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GESCHICHTE

Balkan Stories: Der Kaiser aus Mexiko

(Foto: Balkan Stories)

Julio Cesar Ortega ist um die halbe Welt gereist, um den Menschen am Balkan ein wenig Freude zu bringen. Wir haben den Straßenkünstler während einer Tourneepause in Novi Beograd getroffen.

Der schlanke Mann mit Melone jongliert mitten auf dem Zebrastreifen drei weiße Bälle und einen goldfarbenen Stock gleichzeitig.

Es scheint ihn kaum Mühe zu kosten.

Die Autofahrer vor dem Shoppingzentrum Ušće in Beograd sehen das Spektakel und lächeln.

Kurz bevor ihre Ampel auf Grün springt, nimmt der Künstler seine Melone ab.

Den hut in der Hand geht er mit einem breiten Lächeln zwischen den Autos.

Wer das Fenster öffnet, dem hält er die Melone entgegen. Ein paar Geldscheine fallen hinein.

Als die Autoampel auf Grün schaltet, hüpft er auf den Gehsteig zurück.

Sobald die Fußgängerampel auf Grün schaltet, ist er wieder am Zebrastreifen, und das Spektakel wiederholt sich.

„Ich mache gerade eine kleine Tourneepause“, erzählt er uns. „Nächste Woche geht es nach Bulgarien, und mit diesen kleinen Auftritten halte ich mich fit, und es ist ein bisschen Geld extra.“

(Foto: Balkan Stories)

Seit Wochen ist Julio Cesar Ortega mit seiner kleinen Kompanie „on the road“ am Balkan.

Gestartet ist die Truppe in Lubljana, nach Beograd kamen sie über Kroatien.

„Das wollte ich seit Jahren machen“, erzählt er. „Ein wenig Balkanerfahrung hab ich ja schon, aber die große Tournee ist wegen Covid leider ins Wasser gefallen. Jetzt können wir sie nachholen.“

Julio ist seit zehn Jahren Straßenkünstler. Zuerst als Clown, später als Jongleur und Performer beeindruckender Kunststücke rund um Zirkusauftritte und Kongresse, die Artisten als Unterhaltung buchen.

Seit fünf Jahren ist er in Europa, und hier tritt er mittlerweile auch auf internationalen Straßenkunstfestivals auf.

„Die Menschen sind hier sehr ähnlich“

Am Balkan fühlt er sich am wohlsten, sagt er uns. „Ich komme aus Mexico City. Hier am Balkan fühle ich mich fast wie zuhause. Die Menschen sind sehr ähnlich, sie sind warmherzig und spontan“.

Und, ganz wichtig: „Das Essen hier ist großartig. Die Leute hier essen viel Fleisch, ganz wie wir Mexikaner. Das ist gut.“

Von den vielen mexikanischen Restaurants in Beograd lässt er die Finger. „Die wirken, als würden sie Tex Mex-Food kochen. Ich verstehe das, es ist aber nichts, was wir Mexikaner essen.“

Nebenbei gibt es hier populäre Musik, die auf mexikanischen Motiven basiert.

In den frühen 1950-ern war Jugoslawien nach dem Bruch Titos mit Stalin international isoliert.

Mexiko war eines der wenigen Länder, mit denen es eine enge Verbindung gab – unter anderem auch einen regen kulturellen Austausch.

„Hier spielen sie Charros in der Landessprache. Das ist spannend, und sie können es richtig gut“, erzählt Julio.

„Es ist melancholisch, aber gleichzeitig eine Party-Musik. Und das funktioniert sehr ähnlich wie sehr viele traditionelle Lieder hier. Wahrscheinlich ist Charros auch deswegen so populär.“

Bei einer Beobachtung überkommt ihn ein schlechtes Gewissen. „Ich habe die Schießereien mit den vielen Toten und die Proteste mitbekommen. Das ist eine Tragödie. Dennoch, ich als Mexikaner fühle mich hier im Vergleich zu zuhause wesentlich sicherer.“

Es gibt eben immer Orte, an denen es noch schlechter ist. In Mexiko geht es noch blutiger zu als in Serbien, versagt die Polizei noch mehr als hier.

Nicht nur für die Angehörigen der Mordopfer der vergangenen Wochen ist das nicht einmal ein schwacher Trost.

Was die Tournee schwierig macht, sind die Visa-Bestimmungen.

In den Nicht-EU-Staaten darf sich die Truppe jeweils nur 90 Tage am Stück aufhalten und muss dann 90 Tage lang anderswohin, bevor man wieder dort einreisen darf.

(Foto: Balkan Stories)

Für den Schengenraum haben die drei Mitglieder ein Dauer-Visum.

„Das haben wir bei der Tournee miteingeplant“, sagt Julio.

Artisten sind als fahrendes Volk daran gewöhnt, ständig auf Achse zu sein – unter finanziell häufig genug prekären Bedingungen.

Da werden Tage zwischen Zirkusauftritten oder Kongress-Events für kleine Aktionen auf der Straße genutzt, wie soeben in Ušće.

Unter der Woche tritt Julio mehr auf Kreuzungen auf, an Wochenenden in Fußgängerzonen. Jahrelange Erfahrung sagt ihm, wo und wann potentielle Zuschauer am besten zu erreichen sind.

Was Julio bei aller Liebe am Balkan vermisst

„Ich muss auch sagen, in dieser Region sind die Menschen sehr empfänglich für unsere Auftritte. Ich hab da nur ganz wenige schlechte Reaktionen erlebt. Wenn wir jonglieren, ist das für die Menschen interessant. Es gibt hier offenbar wenige Straßenkünstler, die das machen.“

Nach dem Zwischenstopp in Beograd geht es nach Bulgarien, danach vielleicht nach Rumänien.

Für Juli hofft Julio, dass sich ein jahrelanger Traum verwirklicht. „Ich möchte auch einmal nach Bosnien. Ich habe gehört, dass es da für uns Straßenkünstler sehr gut ist, und dass die Menschen sehr nett sind.“

Dann hätte die Balkan-Tournee fast komplett, sagt er. In Kroatien, Slowenien und Serbien war er schon mehrmals. Was noch fehlen würde: Albanien, Mazedonien, der Kosovo und Montenegro.

„Mal sehen, wie es kommt. Albanien und Mazedonien schaffe ich vielleicht nächstes Jahr.“

Davor geht es zurück nach Mexiko. Das erste Mal seit fünf Jahren, sagt Julio.

„Ich brauche endlich wieder einen warmen Winter. Das ist, was mir hier am meisten fehlt. Das gibt’s nur zuhause.“

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.