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WIEN-ANSCHLAG

Bosnische Imame in Wien: „Terrorismus hat keine Religion“

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Imam Salim Mujkanović vom Islamischen Zentrum in Wien und Religionslehrer Ishak Ahmetović. Foto: Privat, zVg

Der Schock in der muslimischen Community sitzt einem Tag nach dem Terror-Anschlag von Wien noch immer tief. 

Auch die bosnischen Imame in der Bundeshauptstadt sind von einer schlaflosen Nacht gezeichnet. Die Stimme von Imam Salim Mujkanović, zugleich Pressesprecher des Islamischen Zentrums in Wien, klingt sowohl besorgt als auch erschüttert. „Als ich den Fernseher einschaltete und mir klar war, was in unserer Stadt passiert ist, hatte ich nur eine Bitte: Bitte, bitte, nur niemand, der sich wieder auf den Islam beruft“, erinnert sich Mujkanović an den letzten Abend. Man sei im Islamischen Zentrum tief erschüttert und betroffen, weil man „sich als Teil von Wien und Österreich sehe und dazu auch bekenne“. 

„Auch als Elternteil hatte ich persönlich eine schwere Nacht. Auch meine Kinder hat das sehr betroffen gemacht, was da passsiert. Unsere Gedanken sind bei den Opfern und bei deren Angehörigen“, sagt Mujkanović, als wir ihn per Telefon erreichen.

„Wieso wurde er aus der Haft entlassen?“
Sowohl Mujkanović als auch der bosnische Theologe Ishak Ahmetović zeigen große Anteilnahme und wollen bald auch gemeinsame, interreligiöse Gegen-Akzente zur Tat radikaler Extremisten setzen. „Man sagt im Islam: Der, der jemanden tötet, hat die ganze Welt getötet. Das sollte genügen, um zu verstehen, dass es sich um einen verirrten Fanatiker handelt“, erklärt uns der Theologe Ahmetović und wirkt dabei noch sichtlich erschüttert von den Ereignissen.

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Gepostet von KOSMO am Dienstag, 3. November 2020

„Wir müssen gemeinsam die Hintergründ dieses Falles erforschen und im Dialog, mit gegenseitigem Respekt das Phänomen der Radikalisierung unter Jugendlichen noch mehr beleuchten, ohne dabei eine ganze Religion und deren Gläubige zu verurteilen“, so Mujkanović, Imam des Islamischen Zentrums in Wien der jahrelang auch viel mit Deradikalisierung zu tun hatte.

Dass der junge Attentäter aus der Haft entlassen wurde, lässt für den Religionslehrer Ahmetović viele Fragen offen. „Es ist daweil von einer Einzelperson die Rede, die im Dezember 2019 aus der Haft entlassen wurde. Was ich mich schon frage: Wieso eine amtsbekannte Person mit einem derart extremistischen Hintergrund aus der Haft entlassen wird?“, sagt Ahmetović im Gespräch mit KOSMO.

„Innenmisterium muss Dialog suchen“

Sowohl Ahmetović als auch Mujkanović betonen, dass in ihrem breiten Netzwerk an muslimischen Gemeinden niemand über den jungen Mann Bescheid wusste. „Solche Menschen organisieren sich meistens nicht in ‚normalen‘ Moscheen, sondern bauen sich ihr eigenes Weltbild zusammen, gestrickt auf IS-Videos und anderen Gewalt-Phantasien aus dem Internet. Wir müssen Wege finden, Gehör bei diesen Jugendlichen zu finden und sie für eine friedliche Gesellschaft zu gewinnen“, sagt Mujkanović.

Mit Politikern gebe es einen Dialog und es kommen regelmäßig auch Vertreter von Parlamentsparteien ins Islamische Zentrum in Wien. „Aber da gehört definitiv noch mehr gemacht – auf allen Seiten“, fügt Mujkanović hinzu. „Das Innenministerium sollte sich mit Verantwortlichen aus der muslimischen Glaubensgemeinschaft an einen Tisch setzen und Strategien herausarbeiten. Gemeinsam können wir so Bilder wie die von gestern verhindern“, ist Ahmetović überzeugt. Es gehe darum, gemeinsam Deradikalisierungsstrategien zu erarbeiten, betont Mujkanović.

„Terrorismus ist unser aller Feind“
Der langjährige Religionslehrer Ahmetović bittet aber auch darum, dass man „gegen alle Extremismen“ kämpft und alle Gefahren ernstnimmt. „Vor einigen Jahren war es ein Rechtsradikaler in Norwegen, dann kam Christchurch und Neuseeland. Jetzt ist es Wien, jetzt ist es ein Muslime. Wir müssen gegen alle Extremismen gleichzeitig und gemeinsam auftreten. Nur so können wir als Gesellschaft einen gemeinsamen, für alle gangbaren Weg finden“, ist der Theologe überzeugt, der in der bosnisch-muslimischen Community vor allem für die von ihm geführten Pilgerreisen nach Mekka und Medina bekannt ist.

Lob für Kurz
Ahmetović hatte bei aller Kritik auch Lob für die heutige Ansprache von Sebastian Kurz. „Es ist gut, dass Kurz klargestellt hat, dass der Islam selbst mit der Terror-Tat nichts zu tun hatte. Wir sind ihm für diese Worte diesmal dankbar“, so Ahmetović.