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LUKAS MANDL

„Die albanischen und serbischen Fahnen im Kosovo zeugen von fehlendem Vertrauen“

(FOTO: EU EOM Kosovo 2021/Büro Lukas Mandl)

Lukas Mandl (ÖVP) ist Abgeordneter des EU-Parlaments und war bei den Kommunalwahlen im Kosovo Leiter der Wahlbeobachtungsmission. Als erster Österreicher in solch einer Position sprachen wir mit ihm über die Wahlen im jüngsten Staat Europas, aber auch über die Situation am Westbalkan generell und dessen EU-Perspektive.

KOSMO: Sie waren der erste Österreicher, der eine Wahlbeobachtungsmission der Europäischen Union im Kosovo leitete. Was bedeutete diese Nominierung für Sie persönlich und für Österreich?
Lukas Mandl:
Es bedeutet mir sehr viel und ich hoffe, dass ich als Österreicher ─ ganz nach meinem Motto „Rot-Weiß-Rot in Europa“ auch einen Beitrag leisten kann. Ich konnte durch die Nominierung zu zwei Dingen beitragen, die mir sehr am Herzen liegen: zur Demokratie und zur europäischen Perspektive des Kosovo. Das sind im Wesentlichen auch die zwei großen Punkte, um welche es bei der Wahlbeobachtungsmission geht. Der Westbalkan ist für Österreich und ganz Europa von großer Wichtigkeit. Wir, als Österreich, müssen hier Aufklärungsarbeit leisten, warum die Region für uns alle so bedeutend ist.

Worin liegen die Gründe dafür, dass einige europäische Länder den Westbalkan stiefmütterlich behandeln und nicht für besonders wichtig erachten?
Ein Grund dafür sind die schlichte geographische Distanz und weniger direkter menschlicher Kontakt. Auf der anderen Seite mangelt es schlichtweg auch oftmals am Wissen: wie groß der Westbalkan ist, wie viele Menschen dort leben, wie jung viele der Länder sind, welche Chancen das bietet und dergleichen. Der Balkan könnte vor allem im IT-Bereich so etwas wie das Silicon Valley Europas werden. Oft werden nur die Probleme am Balkan wahrgenommen, die nur kurzfristig, unzureichend oder gar nicht gelöst werden. Da kommt eine nähere Betrachtung der zahlreichen Chancen zu kurz.

Wie möchten Sie die Wahrnehmung des Westbalkans innerhalb der EU positiver gestalten?
Ich versuche, Brücken zwischen den Westbalkanstaaten und den EU-Mitgliedern zu bauen. So lade ich zum Beispiel viele Kolleginnen und Kollegen aus der Europäischen Union in die Westbalkanstaaten ein, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Die Menschen dort sind nicht selten mehr europäisch gesinnt als jene in manchen EU-Ländern.

Es steht nicht in Frage, dass der Kosovo eine funktionierende Demokratie ist

Lukas Mandl

Wie beurteilten Sie den Ablauf der Lokalwahlen am Kosovo? In welchen Bereichen hat sich die Situation verbessert und wo gab es große Mängel?
Über 100 professionelle Wahlbeobachter aus anderen Teilen Europas waren vor Ort. Derzeit liegt ein umfassender vorläufiger Bericht vor und für das erste Quartal 2022 ist ein noch umfassender Endbericht vonseiten der Europäischen Union vorgesehen. Es gibt einen negativen Punkt: alle bisherigen Empfehlungen der EU hinsichtlich Wahlsystemreformen wurden durch das kosovarische Parlament nicht umgesetzt. Das Positive ist, dass es zum Großteil um technische Details geht. Es steht nicht in Frage, dass der Kosovo eine funktionierende Demokratie ist. Besonders am Herzen liegt mir die Situation der serbischen Non-Majority. Dort ist ein Mangel an politischem Wettbewerb gegeben und die Vertretung der Kosovo-Serben durch eine einzige Liste monopolisiert. Das sagt auch das vorläufige Statement der Wahlbeobachtungsmission.

Die Regierungspartei „Vetevendosje“ verlor auf Kommunalebene an Boden, gleichzeitig gewann die Serbische Liste erwartet in allen serbisch-dominierten Gemeinden. Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis?
Die Gesamtsituation im Kosovo scheint mit seit dem Antritt von Osmani und Kurti stabiler zu sein als zuvor. Wenn es bei Wahlen auf Lokalebene ein breites Spektrum an Parteien und unterschiedlichste Ergebnisse gibt, so ist das nur ein Zeichen einer vielfältigen, bunten Demokratie.

„Es gibt eine Integrationsperspektive für den Westbalkan und ich glaube wir würden neue Probleme schaffen, wenn wir den Staat X oder Y als Nachzügler außen vor lassen würden“, betonte Mandl hinsichtlich eines EU-Beitritts des Westbalkans.

Die Region war in den letzten Wochen von großen Spannungen geprägt – Stichwort: Grenzblockaden, Aufstände und Razzien. Wie ist die Beziehung bzw. Stimmung zwischen Serben und Albanern im Kosovo?
Bereits vor vielen Jahren habe ich begonnen, Bürgermeister und andere Amtsträger im Kosovo kritisch zu fragen, weshalb neben der kosovarischen Fahne auch eine albanische steht. Ich habe auch versucht zu erklären, warum ich das sage bzw. frage. Gleichzeitig nimmt es mich mit, dass in Nord-Mitrovica und anderen Teilen, die mehrheitlich von der serbischen Non-Majority bewohnt werden, überall die serbische Fahne weht. Als Österreicher und in Hinblick auf unsere Geschichte, die übelste Tiefpunkte kennt, bin ich mir besonders der Wichtigkeit des Vertrauens in den eigenen Staat, System und Struktur bewusst. Das würde auch den Kosovaren helfen – eben nicht auf den Nachbarn zu schauen, egal auf welcher Seite. Das ist die politische Situation. Auf persönlicher Ebene ist mir aufgefallen, dass da viele Menschen unterschiedlicher Ethnien respekt- und verständnisvoll einander begegnen und ein harmonisches Miteinander pflegen. Ich hoffe, dass in Zukunft Detailfragen wie die Autokennzeichen nicht mehr für gegenseitige Nadelstiche oder Schlimmeres genützt werden.

Kürzlich wurden die jährlichen Fortschrittsberichte der Europäischen Kommission den Westbalkanstaaten veröffentlicht. Wo befindet sich der Kosovo auf seinem Weg Richtung EU?
Ich tendiere dazu, es als politische Meisterleistung zu erachten, wenn alle sechs Westbalkanstaaten gleichzeitig EU-Mitglieder werden. Nicht morgen, nicht übermorgen, aber überübermorgen wäre es Zeit. Alle Seiten haben noch etwas zu tun. Die Vision muss jedoch klar sein. Es gibt eine Integrationsperspektive für den Westbalkan und ich glaube wir würden neue Probleme schaffen, wenn wir den Staat X oder Y als Nachzügler außen vor lassen würden. So wie die Osterweiterung ein mutiges und wichtiges Projekt für Europa war, so sollte auch der Westbalkan auf der Agenda ganz oben stehen. Denn eines ist klar, ohne die Osterweiterung würde die Europäische Union heute viel schlechter dastehen. Daher ist Mut in der Politik gefordert, sowohl innerhalb der Europäischen Union als auch am Balkan.

Bedeutet das auch gleichzeitig, dass eine gewisse politische Zweigleisigkeit der Westbalkanstaaten zwischen der EU und zum Beispiel Russland, der Türkei und anderen Drittstaaten beendet werden und der Fokus nur auf Europa liegen sollte?
Für die Europäer ist es sehr relevant, ob wir zulassen, dass Systemrivalen, die unsere zivilisatorischen Werte nicht teilen – dazu zählen unter anderem China, Russland und die Türkei – auf unserem Kontinent Platz finden. Ich bin nicht der Meinung, dass wir dies tun sollten. Die angesprochenen Staaten versuchen, ihren Einfluss am Westbalkan auszubauen. Ich persönlich finde, dass die Bevölkerung der Westbalkanstaaten diesen Versuchen nicht nachgibt und tapfer dagegenhält. Dennoch, wenn eine Volkswirtschaft erst im Aufbau ist, dann wird man wohl oder übel jede Investition akzeptieren. Tragisch ist es, wenn sich die Politik mit Systemrivalen einlässt, denn zum Schluss wird man aufgefressen, ob man will oder nicht. Die Europäische Union ist da sicherlich der bessere Weg.

Oft werden nur die Probleme am Balkan wahrgenommen, die nur kurzfristig, unzureichend oder gar nicht gelöst werden. Da kommt eine nähere Betrachtung der zahlreichen Chancen zu kurz.

Lukas Mandl

Der Kosovo erfüllt alle Benchmarks für die Visaliberalisierung, aber die Frage des visafreien Reisens für Kosovo-Bürger ist noch beim Europäischen Rat anhängig. Wann darf mit einer Entscheidung gerechnet werden?
Wir machen großen Druck und mir ist der Geduldsfaden diesbezüglich bereits gerissen. Es ist völlig klar, dass die BürgerInnen des Kosovo ebenso Visafreiheit erlangen müssen, wie dies auch bei den anderen fünf Westbalkanstaaten der Fall ist. Visa kosten Geld und die Gebührenentrichtung ist für viele Familien eine große Belastung. Rund 25 Millionen Euro werden jährlich von Kosovaren für Visa ausgegeben. Das ist völlig sinnlos investiertes Geld, selbst die große Ukraine genießt visafreies Reisen und der kleine Kosovo nicht. Das EU-Parlament hat bereits mehrfach dafür gestimmt und die Kommission hat aufgrund der erfüllten Kriterien die Zustimmung gegeben. Eine Minderheit im Rat ist jedoch dagegen und blockiert das noch. Bei Fragen wie diesen, sogenannten außenpolitischen Fragen, ist Einstimmigkeit verlangt.