Start Community
INTERVIEW

Balkanstories eines Österreichers: „Von den Bosniern lernte ich die Gelassenheit…“ (GALERIE)

FOTO: Petar Rosandic

Österreich ist heute zweifellos ein Land der vielen Balkanexperten. Noch größer ist die Zahl derer, die – allein schon durch die Größe und Zuwanderung der Ex-Yu-Community hierzulande – einen Bezug zu Menschen vom Balkan haben.

Der Journalist und Balkanstories-Blogger Christoph Baumgarten ist jedoch nicht nur ein ausgezeichneter Kenner des Balkans. Denn, im Unterschied zu den vielen anderen Experten kann man bei Baumgarten nicht nur von einem gesteigertem Interesse und einem vielseitigen, fundierten Wissen über den ex-jugoslawischen Raum sprechen. Das Phänomen Balkan hat den gebürtigen Leobener und Wahl-Ottakringer so sehr gepackt, dass er über Jahre hinweg alle fünf Wochen seines Urlaubs in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens verbringt.

In seiner Bibliothek findet man nicht nur die Klassiker von Ivo Andrić, die Anlage spielt nicht nur „Bijelo Dugme“ und in seinem Kühlschrank warten die nächsten ćevape darauf, in Leskovac-Manier gegrillt zu werden. Wenn Jugoslawien zur Sprache kommt, leuchten seine Augen und man wird den Eindruck nicht los, dass Baumgarten definitiv im falschen Land geboren wurde. Diese These widerlegt sich aber selbst, denn ohne die bosnischen Flüchtlingsfreunde aus der Kindheit und die späteren Wiener „Jugo-Hawara“ hätte er wohl nie seine eigentliche Heimat gefunden: die jugoslawische Seele.

Sein immer mehr beachteter Balkanstories-Blog zieht mittlerweile mit seinen Reiseberichten und politischen Kommentaren immer mehr Aufmerksamkeit auf sich.

KOSMO: Du bist in Leoben geboren, in Oberösterreich (Linz und Braunau) aufgewachsen und nun seit 21 Jahren in Wien. Wo und wie hast du dich mit dem Balkanvirus infiziert?
Baumgarten: Ich bin, wenn man so will, mehrfacher österreichischer Binnenmigrant. Der Bezug zu Ex-Jugoslawien begleitet mich aber eigentlich seit kleinauf, seit dem Kindergarten und meinem ersten bosnischen Freund Mario. Zwei Stöcke unter uns wohnten Slowenen, mit denen wir mehrmals im damaligen Jugoslawien auf Urlaub waren. Später, als Jugendlicher, lernte ich dann bosnische Flüchtlinge kennen, die in Braunau einquartiert wurden. Meine Eltern haben sie betreut, ihnen bei Behördenwegen geholfen und ich kam zum Genuss, mich in den Burek, die Pita und den bosnischen Kaffee zu verlieben. Spätestens dann war es um mich geschehen (lacht). Als ich dann zum Soziologie-Studium nach Wien kam, war mein Stammlokal in Wien das vom bosnischen Serben Milan, dem Besitzer des damaligen Irish-Pubs „Genius“ in der Florianigasse. Titos Bild hing im Lokal und viele Gastarbeiter erzählten nostalgische Geschichten. Irgendwie bin ich seitdem noch mehr in der Jugosphäre Wiens zuhause.

Dein Balkanstories-Blog ist auch für deine Reiseberichte aus Ex-Jugoslawien bekannt. Seit wann verbringst du deinen Urlaub fast ausschließlich am Balkan?
Ich gebe mir Mühe, die Länder des ehemaligen Jugoslawiens möglichst gerecht und vielseitig zu bereisen (lacht). Mittlerweile habe ich es auch geschafft, allen ehemaligen Teilrepubliken einen Besuch abzustatten. Die Reisen gingen aber erst so richtig los, als mich ein Grazer Freund einlud, dass wir gemeinsam in Belgrad Silvester feiern. Es war unvergesslich. Aber auch lehrreich. Hier wurde ja, vor allem während dem Balkankrieg, ein Bild verbreitet, dass die Serben als messerwetzende Menschenfresser dargestellt hat. Und dann bist du plötzlich in einer coolen, jungen Weltstadt wie Belgrad und dieses Bild löst sich komplett auf. In Belgrad habe ich wirklich gute Freunde mittlerweile, aber es ist immer ein innerer Kampf: Meine Herzensstadt ist ja eigentlich Sarajevo.

Hier siehst du einige Bilder von Christophs Reisen ins ehemalige Jugoslawien: (GALERIE – 5 FOTOS)

Wieso Sarajevo?
Sarajevo hat einfach eine gewisse einzigartige Magie, nicht nur in der Architektur, die von K & K bis zum Orient reicht. Und auch wenn es wie ein Klischee klingen mag: Diese Stadt war und ist einfach offen geblieben. Vor allem angesichts der Größe dieser Stadt, die ja jetzt keine Millionenstadt ist, ist diese Offenheit und dieser gelebte Pluralismus doch eine Seltenheit. Alleine schon die Künstlerdichte ist enorm. Ich fühle mich da sehr, sehr wohl. Es gibt kein Balkan-Urlaub ohne – zumindest – einige Tage in Sarajevo.

Ich, als gebürtiger Zagreber muss da jetzt nochmal nachhaken: Und was ist mit Agram?
Ganz ehrlich, ich war in Zagreb viel zu wenig, um die gleichen Gefühle wie für Belgrad oder Sarajevo zu haben. Ich kenne und habe aber viele gute Freunde in Zagreb. Den Zagrebern bin ich defnitiv noch was schuldig, da hast du Recht (lacht).

Wo bist du lieber: In einer bosnischen „kafana“ oder im Wiener Kaffeehaus?
Ganz ehrlich, die Wiener Kaffeehausmentalität halte ich für ein überschätztes Klischee. Es war früher vielleicht einmal so, aber in der kafana am Balkan sitzen die Leute tatsächlich über mehrere Stunden zusammen und reden noch miteinander. In der „kafana“ habe ich mir auch zum Großteil eine wichtige balkanesische, im speziellen bosnische Eigenschaft angeeignet: die Gelassenheit.

Du schreibst über den Balkan, bereist ihn und hast noch immer Hunger auf jede Geschichte, die irgendwie mit Ex-Jugoslawien zusammenhängt. Fühlst du dich noch als Österreicher?
Ich fühle mich die letzten 21 Jahre mehr wie ein Ottakringer. Natürlich sehe ich mich auch als Österreicher und eine Eigenschaft konnte ich trotz aller Balkanreisen- und Freundschaften nie ablegen: die Pünktlichkeit. Da komm ich nicht aus meiner Haut. Aber was Gastfreundschaft angeht, da bin ich definitiv eher am Balkan zuhause.

Wir sprechen viel über die schönen Seiten des Balkans. Andererseits ist gerade das ehemalige Jugoslawien vor nicht so langer Zeit noch Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen gewesen, die von brutalen Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen begleitet wurden. Hast du dich auch mit diesen Themen befasst?
Ich glaube, man kann sich nicht mit dem Balkan befassen und dieses Thema auslassen. Ja, es war ein sehr blutiges 20. Jahrhundert am Balkan. Am ehesten erkläre ich mir diese Folgen mit der furchtbaren wirtschaftlichen Situation, die von Nationalisten und Hetzern eiskalt ausgenutzt wurde. Wenn es dir eh schon geschissen geht, bist du natürlich ansprechbarer auf nationalistische Parolen. Zudem war die Politik der internationalen Gemeinschaft auch so, dass sie eine Neokolonialisierung und Entmündigung der Länder forciert hat. Inbesondere ist das heute in Bosnien und im Kosovo der Fall, die ja wie Protektorate funktionieren. Die westliche Politik arrangiert sich mit den Machthabern, unterstützt diese diplomatisch und diskret, aber zugleich passiert etwas, was man schon Ausplünderung nennen kann. Diese ist heute nicht mehr zu übersehen.

Meinst du mit Ausplünderung auch österreichische Unternehmen?
Klar meine ich diese auch. Schau dich mal im Stadtzentrum von Sarajevo, Zagreb oder Belgrad um. Überall österreichische Versicherungen und Banken.

Kehren wir zurück zu deinem Blog: Wann wurde die Idee geboren, Balkanstories zu gründen?
Als das Nationalmuseum in Sarajevo 2015 nach zwei Jahren wieder aufmachte, wollte ich unbedingt eine Geschichte darüber schreiben. Das Museum war ja geschlossen, weil man sich auf keine Finanzierung einigen konnte – und bis heute wird um diese noch immer gestritten. Wie auch immer: Ich fand trotz einigen Kontakten kein Medium, das Interesse an der Geschichte hatte. Da dachte ich mir: Ach, pfeif doch drauf, mach doch deinen eigenen Blog.

Heute sind schon viele auf deinen Blog in der deutschsprachigen Balkan-Community gestoßen. Die Zugriffszahlen sind auch erheblich im Steigen. Was ist heute das Ziel deines Blogs?
Naja, wie an der ersten Geschichte über das Nationalmuseum Sarajevos zu erkennen, war es mir ein Anliegen, Sachverhalte, Themen und Menschen zu bringen, die in den Mainstream-Medien nicht ihren Platz finden. Bei den Reisen versuche ich auch kulturelle Phänomene zu erklären oder auch einfach die Menschen zu beschreiben und zu zeigen. Durch die Menschen wird das Ganze erst lebendig. Ein Ziel ist es auch, diesen engstirnigen österreichischen Gastarbeiterblick auf den Balkan zu entschärfen: Viele denken ja hier noch immer, dass vom Balkan nur Putzfrauen und Bauarbeiter kommen.

Wenn man deinen Blog liest, im Speziellen aber die auf den Balkanreisen entstandenen Geschichten, hat man den Eindruck: Vieles entsteht auch spontan, vor Ort. Planst du, worüber du schreiben willst oder wie ist das bei Balkanstories?
Manchmal mache ich mir schon Interviews im Vorhinein aus, unter anderem wie das mit Vuk Draskovic, z.B. Aber im Großen und Ganzen sind es die kleinen, witzigen, spontanen Geschichten, die mich reizen. Sei es der Typ, der mitten in Sarajevo auf einer Brücke auf der Miljacka fischt. Das wäre am Donaukanal bei uns unvorstellbar. Oder der irakische Bildhauer von Travnik, der im Golfkrieg nach Bosnien geflüchtet ist und eigentlich vom Beruf als Friseur lebt, aber in Travnik vor allem dafür berühmt ist, der Stadt alle paar Jahre eine Skulptur zu schenken. Oft erlebe ich auch Überraschungen, wie ich mich plötzlich selber im montenegrinischen Sandzak, in Rozave, gefunden habe, und dabei vorher nicht mal wusste, dass es einen montenegrinischen Sandzak gibt. Durch die Geschichten von kleinen Leuten erzähle ich oder mache Ausblick auf die großen – oft erklärt eine kleine Geschichte ein darüber liegendes, gesellschaftliches Phänomen oder eine politische Auswirkung.

Was interessiert dich so gar nicht am Balkan?
Die Parteipolitik. Da sage selbst ich als enthusiastischer Balkanfan: Gute Nacht. Es ist immer wieder das Gleiche: die ganz nationalistischen gegen die weniger ganz nationalistischen und die dann gegen die, die nicht nationalistisch sind, aber dann doch ein bißchen nationalistisch sind. Parteipolitik am Balkan ist ein Trauerspiel. Egal in welchem Land des ehemaligen Jugoslawiens.

Turbofolk oder Jugorock?: Jugorock
Karlovačko oder Jelen?: Sarajevsko! (lacht)
Severina oder Karleuša?: Weder noch
Lieblings-Jugolokal in Wien: Talisman
Lieblingsspeise am Balkan: Sehr schwierig. Im Moment Klepe, weil es das nur unten gibt. Aber setzt du mir ein Prebranac oder irgendwas aus der Hausmannskost auf den Teller – bin ich überglücklich
Lieblingslokal in Belgrad: Mala Slavija zum Essen, Monk’s Bar
Lieblingslokal in Zagreb: Sirikiri
Lieblingslokal in Sarajevo: Galerija Boris Smoje
Lieblingsfußballklub: Wiener Sportklub

Du bist ein bekennender Jugoslawien-Fan, was man unschwer an deinen Requisiten erkennen kann – sei es das Feuerzeug oder auch T-Shirts, die du trägst. Was begeistert dich am einstigen Jugoslawien?
Es hatte in erster Linie ganz interessante Ansätze, aus denen man heute noch lernen kann, ja eigentlich lernen muss. Ich spreche vor allem von der Selbstverwaltung in den Betrieben, der breiten Demokratie im wirtschaftlichen Bereich. Es war zugleich das einzige kommunistische Land, in dem diese demokratische Mitbestimmung im ökonomischen Sektor derart gut funktioniert hat – und zwar über Jahrzehnte. Natürlich muss man sich das Scheitern anschauen und auch ich habe da meine halbgaren Theorien dazu. Meiner Meinung nach sollte auch ein künftiges Wirtschaftssystem auf so einer Basis funktionieren. Natürlich ist es auch interessant anzusehen, wie Jugoslawien vorhandene Nationalismen überwunden hat und die Tatsache, dass es ein deziditiertes antikoloniales Projekt war, aufgebaut auf sozialer Gerechtigkeit – ist ebenso beeindruckend. Fast die Hälfte des ehemaligen Jugoslawiens war bis 1918 unter österreich-ungarischer Herrschaft, die andere Hälfte unter osmanischer.

Der nationale Selbtsfindungsprozess ist eine spannende Geschichte, genauso wie die Außenpolitik Titos. Ich sehe diese durchaus kritischer als andere, aber ebenso muss man anerkennen: Er hat diplomatisch einen eigenen Status für das Land erkämpft und Wichtiges geleistet. Und das, das kann man durchaus so sagen, in einer Schlawiener-Manier. Natürlich, auch künstlerisch, vor allem musikalisch ist Jugoslawien ein spannendes Feld. Und ich persönlich glaube, dass je mehr Zeit seit dem Zerfall vergeht, desto mehr auch die Nostalgie und eine nüchterne Betrachtung Jugoslawiens sich durchsetzen wird. Mit allen Vor- und Nachteilen, die das Land hatte.

Du hast schon einige Reisen hinter dir, vieles davon ist nachzulesen auf deinem Blog. Was reizt dich? Gibt es eine Geschichte, die du unbedingt machen möchtest?
Ja, eine Geschichte möchte ich auf jeden Fall den Busfahrern widmen, die regelmäßig zwischen Balkan und Österreich fahren. Der Bus ist ja noch immer ein Medium, wo Verwandte den anderen Verwandten am Balkan etwas runterschicken. Es hat eine ganz eigene Bedeutung und ist eine Brücke zwischen Heimat und Diaspora. Und der Bus ist heute sehr oft das Verkehrsmittel, mit dem viele junge Menschen nach Europa auswandern. Auch das möchte ich in dieser Geschichte thematisieren.

Hier geht’s zu Christoph Baumgartens Balkanstories-Blog.