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EXKLUSIV

Serbiens berühmtester Demonstrant im Interview: „So will uns Vučić satanisieren!“

Haben die Proteste Ihrer Kenntnis nach Organisatoren oder laufen sie immer noch spontan?
Junge Menschen in Serbien sehnen sich nach einer Chance auf ein besseres und normaleres Leben. Ich bemerke in ihnen den Wunsch und die Absicht, Dinge zum Besseren zu verändern, weil die jetzige Situation nicht gut ist. Junge Menschen wollen ihren Beitrag mit Wissen und Arbeit leisten, aber in einer Gesellschaft, die ihr Potenzial auch anerkennt. Ich hoffe aufrichtig, dass die Voraussetzungen für den Aufbau einer gesunden Gesellschaft geschaffen werden, in der wir den Platz haben werden, der uns gehört. Soweit ich weiß, sind die Proteste immer noch spontan. Junge Leute gehen auf die Straße, so wie ich es tat. Wir haben doch nur die Absicht, unsere Unzufriedenheit zu zeigen. Wir wollen Veränderung.

Wer greift die Polizei aus den Demo-Reihen an: Sind es Leute, die zur Bewegung gehören? Oder sind es, wie manche spekulieren, von der Regierung eingesetzte Leute, die Unruhe stiften sollen?
Ich kann dazu nichts sagen. Die zuständigen Behörden befassen sich mit diesem Thema. Ich weiß nur, dass die meisten von uns die Polizei nicht angreifen, Gegenstände brechen oder Sachen in Brand setzen. Wir gehören zu den einfachen, unzufriedenen Menschen, nicht zu den Unterdrückern.

Es ist offensichtlich, dass die Demonstranten keine Oppositionsführer in ihren Reihen wollen. Wie erklären Sie das?
Anscheinend erkannten die Menschen die Tatsache, dass sie machtlos sind und dass sie mittlerweile so hilflos sind, dass sie den Staat nicht retten können, weder materiell noch sonstig. Es ist eine spontane und aufrichtige Reaktion der Bevölkerung, die eine neue, junge und ehrliche Person suchen.

Was für ein Serbien möchten Sie für Ihren Sohn?
Ich möchte ein humanes, bürgerliches und patriotisches Serbien ohne Gewalt und einen allgemeinen Wohlstand aller sozialen Bereiche. Ich möchte, dass mein Sohn in einem kosmopolitischen Umfeld aufwächst, welches vom Gedanken der Freiheit getragen ist. Das wollen doch alle Eltern für ihre Kinder. Ich bin davon überzeugt, dass wir ein gutes und menschliches Volk sind, das bereit ist, alles, was gut ist, zu unterstützen. Wir verdienen die Bedingungen, unter denen wir all unsere positiven Eigenschaften zeigen und ausdrücken können.

Wer hat die T-Shirts mit der Aufschrift „Za tebe, ćale“ gedruckt? Für welchen Zweck?
Es gibt immer einen Moment, in dem wohlmeinende Menschen Ehrlichkeit erkennen und unterstützen. Das Ziel ist es, die Aufmerksamkeit auf meinen Schrei und meinen Ruf nach Wahrheit und Gerechtigkeit zu lenken. Es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Menschen, die darin ihre eigene Qual und ihre eigene Geschichte erkannt haben.

Zum Schluss: Wenn Sie Einfluss auf die Politik hätten, was würden Sie wollen?
Ich möchte, dass wir unter den Bedingungen einer normalen parlamentarischen Demokratie leben. Es sollen mehrere Parteien einflussreich sein, nicht nur eine, die ein ganzes Monopol hat. Es wäre eine gesunde Gesellschaft, in der sie sich gegenseitig kontrollieren könnten. So funktioniert Demokratie. In unserem Land sind die Wahlen aber bedeutungslos geworden, weil Vučićs SNS keine Konkurrenz hat. Ich glaube, dass die wenigen Menschen, die noch zur Wahl gehen, für sie stimmen, weil sie keine wirkliche Wahl haben. Unter diesen Bedingungen haben die Menschen die Hoffnung verloren, dass sich etwas ändern kann. Alles ist in der Funktion der Regierung und deshalb blieb der Protest der einzige Weg, um unsere Unzufriedenheit auszudrücken, natürlich ohne Gewalt. Wir jungen Leute sollten Bedingungen für ein besseres Leben schaffen und nicht ins Ausland gehen. Wir müssen die Chance bekommen, für unser Volk und unser schönes Land zu arbeiten. Die Medien müssen befreit werden und die Möglichkeit erhalten, eine andere Meinung zu hören. Die Vučić-Partei SNS kann doch nicht alle unsere Lebensbereiche in der Hand haben, so wie es jetzt ist. Sie haben doch meinen Fall gesehen, ihn mitbekommen. Und ich bin nur einer von vielen.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.