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Balkan Stories

Balkan Stories: Eine Rose aus Sarajevo

Ein Berg Essen

Wir kriegen drei Riesenfische serviert, mindestens ein Kilo pro Stück, eher eineinhalb, drei Stück von etwas, das aussieht wie Babystöre – die letzten drei – und eine Portion Girice. So nennt man hier frittierte Sardellen.

Dazu die Beilagen.

Wir sind zu sechst.

Irgendwas ist bei der Bestellung schief gegangen.

„Wer soll das alles essen“, frage ich.

„Das schaffen wir schon“, sagt Petar.

Ich bleibe meinem Grundsatz treu, Food Porn nach Möglichkeit zu vermeiden. Außerdem knurrt der Magen.

Den Leuten beim Boot reparieren zuschauen, macht hungrig.

„Gibt es in Wien auch solche Restaurants?“, fragt Goran. Er ist ein alter Freund von Petar und Teil unserer Runde.

„Nein. Keine Ahnung, wieso. Wir haben diese 21 Kilometer lange Insel in der Donau und im Vergleich zu hier gibt’s wenig Lokale. Schwimmende fallen mir gar keine ein.“

Außer der Copa Cagrana ist an der Donau eher kulinarisches Ödland. Zwischen den wenigen guten Restaurants liegen weite Strecken.

„Vielleicht liegt’s daran, dass wir in Österreich wenig Fisch essen.“

Mit Ausnahme der riblja čorba von gestern abend ist das heuer erst das zweite Mal, dass ich Fisch esse, fällt mir ein.

Dreimal dürft ihr raten, wer mich gestern in das Lokal gebracht hat, wo’s die herrliche Fischsuppe gab.

„Ja, das hab ich gehört“, sagt Jelena. Auch sie ist mit von der Partie.

FOTO: Balkan Stories

Petar sagt: „Pa da!“

Zum Weißwein hat unsere Kellnerin einen kleinen Sodabrunnen hingestellt. (Heißt das auch auf Deutsch so?)

„Braucht ihr noch was“, fragt sie.

Sie hat ein gewinnendes Lächeln.

„Noch eine Flasche Wein, bitte“, sagt Petar. „Woher kommst du?“

„Ich? Ich komm von hier. Wieso?“

„Ich hab einen ganz leichten Akzent gehört.“

„Meine Mutter kommt aus Polen. Vielleicht deshalb.“

„Pa da!“, sagt Petar.

Petar sagt immer „Pa da!“, wenn sich eine seiner Vermutungen bestätigt hat.

Das passiert oft.

Petar war jahrzehntelang Kulturjournalist, vor allem auf Musik spezialisiert. Er ist mit seinem enzyklopädischen Wissen so etwas wie ein wandelndes Lexikon und nicht zu Unrecht ziemlich bekannt im ehemaligen Jugoslawien.

FOTO: Balkan Stories

Irgendwie haben wir aufgegessen

Irgendwie haben wir die Fische und die Beilagen geschafft.

„Ich werde nie wieder in meinem Leben was essen“, denk ich mir.

Es gibt die obligatorische Rakija aufs Haus.

Zusammen macht die Rechnung 10.000 Dinar inklusive Trinkgeld aus. Das sind etwa 80 Euro.

Für sechs Leute, insgesamt wahrscheinlich vier Kilo Fisch, Beilagen und drei Flaschen Wein.

Den Kaffee beschließen wir, etwas weiter das Sava-Ufer entlang zu trinken.

„Ein Verdauungsspaziergang kann nicht schaden“, meint Svetlana.

„Kaži mi 3 lepše reči…“

Als wir gehen, verabschiedet sich der Kellner von der Theke auf Deutsch von mir. „Ich hab gehört, du bist Österreicher“, sagt er.

Er lernt gerade Deutsch, um sein IT-Studium in Deutschland fortzusetzen. Und, so hofft er, länger dort bleiben zu können.

Der Job hier mag gut sein und Kellner gilt hierzulande als angesehener Job.

Aber was ist das im Vergleich zu den Karriereaussichten und den Verdienstmöglichkeiten im Ausland?

Und wie heißt ein hierzulande gern erzählter Witz?

„Kaži mi 3 lepše reči od „ja te volim?““

„Willkommen in Deutschland!“

„Sag mir drei Wörter schöner als: Ich liebe dich!“

„Willkommen in Deutschland“.

Eingebettetes Lied:

Ružo moja (Jutros mi je ruža procvetala)

Interpretin: Milica Popović

Komponist: Petar Tanasijević

Jugoton, 1960

Balkan Stories dankt Petar Ivić für Unterstützung bei der Recherche.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.