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REPORTAGE

Bettler – Das Leid auf Wiens Straßen (GALERIE)

FOTO: Amel Topcagic

EIN MENSCHENRECHT. Bettler sind in den letzten Jahren in Wien unübersehbar präsent. Die Konfrontation mit der schrecklichen Armut weckt in den Bürgern ein Gefühl der Belästigung und auch das veränderte Stadtbild gefällt ihnen nicht.

Im multikulturellen Wien, wo die Bürger an Vielfalt gewöhnt sind, ruft das Betteln unterschiedliche Reaktionen hervor. Man kann nicht sagen, dass sich die Wiener über die Bettler ärgern, im Gegenteil. Es ist eher Verbitterung über die sozialen Verhältnisse in einzelnen EU-Mitgliedstaaten, die sich aufgrund der offenen Grenzen nach Österreich ergießen. Unzufriedenheit rufen vor allem Berichte hervor, dass eine sogenannte Bettel-Mafia die Armen organisiert nach Österreich bringt und von ihren illegalen Aktivitäten massiv profitiert.

Es wird behauptet, und auch von den Medien wird das bisweilen berichtet, dass Gruppen von ca. 20 Menschen in Räume ohne elementare Hygienebedingungen und sonstige Voraussetzungen gepfercht und von dort aus am Morgen an ihre verschiedenen Standorte gebracht werden, an denen sie den ganzen Tag stehen und betteln. Natürlich wird ihnen der Großteil des gesammelten Geldes weggenommen.

Auf der Suche nach Bettlern
Die Suche nach Bettlern in Wien war für das KOSMO-Team nicht schwer, denn es gibt tatsächlich viele von ihnen. Unser Ziel war es, wegen der leichteren Verständigung Bulgaren zu suchen, denn mit Rumänen ist das schwieriger. Und wir hatten Glück. Obwohl der Tag sonnig und warm war, hatten alle dicke Jacken und Kappen an, vielleicht weil die Temperaturen in der Nacht sinken und es kalt ist, wenn man im Freien schläft. Und vielleicht ist das auch ihr einziger Besitz.

Hygienisch sind sie ungepflegt und ein unangenehmer Geruch umgibt die meisten. Sie wirken verschreckt, wenn man sie fragt, wie sie nach Österreich gekommen sind, und absolut alle kennen die Caritas und wissen, welche Hilfe man dort erhalten kann. Fast alle Geschichten wirken wie auswendig gelernt und überwiegend unehrlich.

Das Bettelverbot steht in direktem Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention.

Sinan (23)
Obwohl er in eine dicke Jacke gekleidet ist und eine Kappe auf dem Kopf trägt, kann er seine Magerkeit nicht verbergen. Hygienisch wirkt er sehr vernachlässigt. Er radebrecht ein wenig Deutsch, denn er ist, wie er behauptet, bereits seit zwei Jahren in Wien. Er lebt ausschließlich vom Betteln. „Ich bin hierhergekommen, weil es in Bulgarien für mich katastrophal war. Dort herrscht echte Not und ich habe keine Familie, kein Haus, nichts. Daher ist es für mich besser, hier auf der Straße zu leben, als dorthin zurückzukehren. Ich habe keine Arbeit und habe auch gar nicht danach gesucht, denn ich glaube nicht, dass mich jemand nehmen würde. Weil ich nicht stehlen oder mit Drogen dealen will, wie viele andere es tun, bettele ich.

Sinan: „Die Polizei vertreibt mich und erhebt Geldstrafen. Die Strafe beträgt 100 Euro, aber ich habe dieses Geld nicht. Daher gehe ich für vier Tage ins Gefängnis am Schottentor.“ (FOTO: Amel Topcagic)

Hier geben mir die Leute Kleingeld oder Essen, das tut in Bulgarien niemand, denn die Leute sind fast alle arm. Manchmal kommt die Polizei und schickt mich weg und bestraft mich auch mit Geldstrafen. Die Strafe beträgt 100 Euro und dieses Geld habe ich nicht. Darum gehe ich dann ins Gefängnis am Schottentor. Dort verbringe ich vier Tage, kann duschen und habe einen Schlafplatz. Ich bekomme dort auch schlechtes Essen, das an Spülwasser erinnert. Bisher war ich viermal im Gefängnis, aber das finde ich nicht schlimm. Wenn das Wetter schön ist, schlafe ich sonst im Park und im Winter im Westbahnhof. Ich dusche mich manchmal bei der Caritas, aber dort bekomme ich kein Essen oder Trinken“, sagt uns Sinan.

Nena (68)
Alt und sichtlich ausgelaugt sitzt die Frau auf einigen Zeitungsseiten in der Nähe einer U-Bahn-Station. Neben sich hat sie ein Plastiksackerl, das sie sorgsam hütet. Misstrauisch und ängstlich antwortet sie nur einsilbig auf unsere Fragen und stöhnt, als hätte sie Schmerzen.

Nena: „Aus Bulgarien bin ich vor drei Tagen mit einem Freund per LKW gekommen. Ich habe für die Fahrt nichts bezahlt und es war auch niemand sonst bei uns. Ich schlafe bei der Caritas.“ (FOTO: Amel Topcagic)

„Ich bin vor drei Tagen mit einem Freund per LKW aus Bulgarien gekommen. Ich musste für die Fahrt nichts zahlen und es war niemand anderer bei uns. Ich schlafe bei der Caritas, aber dort geben sie uns kein Essen. Ich habe vier Kinder und viele Enkel in Bulgarien, die alle arm sind und mir nicht helfen können. Darum muss ich betteln. Morgen fahre ich zurück nach Hause“, erzählt die Alte und dann steht sie unter Schmerzen vom Asphalt auf und erklärt, dass sie dringend auf die Toilette muss. Aus Furcht vor der journalistischen Neugier wiederholt sie, dass sie überhaupt nicht bettelt, sondern sich nur ausruht, weil sie nicht gehen kann. Sie schaut um sich, während sie die Straße überquert, und vermittelt uns den Eindruck, dass sie sich fürchtet, weil sie mit uns gesprochen hat. Einige Tage später saß sie wieder an der gleichen Stelle.

Natka (54)
Sie liegt fast auf der Straße. Ein Bein ist auf ganzer Länger stark geschwollen. Es ist eindeutig, dass sie krank ist, aber sie möchte reden.

„Ich habe Gebärmutterkrebs und jetzt auch an den Lymphknoten. Ich wurde mehrmals operiert und ich habe Diabetes. Ich kann nur schwer gehen und habe ständig Schmerzen. In Bulgarien habe ich eine Pension von 200 Euro, aber das reicht nicht für den Arzt, denn eine Untersuchung kostet 80 Lew. Ich habe zwei Söhne, aber die haben nicht genug für sich selber. Schon zum zweiten Mal sind mein Mann und ich nach Wien gekommen, um zu betteln. Dazu haben wir uns entschieden, weil sein Bruder schon seit zehn Jahren davon lebt. Zuerst haben wir bei der Caritas gewohnt, aber die haben uns getrennt, wir durften nicht gemeinsam schlafen.

Natka: Mein Mann und ich zahlen einem Wiener Türken für eine Wohnung täglich sieben Euro pro Person. (FOTO: Amel Topcagic)

Darum haben wir uns mit einem türkischen Ehepaar aus Bulgarien zusammengetan und eine Wohnung bei einem Wiener Türken gemietet. Täglich zahlen wir ihm sieben Euro pro Person. Das ist teuer für uns, aber es ist besser als bei der Caritas, denn wir haben ein Zimmer, können duschen, unsere Kleidung waschen und Essen zubereiten. Wir kochen Kartoffeln, Bohnen und Reis, darum sind wir immer hungrig. Die Passanten geben mir 10 bis 15 Euro täglich, und mein Mann bekommt genauso viel. Aber wenn Polizisten vorbeikommen, fragen sie nach meinem Personalausweis und schreien: weg, weg! Viele sind schlecht. In Bulgarien ist das nicht so, und angeblich auch in Serbien nicht, aber dort haben die Leute kein Geld.

Wir bleiben bis Mai in Wien, aber wahrscheinlich kommen wir wieder, denn das ist für uns die einzige Möglichkeit zu überleben“, erzählt die arme Frau und fügt hinzu, dass wir ihr kein Geld zu geben brauchen. Sie klagt, dass sie sich schämt, dass ihr Bild in die Zeitung kommt.

Ilija (46)
Auf einem Stück Karton hat ihm jemand in schlechtem Deutsch aufgeschrieben, dass er zwei Kinder hat, für die er um Hilfe bittet. Wortlos sitzt er da und wartet mit einem Becher vor sich. Er entschließt sich nur schwer zum Sprechen. Er ist beklommen. Dennoch antwortet er auf unsere Fragen, vielleicht auch aufgrund der Sprache, in der wir ihn anreden.

Ilija: „Im nächsten Monat kehre ich nach Hause zurück, sobald ich 60 Euro zusammenhabe. Ich muss den Kindern das Geld bringen.“ (FOTO: Amel Topcagic)

„In Bulgarien habe ich zwei Kinder im Alter von drei und vier Jahren. Ich habe keine Frau, darum passt meine Schwester auf die Kinder auf. Vor zehn Tagen bin ich mit dem Bus nach Wien gekommen. Ich schlafe in einem Bahnhof und tagsüber bettele ich. Die Polizei vertreibt mich und nimmt mir das gesammelte Geld ab. Das sind nie mehr als vier – fünf Euro, denn ich lasse nicht alles, was ich bekomme, in dem Becher. Kaum jemand gibt mir Geld, es wird immer schlechter. Ich war bisher zweimal in Wien. Einmal war ich einen Monat bei der Caritas, aber diesmal habe ich nicht einmal versucht, dorthin zu gehen. Im nächsten Monat fahre ich nach Hause, sobald ich 60 Euro zusammenhabe.

Ich muss das Geld für die Kinder heimbringen. Ich weiß nicht, ob ganze Gruppen unserer Landsleute zum Betteln nach Wien kommen. Ich kenne keine anderen Bulgaren und die Rumänen verstehe ich nicht“, behauptet der allzu früh gealterte Mann und weicht unserem Blick aus. Es ist offensichtlich, dass er etwas verbirgt.

Georgi (33)
Die Gruppe von drei jungen Leuten stand nicht an einem belebten Platz. Sie saßen am Randstein des Gehsteigs, umgeben von vielen Plastiksackerln. Es sah aus, als machten sie gerade eine Pause, aber sie strahlten etwas aus, das nicht vertrauenserweckend war. Als wir uns ihnen näherten, fragte uns der Führer der Gruppe nach einer Zigarette, aber auf Fragen wollte er nicht antworten, solange er kein Geld bekommt. Die anderen beiden, ein Ehepaar, sind schnell verschwunden, als die den Fotografen erblickten.

Georgi: „Ich bekomme täglich 15 – 20 Euro. Ich bin offiziell hier, ich habe einen Pass, ich bin Europäer.“ (FOTO: Amel Topcagic)

„Wir arbeiten in Wien, denn in Bulgarien gibt es keine Arbeit, kein Essen und keine Zukunft. Darum komme ich nach Wien und bettele auf der Straße. Täglich bekomme ich 15 – 20 Euro, was nicht viel ist, denn dies ist eine reiche Stadt. Probleme macht mir die scharfe Polizei. Wenn sie mich beim Betteln ertappen, beträgt die Strafe 220 Euro, aber statt, dass ich zahle, gehe ich ins Gefängnis. In Bulgarien habe ich eine Frau und drei Kinder. Sie erwarten, dass ich ihnen das Geld zum Leben bringe, und wenn ich ins Gefängnis gehe, habe ich gleich weniger Geld, denn an diesen Tagen kann ich nicht betteln. Ich spare jeden Cent.

STRAFE „Statt 220 Euro zu zahlen, gehe ich vier Tage ins Gefängnis.“

Ich schlafe am Westbahnhof, dusche mich bei der Caritas. Das ist ein schweres Leben, aber ich muss es aushalten wegen meiner Familie. Es gibt in Wien auch viele Rumänen. Ich verstehe sie nicht, aber ich habe gehört, dass sie in Gruppen kommen. Wir Bulgaren kommen einzeln. Ich bin offiziell hier, ich habe einen Pass, ich bin Europäer. Ich komme nur nach Österreich. In anderen Ländern versuche ich es gar nicht. Ich bleibe einen Monat und fahre wieder nach Hause”, verkündet der stolze EU-Bürger.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.