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Daniel Hadrović: „Kakophonie birgt Schöpfungskraft”

An der Entstehung des Films „Herr Berger sucht einen Sohn“ warst du weder als Regisseur noch als Autor beteiligt, sondern als Presse- und PR-Manager. Wie war diese Erfahrung für dich?
Man könnte der Annahme erliegen, ich wäre im Rahmen dessen durchs Land gereist, hätte irgendwelche Konferenzen gehalten und damit hunderte Euros verdient. Dem war leider nicht so. Ich hatte im Zuge meiner PR-Tätigkeit zu „Herr Berger sucht einen Sohn“ Info-Schreiben und Pressemitteilungen an Kunst- und Schauspielschulen verschickt, eine Wikipedia-Seite erstellt, ferner einen Theaterschauspieler für die Fortsetzung angeworben und die Option eines Radiointerviews und eines Zeitungsartikels für den Regisseur Thomas Goersch akquiriert, der sich vornehmlich als Schauspieler und Moderator betätigt. Ich wollte mich für sein Vertrauen und Einfühlungsvermögen am Set von „Töte mich noch einmal“ revanchieren.

DRAMA: „Ihr Potenzial muss in ein-fachen Dingen verortet sein.“

Deine Kunstwerke, wie z.B. die Anthologie „Küss mich, Stalker“ und der Film „Töte mich noch einmal“, erzählen von unterschiedlichen, komplexen Abgründen des menschlichen Lebens. Doch du sagst für von dir selbst, dass du ein „einfacher Mensch“ bist. Wieso inspiriert dich dann das Drama?
Kakophonie birgt Schöpfungskraft, aber es sind die stillen Momente, die den Akt vollenden. Meine Kindheit und Jugend waren oft laut und chaotisch, aber ich begann erst im Erwachsenenalter zu begreifen, dass es nicht das Gewöhnlichste auf der Welt ist, als Kind eine Zeit lang im Frauenhaus zu leben, ebenso wie auf dem Weg in den Kroatien-Urlaub an ausgebrannten Panzern vorbeizufahren, in Frankfurt um ein Haar erschossen zu werden, am Belgrader Hauptbahnhof einen heimtückischen Mord zu beobachten, wieder in Frankfurt jahrelang in einer schäbigen Bruchbude Tür an Tür mit dem organisierten Verbrechen zu wohnen und dann bei einer Razzia mit gezückten Waffen unsanft aus dem eigenen Einzimmerappartement gezerrt zu werden und vieles mehr.
Das alles ist mehr Action als Drama gewesen, aber Konfuzius wird doch die Aussage zugeschrieben, dass die wichtigsten Triebe des Menschen Trank, Speise und Liebesgenuss sind. Demnach muss Abseits des ganzen Wahnsinns auf der Welt das größte Potential für ein gutes Drama in einfachen Dingen verortet sein. Ich bin ein einfacherer Mensch als in meiner Jugend, weil ich heute Ursache und Wirkung besser verstehe.

Du ordnest deine Anthologie „Küss mich, Stalker“ der „experimentellen Literatur“ ein. Was wird genau darunter verstanden und warum hast du dich für dieses Genre entschieden?
Experimentelle Literatur kann beim Erstkontakt wie zu Papier gebrachte Anarchie wirken. Der Autor wird vielleicht beim Schreiben eine befreiende Wirkung verspürt haben, weil er seinem Unterbewusstsein eine Bühne geben durfte, was beim Leser wiederrum bestenfalls nicht nur die Fantasie anregt, sondern ihn sogar dazu verleitet, sich auch daran zu versuchen. Dieser kann dann selbst nicht nur schreiben was er will, sondern wie er will. Die ersten Surrealisten haben bestimmte Merkmale definiert, aber beim eigenen Werk muss man sich nicht vor anderen rechtfertigen. Vielleicht hatte ich mich für Experimentelle Literatur entschieden, weil ich zum Zeitpunkt der Entstehung nicht nur beim Schreiben keine Lust hatte, Regeln zu befolgen, sondern auch im realen Leben. Kann sein, dass ich es heute ein ganz klein wenig anders machen würde, was nicht bedeutet, dass ich bedauere, bestimmte Methoden gewählt zu haben.

„Leicht übernatürliche und surreale Elemen-te in realistischem Szenario sind mein Ding.”

Hast du vor, dich in einem anderen Genre auszuprobieren?
Nicht unbedingt. Leicht übernatürliche und surreale Elemente in realistischem Szenario sind mein Ding und diesen Bereich werde ich vermutlich nicht so schnell verlassen. Wahrscheinlicher ist, dass ich meinen Stil ändere und dadurch meine Literaturexperimente von anderen nicht mehr so leicht als solche erkannt werden.

Hast du Bezug zu der Kunstszene am Balkan und kannst du eine Parallele zwischen ihr und der im deutschsprachigen Raum ziehen?
Ich spreche leider nicht sehr gut kroatisch oder serbisch und lebe in Frankfurt, weshalb meine Kontakte zur Balkanszene nur hauchdünn sind und auf deutschem Boden entstanden, aber es ergaben sich Gelegenheiten für Zusammenarbeiten. Mit der Künstlerin Anna-Maria Alexandra von Neumann, welche slowenische Wurzeln hat, und mit der kroatischen Autorin Marijana Dokoza hatte ich schöne Auftritte.
Außerdem wurde mir die Ehre zuteil, zwei Jahre hintereinander für den kroatischen Heimatpreis „Večernjakova domovnica“ nominiert zu sein. 2020 wurde mir als Regisseur einer der heißbegehrten Awards in der Rubrik „Schauspieler und Regisseure“ verliehen.

Welchen Projekten möchtest du dich in der nahen Zukunft widmen? Können wir bald von dir ein neues Buch oder einen neuen Film erwarten?
Ich würde nach längerer Literaturabstinenz gerne wieder ein Buch veröffentlichen, aber wenn man den Wunsch hat, es bei einem seriösen Verlag unterzubringen, braucht man Ausdauervermögen und Geduld. Experimentalfilme haben es da einfacher, weil man eine Veröffentlichung bei einem großen Mainstream-Vertrieb grundsätzlich ausschließen kann. Wir haben ja schon ein paar Szenen von „Totengrund“ gedreht – die Corona-Eindämmungsmaßnahmen zwangen uns nicht nur Abstandsregeln einzuhalten, sondern wir mussten auch auf ausreichende Belüftung achten, stellten Flächen- und Händedesinfektion zur Verfügung und erfüllten auch ähnlich wie bei einer großen Produktion die restlichen Vorschriften. Eine große Hilfe war der Frankfurter Schriftsteller Jannis Plastargias, denn er castete blitzschnell zusätzliche Darsteller, als ein Teil absprang. „Totengrund“ ist in Produktion und wir arbeiten daran, trotz staatlich verhängter Einschränkungen, das Projekt zeitnah abzuschließen.