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Balkan Stories: Das Versagen zeigt sich im Neubeginn

FOTO: iStock

Die Reparaturen von Bosniens wichtigster Bahnstrecke zwischen Sarajevo und Mostar haben begonnen. Sie war bei dem verherrenden Erdrutsch in Donja Jablanica mit beinahe 20 Toten während der Hochwasserkatastrophe im Oktober beschädigt worden. Dieser Neubeginn zeigt bei einem genauen Blick das totale Versagen des bosnischen Staates und seiner Einrichtungen.

„Was für ein armseliges Land“, schreibt Arif in einem Facebook-Kommentar zu einem Artikel auf der Plattform von klix.ba über die Reparatur der Bahntrasse der Verbindung Sarajevo – Mostar bei Donja Jablanica. (Mehr über die Katastrophe im Oktober erfahrt ihr hier.)

„Wir leben von Spenden, während die Politiker unser Geld stehlen“, macht Dženana ihrem Unmut Luft. „Wir sind ein Land der Bettler“, ergänzt Adnan. „Schande um Schande“, bringt es Izudin auf den Punkt.

Was andernorts als Neubeginn nach einer Katastrophe gefeiert würde, führt in Bosnien zu öffentlicher Empörung. Das liegt nicht daran, dass die Bosnier besonders unleidliche Menschen wären.

Tatsache ist, dass alle Vorarbeiten für die Reparatur von Bosniens wichtigster Bahnstrecke aus Spenden finanziert wurden. Steuergeld oder ein Sonderbudget der Željeznice Federacije Bosne i Hercegovine (ŽFBiH), der öffentlichen Bahngesellschaft des Teilstaats Federacija, für die Reparatur gab es offenbar nicht.

Das sagt auch Mirza Hadžibegić, Generaldirektor der ŽFBiH, in einer öffentlichen Stellungnahme.

Die bosnische Niederlassung des türkischen Bauunternehmens Cengiz Insaat Sanayi ve Ticaret etwa stellte kostenlos die Projektdokumentation zur Verfügung, ebenso führt sie die Bauarbeiten an der schwer beschädigten Trasse durch. Kostenlos, wie etwa Nermin Nikšić, Premierminister der Federacija, gegenüber der Nachrichtenagentur Federalna sagt.

Die Fakultät für Bauingenieurswesen stellte ihre Expertise ebenso kostenlos zur Verfügung, eine Rechtsanwaltskanzlei unterstützt ŽFBiH bei den rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa allfälligen Enteignungen und Umwidmungen, ganz ohne ein Honorar zu verlangen.

Die einzige öffentliche Stelle, die sich bisher aktiv eingebracht hat, ist die Stadt Mostar. Sie übernimmt die Überwachung der Baustelle.

Anders ausgedrückt: Ohne die sicher lobenswerte Solidarität zahlreicher Einrichtungen und Menschen wäre auch zwei Monate nach der Erdrutschkatastrophe keine Rede davon, dass Bosniens wichtigste Bahnstrecke repariert werden würde.

Mehr Staats- und Behördenversagen kann sich in einem solchen Neubeginn wohl kaum zeigen.

Das macht die Empörung hunderter Bosnier in sozialen Medien nachvollziehbar.

Zu Recht fragen sie sich, wofür sie Steuern zahlen, wenn der Staat bei der Reparatur derart wichtiger Infrastruktur auf Spender angewiesen ist.

Nicht besser wird das dadurch, dass ŽFBiH auch zwei Monate nach der Katastrophe keinen konkreten Zeitpunkt nennt, wann Bosniens wichtigste Bahnverbindung wieder in Betrieb gehen kann.

Einen Schienenersatzverkehr soll es „so bald wie möglich geben“.

Was auch sehr viel über den Stellenwert aussagt, den man dem Bahnverkehr im Land zuschreibt.

Mehr über den Zustand des Bahnverkehrs in Bosnien könnt ihr in dieser Reportage nachlesen.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.