien droht der ÖVP wegen einer unglücklichen Kandidatenwahl ein steiniger Weg zurück zur Relevanz.

Die Erfolgseffekte von Ibiza und der Ära Kurz haben für die Volkspartei am Wahlabend endgültig ihre Wirkung verloren. Mit dem größten Stimmenverlust aller Parteien ist die ÖVP nun wieder dort angelangt, wo sie vor der Zeit unter Sebastian Kurz stand. Die Gemeinderatswahl 2025 besiegelte eine historische Niederlage für die Wiener Volkspartei: Mit nur 9,65 Prozent der Stimmen stürzte die ÖVP auf Platz fünf ab.

⇢ ÖVP-Chef Karl Mahrer tritt zurück!

Im Zentrum dieser Entwicklung: Karl Mahrer, ein Kandidat, der weder inhaltlich noch kommunikativ eine Antwort auf das moderne Wien fand.

Eine Kampagne ohne Antworten auf die neuen Fragen

Mahrers Wahlkampf setzte auf klassische Law-and-Order-Rhetorik – auf Angst vor Kriminalität und die Forderung nach mehr Sicherheit. Doch dieses Thema hatte längst an politischer Zugkraft verloren, zumal es traditionell eher der FPÖ zugeschrieben wird. Selbst innerhalb der ÖVP gab es Zweifel an dieser Strategie.

Der missglückte Versuch, migrantische Wähler:innen zu erreichen

Einen besonders ungeschickten Eindruck hinterließ die ÖVP mit der „Habibi“-Kampagne. Was wohl als humorvolle Annäherung gedacht war, wirkte auf viele migrantische Communities – etwa die BKS-Community – stereotyp, klischeebehaftet und distanziert.

⇢ Vom Rekord zum Debakel: Wer übernimmt nach Mahrers ÖVP-Absturz?

In einer Stadt, in der fast die Hälfte der Bevölkerung familiäre Wurzeln im Ausland hat, wird echte Ansprache erwartet – keine Plakatbotschaften ohne Substanz.

Während andere Parteien gezielt den Dialog über Community-Medien und persönliche Kontakte suchten, verzichtete die ÖVP nahezu vollständig auf diese wichtige Brücke zur Bevölkerung. Gerade in migrantisch geprägten Bezirken wie Favoriten, Simmering oder Ottakring verlor die Volkspartei dramatisch an Boden. Die Entfremdung zwischen Partei und Stadt war in diesen Wahlergebnissen klar ablesbar.

Gezielte Versuche, über diplomatische Kontakte Termine bei Betrieben aus der Ex-Yu-Community zu arrangieren, erwiesen sich als lächerliches Detail eines ohnehin glücklosen Wahlkampfs – medial unbeachtet und letztlich ein Symbol für die Entfremdung von jener Stadtgesellschaft, die man zu erreichen hoffte.

Fehlende Mobilisierungskraft

Mahrer präsentierte sich in öffentlichen Auftritten seriös und korrekt, doch seine Kommunikation blieb technokratisch und wenig verbindend. Seine Reden wirkten oft wie Vorträge, nicht wie Gespräche auf Augenhöhe. Auf Social Media blieb die ÖVP Wien unter seiner Führung praktisch unsichtbar – ein gravierender Nachteil gegenüber Mitbewerbern, die gerade junge Wähler:innen dort mobilisierten.

Eine Wahlniederlage mit langem Anlauf

Dass die ÖVP bei dieser Wahl rund elf Prozentpunkte verlor und den größten Absturz aller Parteien erlitt, war das Ergebnis einer langen Entwicklung: fehlende glaubwürdige Erneuerung, verfehlte Themenwahl und eine Strategie, die an der Lebensrealität der Stadtbevölkerung vorbeiging.

Karl Mahrer war nicht der alleinige Verursacher dieser Niederlage – aber er wurde ihr Gesicht. Ob er, als mit 70 Jahren ältester Spitzenkandidat im Feld, auch für eine künftige Erneuerung stehen kann, ist fraglich. Die Partei wird diese Frage intern wohl rasch klären müssen.

Zusätzlich belastete Mahrer eine Anklage der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – ein denkbar ungünstiger Auftakt in einen ohnehin schwierigen Wahlkampf.

⇢ Demut bei Ludwig – Grüne sprechen von „Aufholjagd“ – ÖVP relativiert Wahlschlappe