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GESCHICHTE

Balkan Stories: Gedanken zu Inselsprachen

(Foto: Balkan Stories/zVg.)

Albanisch ist für praktisch alle Europäer eine besonders exotisch anmutende Sprache. Sie ist indoeuropäisch, aber mit keiner anderen Sprache näher verwandt. Das gilt auch für eine Nachbarsprache – die uns gar nicht exotisch vorkommt. Warum ist das so?

Albanisch ist keine Sprache, über die man außerhalb von Regionen nachdenkt, wo die Sprache gesprochen wird.

Zwischen sieben und acht Millionen Menschen sprechen diese indoeuropäische Sprache.

Etwas mehr als die Hälfte lebt am Balkan – in Albanien, im Kosovo, in Südserbien, Mazedonien, Montenegro und Griechenland.

Eine große Gruppe lebt historisch in Süditalien, vor allem auf Sizilien. Vergrößert wurde sie durch Emigrationswellen in den vergangenen Jahrzehnten.

Dann gibt es noch eine große Diaspora in Nordamerika, Australien und im deutschsprachigen Raum.

Das sind große Gebiete, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass man mit Menschen in Kontakt kommt, die als Muttersprache eine der Unterarten des Albanischen haben.

Trotzdem: Ich kenne außerhalb albanischer Siedlungsgebiete nur drei Nicht-Albaner, die einigermaßen Albanisch können.

Einen US-amerikanischen Anthropologen, einen deutschen Journalisten und eine serbischstämmige Kellnerin in Wien.

Ich kenne wesentlich mehr Leute, die die Sprache ohne Namen zumindest halbwegs sprechen – und das ist schon exotisch im Vergleich zu vielen anderen Sprachen.

Albanisch hat meines Wissens nach auch keinerlei Spuren in den meisten anderen europäischen Sprachen hinterlassen.

Das einzige albanische Wort, das etwa im deutschen Sprachraum halbwegs geläufig sein dürfte, ist Kanun.

Das hat lateinische Wurzeln.

Und wir kennen es nur wegen unseren wahrscheinlich exotisierenden Blickes auf – längst vergangene – albanische Gesellschaften mit ihren archaischen Gewohnheiten.

Die Nachbarin des Albanischen ist uns viel vertrauter

Das unterscheidet Albanisch von einer anderen europäischen Inselsprache, die auch keine näheren Verwandten hat.

Das ist Griechisch.

Griechisch kommt uns im Allgemeinen nicht exotisch vor – auch wenn es die allerwenigsten Menschen außerhalb Griechenlands sprechen, auch wenn die allerwenigstens das griechische Alphabet kennen.

Europäische Sprachen sind voll von altgriechischen Lehnwörtern, vor allem in der Medizin und Technik.

Man denke an das lateinisch-altgriechische Kunstwort Automobil.

Auch wenn sich modernes Griechisch erheblich vom Altgriechischen unterscheidet, so wie sich modernes Deutsch etwa von Gotisch unterscheidet – die meisten von uns empfinden es als Teil der europäischen Sprachenfamilie.

Albanisch nicht, und wahrscheinlich noch weniger als Ungarisch, das nicht einmal eine indoeuropäische Sprache ist.

Klar kommt dazu, dass wir über die Geschichte der griechischen Sprache vielleicht nicht alles wissen, aber zumindest sehr viel.

Über die Geschichte des Albanischen weiß man sehr wenig.

(Siehe etwas HIERHIER und, etwas dubioser, HIER)

Der erste Text, in dem jemand von einer albanischen Sprache spricht, stammt aus Ragusa, dem heutigen Dubrovnik, des Jahres 1285. Unserer Zeitrechnung wohlgemerkt.

Das ist ein Satz: „Audivi unam vocem clamantem in monte in lingua albanesca“.

„Ich habe eine Stimme in den Bergen die Sprache der Albaner rufen gehört“, sagt ein Matteo oder Matej.

Er ist Zeuge eines Einbruchs in ein Haus in Ragusa.

(Quelle siehe HIER)

Die ersten Texte auf Albanisch stammen aus dem 15. Jahrhundert. Zumindest die ältesten überlieferten.

Das wirkt alles sehr jung.

Das trägt dazu bei, das Albanische fremd wirken zu lassen.

Nur, Wirkung ist das eine, Realität das Andere.

Der erste Text, dessen Sprache als Italienisch bezeichnet wurde, wurde im Jahr 1307 begonnen. Es ist Dantes Göttliche Komödie.

Das ist nicht so viel älter als die ersten Zeugnisse des Albanischen.

Der Unterschied ist: Wir wissen genau, wie aus Latein Italienisch wurde.

Etwas weniger, aber immer noch hinreichend, genau wissen wir, wie die deutsche Sprache aus ihren Vorgängerinnen entstand.

Wir wissen nicht, aus welcher Sprache heraus sich das Albanische entwickelt hat. Siehe oben.

Was Geschichte damit zu tun hat

Dazu kommt, dass es eine Sprache abseits der europäischen Machtzentren war und ist.

Eine Sprache der Untertanen zumeist, nicht der Herrschenden.

Das ist kein Einzelfall, weder in Europa noch anderswo.

Aber solche Sprachen werden besonders spät kodifiziert und standardisiert.

Siehe etwa die slawischen Sprachen mit Ausnahme des Russischen.

Ein weiterer Umstand lässt uns das Albanische um einiges fremder erscheinen als etwa die Nachbarinselsprache Griechisch.

Sehen wir von Italien ab, gab es bis vor 30 Jahren keine sonderlich große albanischsprachige Emigration irgendwohin.

Albanien war ein isoliertes Land.

Auch aus dem Kosovo kam die große Emigration erst in den 1990-ern.

In den größeren Städten der Industrieländer gibt es so gut wie keine albanischen Restaurants oder Cafes.

Griechen findet man vielleicht nicht an jeder Ecke, aber zuhauf.

Als Deutschsprachiger hat man zumindest eine realistische Vorstellung von griechischem Essen, und wahrscheinlich eine verkitschte von neu erfundenen folkloristischen Traditionen der Hellenen.

Was essen die Albaner? Weiß wieder keiner.

Die Segel zur Inselsprache

Dabei sind Essen und Trinken Bereiche, wo man einigermaßen viel Albanisch versteht, auch, wenn man die Sprache nicht spricht.

In der Kulinarik gibt es wie im Englischen viele Lehnwörter, einiges sind Ähnlichkeiten wie man sie in indoeuropäischen Sprachen häufig findet.

Fisch ist etwa peshku, ein lateinisches Lehnwort, Huhn ist pulë, ebenfalls ein romanisches Lehnwort.

Fleisch heißt mish, das ist ähnlich dem Wort meso in der Sprache ohne Namen, oder auch dem englischen meat.

Fasule sind Bohnen. Hier ist offen, ob das direkt aus dem Italienischen kommt oder den Umweg über das Türkische genommen hat.

Auch ujë me gaz kann man verstehen. Ujë erinnert stark an eau auf Französisch, me etwa an mit im Deutschen, und gaz ist selbsterklärend.

Albanisch ist eine der Sprachen, in denen sehr viele indoeuropäische Grammatiken zusammen vorzukommen scheinen – und hat gleichzeitig eine sehr eigene archaische Grammatik.

Natürlich gibt es auch viele Turzismen. Das kommt Menschen zugute, die sich häufig etwa in Bosnien, Serbien oder Mazedonien aufhalten und die dortigen Sprachen sprechen.

Qebap ist so einer, und man kann sich die Speise in etwa vorstellen – auch wenn es keine ćevapi im engeren Sinn sind, sind sie dem doch einigermaßen ähnlich.

Aus den südslawischen Sprachen hat man ein anderes Wort entlehnt.

Siehe hier.

Interessant ist noch, das es in Albanisch einen Turzismus gibt, an den man in der Sprache ohne Namen sofort einen Kroaten erkennt.

Kat bzw. kati – Stockwerk.

Die Serben und die Bosnier sagen dazu sprat.

Vermuten würde man eigentlich, dass sich Albanier, Bosnier und Serben hier einen Turzismus teilen würden – die waren lange unter osmanischer Herrschaft.

Die Kroaten waren das nicht.

Interessant auch eine andere sprachliche Ähnlichkeit zwischen Albanisch und dem kroatischen Idiom.

Bratwürstel heißen bei den Kroaten hrenovi, bei den Albanern kremviçe.

In Serbien und Bosnien nennt man das kobasica oder viršle – wobei in Bosnien durch kroatische Supermarktketten auch immer mehr der kroatische Begriff Einzug hält.

Das sind nur einzelne Wörter, aber sie erleichtern eine grundsätzliche Orientierung.

Und helfen vielleicht, dass die albanische Inselsprache zumindest als nicht mehr so exotisch gesehen wird.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.