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Balkan Stories: Die Prasetina von Grinzing

FOTO: Balkan Stories

Eine Partie feiert eine fertige Baustelle mit einem Spanferkel. Igor lädt mich zur Feier ein. Das ist der Plan. Auf dem Weg treffen wir einen Sohn von Sissy.

„Da, schau“, sagt Igor und zeigt mir ein Video auf seinem Mobitelefon. „Das sind meine Kollegen. Die haben schon angefangen mit dem Grillen“, sagt er stolz.

„Und schau, da. Da ist der Švajn, die kleine“, zeigt er mir das Spanferkel und strahlt übers ganze Gesicht. Seine Haut ist schon zartbraun. Die des Spanferkels, nicht die von Igor.

„Ich fahr bald rauf. Das ist in Grinzing. Du kommst mit“, meint Igor. „Wir fahren nach Spittelau, dann nach Heiligenstadt. Von Heiligenstadt geht der Bus. Eine dreiviertel Stunde, vielleicht eine Stunde“.

Den Weg ist er in den vergangenen Wochen täglich gefahren. Seine Firma hat ein Haus in Grinzing renoviert. „Das war eine tolle Baustelle. Der Besitzer war sehr korrekt. Der hat jeden Tag für uns gegrillt“.

Gestern ist die Baustelle fertig geworden. Die Partie feiert das mit einer Prasetina, die sie am Gelände grillt. Das ist Tradition bei ihnen, sagt Igor.

Es überrascht möglicherweise niemanden, dass die Mitglieder der Partie alle aus dem ehemaligen Jugoslawien kommen. Die meisten sind aus Serbien. Ein Arbeiter ist Bosnier, ein anderer kommt aus Kroatien.

Igor kommt aus Sombor und ist ein typischer Vojvodiner Mix. Als Muttersprache würde er Ungarisch nennen, ethnisch gesehen gilt er als Katholik als Kroate. Das wird später eine kleine Rolle spielen.

Es ist Sonntag. Die U-Bahn hat Wochenendbetrieb. Es dauert etwas länger, bis wir in Heiligenstadt sind. In einem der Geschäfte am Bahnhof kaufen wir ein paar Bier.

„Die haben genug zum Trinken. Aber ich möchte nicht kommen, ohne dass ich etwas mitbringe. Das gehört sich nicht“, sagt Igor. Ich sehe das genauso.

Der Sohn einer Königin und Kaiserin

Der Bus fährt erst in 20 Minuten. Igor telefoniert mit seinen Kollegen. „Nein, wir sind noch nicht im Bus. Ich schätze, in 40 Minuten sind wir bei euch“, sagt er. Und zu mir: „Ah, das wird super. Der Švajn, die kleine, ist fertig, wenn wir oben sind.“

Ein mittelaltriger und etwas ungepflegter Mann redet am Bahnhofsvorplatz laut Passanten auf Ungarisch an. Es klingt nicht sehr freundlich. Igor fragt ihn auf Ungarisch, was er will.

Die zwei plaudern kurz. Der Unbekannte scheint sich zu freuen, dass er mit jemandem in seiner Muttersprache reden kann. Er beruhigt sich ein wenig. Dann bricht das Gespräch abrupt ab, und der Unbekannte beginnt, leere Pizzakartons und anderes Altpapier aus den Mistkübeln zu fischen. Er packt sie in eine Tasche.

„Der ist ein bisschen verrückt“, sagt Igor und schüttelt lächelnd den Kopf. „Er hat mir gesagt, er ist der Sohn von Königin Sissy. Die mögen sie auch in Ungarn. Und dann hat er gesagt, dass wir alle sollen s….n gehen“.

Der etwas unhöfliche Königinnen- oder nach österreichischer Auffassung Kaiserinnensohn ist mittlerweile verschwunden.

Igors Partie hat Angst vor mir

Unser Bus ist da. Igors Telefon klingelt. „Ja, wir sitzen jetzt im Bus“, sagt er. „Ja, das ist ein Freund von mir, den kenn ich schon vier Jahre“.

Irgendetwas scheint nicht zu stimmen. Aus den Gesprächsfetzen kann ich rekonstruieren, dass uns jemand bei der Bushaltestelle abholen wird. Das ist eigenartig. Igor weiß doch, wo die Baustelle ist.

„Irgendwer hat da ein Problem“, sagt Igor.

„Was ist denn das Problem?“

„Ich weiß nicht. Irgendwer will nicht, dass du kommst. Die haben Angst“.

„Wieso haben die Angst vor mir?“

„Ich weiß nicht“.

„Was hast du ihnen denn gesagt?“

„Na, ich hab ihnen gesagt, der Christoph kommt auch, der ist ein alter Freund und ein Journalist“, sagt Igor stolz.

„Ah, du hast ihnen gesagt, ich bin Journalist. Das ist nicht gut“.

„Warum?“

„Weil jetzt glauben die, ich arbeite und schreibe eine Geschichte über sie“.

Wir müssen nicht lange in der Kälte warten

Es kommt noch ein Anruf. Auf keinen Fall selber zum Haus gehen. Es kommt jemand zur Bushaltestelle.

Ein Mann in den 50-ern in weißer Jogginghose wartet auf uns. Er schaut ziemlich besorgt drein.

Ich beschließe, das offensiv zu regeln. Bevor er irgendetwas sagen kann, sag ich mit breitem Lächeln: „Ciao. Was fürchtet ihr euch denn vor mir? Ich bin ein gar normaler Mensch, und am Sonntag arbeite ich nicht.“

„Ich fürcht mich ja nicht“, sagt mir Igors Kollege. Darko heißt er, und er ist aus Vranje. „Aber die anderen. Die wollen nicht, dass du kommst. Die haben Angst vor Journalisten“.

Igor redet auch auf ihn ein. „Er hat sogar Bier für uns gekauft“, sagt er und zeigt ihm das Sackerl. Es nützt nichts. Auch, dass er Darko sagt, wie oft ich am Balkan bin, macht keinen Eindruck.

„Wenn Christoph nicht darf, komm ich auch nicht“, sagt Igor.

Immerhin wartet Darko mit uns, bis der Bus zurückfährt.

Wir haben Glück, dass das hier die Endstation ist. In drei Minuten fährt der Bus retour. Wir müssen nicht lange in der Kälte warten.

Die kleinen Geheimnisse sollen Geheimnisse bleiben

„Die sollten sich doch alle freuen, dass sie einen Journalisten kennenlernen“, sagt mir Igor auf der Rückfahrt.

„So einfach ist das nicht“, sag ich. „Bei euch zuhause, da vertraut man Journalisten so wenig, wie man Polizisten vertraut. Da glauben viele, wir wollen die Leute reinlegen, und sind sowieso in der Tasche der Regierung“.

„Ja schon, aber hier ist das doch anders“.

„Mag schon sein, aber so ein Misstrauen, das wirst du nicht so einfach wieder los. Das bleibt. Und sicher gibt’s da den einen oder anderen, der hat vielleicht irgendein kleines Geheimnis, von dem er nicht will, dass es bekannt wird.“

Ich spekuliere hier ausdrücklich. Vielleicht hat sich einer nicht abgemeldet, als er ausgewandert ist. Da will er nicht, dass öffentlich bekannt wird, dass er in Österreich lebt.

Genauso könnte sein, dass jemand unten Unterhaltszahlungen leisten müsste. Da ist man auch nicht drauf aus, dass man gefunden wird.

Vielleicht waren auch nicht alle Arbeiten auf der Baustelle angemeldet. Das kommt im Baugewerbe vor.

Kleine Geheimnisse, von denen man will, dass sie Geheimnisse bleiben, gibt es viele.

Und wenn du, wie viele Menschen im ehemaligen Jugoslawien und anderswo, Journalisten ohnehin nicht vertraust, machst du dir um so etwas Sorgen, wenn ein Journalist auf deiner Feier auftaucht.

Die Leute haben eben Drecksblätter wie den Informer als Messlatte, oder die Fernsehnachrichten von Pink. Da braucht man sich über den schlechten Ruf von Journalisten nicht wundern.

Dass ich privat auf die Feier gekommen wäre, als Freund eines Freundes – woher sollen die Leute das wissen?

Ja, vielleicht hätte ich später, irgendwann, die Grillerei in anonymisierter Form beschrieben. So, dass außer den Teilnehmern niemand weiß, um wen es geht. Dass niemand bloßgestellt wird. Dass sich die Beteiligten wiederfinden und sich denken: „Ja, das war doch ein Spaß“.

Eine Prasetina auf einer fertigen Baustelle in einem sehr bürgerlichen Wiener Bezirk, das ist eine nette Geschichte. Ein netter Rahmen, in dem man das Leben von Bauarbeitern gut darstellen kann.

Geht nicht.

Aber vor allem fallen Igor und ich um eine gute Prasetina um. Das tut weh.

Igor schämt sich. Da kann ich ihm noch hundert Mal sagen, dass alles OK ist und die Dinge nun mal so sind.

Ich verstehe ja die Gegenseite. Igor nicht.

„Die sollen hier leben, und nicht so, als wären sie immer noch unten“, sagt Igor. „Da gibt es immer ein paar solcher Leute. Und dann braucht sich niemand wundern, wenn wir Jugos einen schlechten Ruf haben.“

„Igor, so schlimm ist das jetzt auch wieder nicht. Und wenn wer wegen ein paar Leuten sagt, alle sind so, ist er ein Trottel. Das ist auch nicht fair.“

Igor grantelt auch in der U-Bahn weiter.

So stolz war er, dass er mich seinen Kollegen vorstellen kann. So stolz, dass er mich auf eine gute Prasetina einladen kann.

Nix ist es geworden. Das ist eine bittere Enttäuschung.

Bleiben die Biere, die wir in Heiligenstadt gekauft haben. Wenigstens die können wir austrinken. Das rettet den Abend.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.