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GESCHICHTE

Ceca, Papierfähnchen und Bokis Strandbücher

Rade kennt Boki nicht, Boki kennt Rade nicht, und das hat einen gemeinsamen Grund

Ich finde Boki auf der Strandpromenade nicht. Auch auf den Stränden in der Nähe bemerke ich die doch eher auffällige Gestalt eines Fischerhutträgers mit Rucksack und dem Arm voller Bücher nicht.

Ich beschließe morgen wiederzukommen und am Abend Rade zu fragen, was er denn so weiß über den Bücherverkäufer von Strand.

Wenn jemand alle Buchhändler der Stadt kennt, ist es sicher der Betreiber der kleinsten Buchhandlung der Welt. (Siehe diese Reportage.)

„Was wirklich? Da verkauft jemand Bücher am Strand?“, fragt mich Rade überrascht.

„Also wirklich am Strand, und nicht auf der Strandpromenade?“

„Ja, der geht direkt von Liegestuhl zu Liegestuhl“.

Rade gefällt das. „Das hab ich noch nie gehört.“

„Das ist eine gute Idee, aber sicher ein schweres Geschäft“, seufzt er. „Heute starren die Leute doch meistens auf Handy. Sogar, wenn sie am Strand sind. Die meisten lesen nicht mal Zeitung.“

Außer die zwei hinter mir, denk ich mir.

Der Pensionist mit Blic, dem Drecksblatt aus Beograd.

Später hat er mit einem jüngeren Mann neben ihm getauscht und die Večernje novosti in der Hand gehalten, ein nur wenig gehaltvolleres Blatt, ebenfalls aus der serbischen Hauptstadt.

Vielleicht ist der jüngere sein Sohn. Mit wem tauscht du sonst Zeitung am Strand?

Ähnlich schauen tun sich die beiden nicht.

Auch Srđan und Novak ähneln sich kein bisschen. Sehr ausgesprochen, sogar.

„Aber es ist nicht überraschend, dass ich den Strandverkäufer nicht kenne“, sagt Rade. „Ich geh immer nur in der Früh an den Strand, wenn noch keine Leute dort sind.“

Auch Boki hat Rade noch nie gesehen, zumindest nicht bewusst.

Die Vermutung, das gegenseitige Nicht-Kennen könnte einen gemeinsamen Grund haben, wird sich am nächsten Tag bestätigen.

„Seit über 20 Jahren mach ich das schon“, erzählt mir Boki. „Jeden Sommer bin ich hier und verkaufe Bücher am Strand. Die Leute haben am Strand eben gerne was zu lesen“.

Vor den Smartphones sei das Geschäft besser gewesen, aber es funktioniere immer noch.

Warum gerade diese Saisonarbeit und keine andere, frag ich ihn.

„Zuhause hab ich einen Online-Versandhandel, und in den drei Monaten in Herceg Novi verdien ich mehr als sonst im ganzen Jahr“, verrät er mir. „Und ich liebe Bücher, weißt du. Bücher sind unsere wahren Freunde. Ein Leben ohne Bücher, was ist das schon?“

Was er verkauft, richtet sich nach dem erwarteten Geschmack der Leserschaft in der Saison.

Hier orientiert sich Boki vorwiegend an Verkaufslisten und an seiner Erfahrung.

„Was Schweres, das wollen die Leute natürlich meistens nicht. Frauen wollen mehr Liebesgeschichten und persönlichere Romane, Männer ein bisschen mehr Politik und Action.

Nächste Woche fährt er wieder heim, sagt er mir.

Da ist die Saison vorbei. Und sein Touristenvisum läuft ab.

Boki ist Bosnier.

Was soll er auch sonst sein?

Er kommt aus der Gegend von Banja Luka. Mehr sei hier nicht verraten.

Seine Verkaufstätigkeiten haben nicht zwingend einen montenegrinischen Gewerbeschein als Grundlage.

Vielleicht heißt Boki auch nicht Bogdan. Vielleicht hat er einen anderen Namen, der hier nicht genannt wird, um ihm nicht zu schaden.

Fünf Euro kostet ein Buch bei ihm, verrät er mir.

„Ich bezieh sie direkt über Großhändler in Bosnien“, sagt Boki und lächelt verschmitzt.

Am Abend wird er sich die letzte Fuhre dieser Saison irgendwo in der Gegend abholen. Frisch über die Grenze gebracht.

Wie, wann und wo, bleibt ein Geheimnis.

Im Vergleich zu den Mengen an Tabak und Zigaretten, die bis heute aus Montenegro herausgeschmuggelt werden, scheinen ein paar Bücher, die am Zoll vorbei nach Montengro hereingebracht werden, auch ein eher überschaubares Delikt zu sein.

„Die nächsten paar Tage werde ich versuchen, möglichst alle Bücher anzubringen“, verrät mir Boki. „Wer weiß, ob sie nächste Saison noch gefragt sind.“

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.