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Balkan Stories: Am Balkan führt kein Weg vorbei

FOTO: Balkan Stories
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Bei der Wiener Gemeinderatswahl am Sonntag hat kein Weg am Balkan vorbeigeführt. Zumindest in meinem Fall. Das hat durchaus freudige Seiten.

Es haben schon Wiener Gemeinderatswahlen mehr Emotionen ausgelöst, bei mir oder bei der Wählerschaft allgemein.

Die politischen Kräfteverhältnisse in Wien werden sich nicht entscheidend verschieben. Das kann man gut finden oder schlecht. Für Begeisterung oder Angstzustände sorgt es jedenfalls nicht.

Dazu kommt, dass mein Wahllokal dauerhaft verlegt worden ist. Von der Volkshochschule gleich neben mir in eine Volksschule 400 Meter weiter.

Keine wirklich Entfernung, und nichts gegen Spaziergänge. Aber wenn man gewohnt ist, einmal umzufallen, sind 400 Meter Gehweg lästig.

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Freilich, der Umweg macht diesen Wahlsonntag zu einer erfreulichen Angelegenheit.

Ich komme wieder an der Pekarica in der Koppstraße vorbei.

FOTO: Balkan Stories
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Das ist eine serbische Bäckerei mit herrlichen serbischen Backwaren.

Ich weiß nicht, wie’s euch geht.

Das balkanische Brot ist für mich mit wenigen Ausnahmen so naja. Wie die meisten Menschen finde ich das Brot ideal, mit dem ich aufgewachsen bin. Andere Brotstile empfindet man dann nicht als so prickelnd.

Aber die Backwaren.

Štapići, Štanglice, Piroške, und vor allem Pogačice sa čvarcima. Grammelpogatschen.

Gibt’s bei der Pekarica alles. Vor allem herrliche Pogačice sa čvarcima.

Da freut man sich, wenn man mal wieder vorbeikommt.

Einzig komplet lepinja haben sie nicht. Man kann nicht alles haben.

Hab ich schon erwähnt, dass sie herrliche Pogačice sa čvarcima haben?

Die Wahl vor der Theke war deutlich schwieriger als die Wahl im Wahllokal ein paar Minuten davor.

FOTO: Balkan Stories
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„Wenn ich alles kaufen würde, was ich will“, sag ich der Verkäuferin.

„Dann kannst du das nie alles essen. Ich weiß“, sagt sie und lacht.

Es wird ein Brotringerl mit Schinken und Käse.

Und eine Pogačica sa čvarcima. Diese Information wird sicher allgemeine Überraschung auslösen.

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Ich würd wirklich gerne mehr kaufen. Nur liegt im Kühlschrank ein Kalbskotelett. Das hab ich am Samstag bei meinem bosnischen Fleischhauer am Brunnenmarkt gekauft.

Das gibt’s am Abend.

In Ottakring führt kein Weg am Balkan vorbei.

Ist das noch eine Demokratie?

Das seh ich auch am Rückweg von der Pekarica.

Mir kommen die Nachbarn aus der Wohnung über mir entgegen. Die sind aus Novi Pazar.

Die sind auch am Weg ins Wahllokal.

Nur der Vater nicht. Wie bei vielen Familien hat er die alte Staatsbürgerschaft behalten.

Man weiß nie, was ist. So hat man eine Garantie, dass man im Notfall zumindest in die alte Heimat zurückkann.

Das erklärt freilich nicht, warum in Wien um die 40 Prozent der Erwachsenen den Gemeinderat nicht wählen dürfen.

Österreich macht es Migranten schwer, Staatsbürger zu werden.

Wer zuletzt etwa Notstandshilfe oder Sozialhilfe bezogen hat, wer eine niedrige Pension hat, wer nur Teilzeit arbeitet, hat keine Chance.

Und selbst wer es gerade über die hohen Einkommensgrenzen für die Staatsbürgerschaft schafft, muss mit hohen Gebühren rechnen. Das schreckt viele ab.

In Wien ist knapp die Hälfte der Menschen in einem anderen Staat geboren oder hat Eltern, die es sind.

Die Kombination viele Migranten und unfaire Staatsbürgerschaftsgesetze führt dazu, dass Wien demokratiepolitisch immer mehr einem griechischen Stadtstaat wie Athen gleicht.

Eine immer kleinerer Anteil an Bürgern entscheidet über einen immer größer werdenden Anteil.

Demokratisch ist das nicht.

(Vor fünf Jahren habe ich das etwas ausführlicher für das kroatische Portal Lupiga analysiert. Das Ergebnis findet ihr hier in Landessprache und hier auf Englisch.)

Bei mir in der Gegend ist das Missverhältnis besonders hoch.

Da wird sich die Politik etwas überlegen müssen.

Vielleicht sollt ich allen Nationalratsabgeordneten und allen Gemeinderatsabgeordneten Pogačice sa čvarcima von der Pekarica schicken.

Und dazusagen: Die Bäckerin und die Verkäuferin dürfen sehr wahrscheinlich nicht wählen.

Ist das der Dank, dass die uns in aller Herrgottsfrüh und am Sonntag solch herrliches Gebäck machen und verkaufen?

So viel Arbeit sind Grammelpogatschen

Wie viel Arbeit Pogačice sa čvarcima sind, sehr ihr in diesem Video von Youtubeköchin Marina aus Novi Beograd. Über sie hat Balkan Stories vor allem in Zusammenhang mit dem Schicksal von Braun Bär berichtet.

Glaubt mir, es ist die Arbeit wert.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Nicht die Meinung der KOSMO Redaktion.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.