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INTERVIEW

„Die Sprachpolitik am Balkan ähnelt jener des Dritten Reiches“

Interview Snezana Kordic 2
(FOTO: zVg.)

Wie wird diese „Säuberung der Sprache“ vonseiten der südslawischen Obrigkeiten durchgeführt?
Dies passiert größtenteils in staatlichen Medien, wie zum Beispiel den Öffentlich-rechtlichen. Über Nacht verschwindet ein gewohntes Wort, anstattdessen wird ein neues gebraucht, welches bisher selten oder kaum Verwendung fand. Hinter dieser sprachlichen Zensur steckt das Lektorenamt des Staatssenders, welches die Illusion erzeugt, dass die gesamte Bevölkerung so spricht, wie sie entscheiden. Die Zuseher können dann im Fernsehen jenes Wort, das sie bisher gewohnt waren nicht mehr hören, da die Sprecher einheitlich ein anderes verwenden. Die breite Bevölkerung beginnt zu glauben, dass sie ihre eigene Sprache nicht gut können, haben Angst als nicht ausreichend nationsbewusst zu gelten und dadurch in ihrem Aufstieg in der Gesellschaft gebremst zu werden.Aus diesem Grund beginnen sie, jene Worte zu verwenden, die von den Sprachlektoren forciert werden und die ihre Sprachzensur als vermeintliche Kultur und Wissen verkaufen.

Was passiert beim Sprecher, insofern man immer wieder auf die Reinheit hingewiesen und „Fehler“, d.h. Worte aus anderen Varianten, ausgebessert werden?
Es wird ihnen antrainiert, dass sie in ihre Wortwahl während des alltäglichen Sprechens in Frage stellen: „Ist dieses Wort aus meinem Volk oder nicht?“ Und weiters: „Wenn es aus meinem Volk stammt, dann ist es gut und ich kann es verwenden. Wenn es aus einem anderen Volk ist, dann ist es schlecht und ich darf es nicht verwenden.“ Mit diesem Verhältnis zu den Wörtern wird gleichzeitig ein Verhältnis zu anderen Menschen impliziert: mein Volk ist gut, das andere ist schlecht. Hier wird das „Eigene“ und das „Fremde“ auf eine Art konstruiert und gleichzeitig die Stilmöglichkeiten innerhalb einer Variante geschmälert, was zu einer Verarmung der Ausdrucksmöglichkeiten führt. Dies ist nichts anderes als das Einpflanzen von Nationalismus und dies auf eine subtile und kapillare Art und Weise, da dies durch unsere ständige und banale Aktivität, das Sprechen, passiert.

Gab es in der Zeit unter Tito in Jugoslawien eine ähnliche Zensur mit dem Ziel, sprachlich zu vereinen?
Es gab diesbezüglich keine Vereinigungsversuche. Man kann vielmehr verfolgen, dass selbst im Jugoslawien des 20. Jahrhunderts an einer künstlichen Vergrößerung der Unterschiede mit dem Ziel, unter dem Vorwand einer Sprachreinheit, gearbeitet wurde. All dies begann bereits mit Purismus in den 1920er Jahren und schaukelte sich in der Zeit des Unabhängigen Staates Kroatien weiter hoch. Später starten diese Bestrebungen abermals in den 1960er Jahren im großen Stile und erreichten ihr Hoch in den 90er Jahren.

„Mit einem Verhältnis zu den Wörtern wird gleichzeitig ein Verhältnis zu anderen Menschen impliziert: mein Volk ist gut, das andere ist schlecht.“

Ist eine unabhängige Sprache notwendig, um von einem eigenständigen Volk sprechen zu können?
Es ist mehr als klar, dass ein Volk eigenständig sein kann, auch wenn es über eine gemeinsame Sprache mit anderen Völkern verfügt. Dies beweisen uns zahlreiche Beispiele: Österreicher, Schweizer, Amerikaner, Kanadier, und so weiter. Übrigens ist es viel häufiger so, dass Sprache und Volk nicht koinzidieren.

Laien würden vielleicht meinen, dass sich die angesprochenen Standardsprachen über die Jahre voneinander entfernt haben. Würde eine Weiterführung der jetzigen Sprachpolitik dazu führen, dass man irgendwann auch linguistisch gesehen von unterschiedlichen Sprachen sprechen kann?
Nicht einmal hunderte Jahre wären ausreichend, da diese Veränderungen innerhalb der Sprache unbedeutende Kleinigkeiten im Vergleich zu dem weiterhin bestehenden Gemeinsamen ist. Unterschiedliche Sprache entstehen, wenn Menschen durch territoriale Hürden so weit voneinander getrennt sind, sodass sie nicht mehr regelmäßig kommunizieren können. Jedoch ist nicht einmal dies über Jahrhunderte ausreichend, wie wir am Beispiel Amerikas sehen. Die Region spricht jedoch tagein tagaus von Angesicht zu Angesicht, über das Internet und so weiter. Dies lässt alle Bemühungen der Nationalisten in Richtung eigenständiger Sprachen zu Staub zerfallen.

Hier könnt ihr das komplette Buch im PDF-Format (kroatische Version) finden.

Auch wenn in der oben angesprochenen Deklaration kein Name für die gemeinsame Sprache vorgeschlagen wird, so kann man jedoch nicht abstreiten, dass genau jener ein großes Problem darstellt. Wie kann man dieses Problem im Alltag lösen?
Die Menschen finden in alltäglichen Situationen ihre eigenen Lösungen mit „naš jezik“ („unsere Sprache“) oder ähnlichem. Wenn ein guter Wille zwischen den politischen Eliten herrschen würde, so könnte man sich über einen gemeinsamen Namen für die gemeinsame Sprache einigen, welche -übrigens – bereits im 19. Jahrhundert standardisiert wurde und einen Namen trägt.

Würde das Akzeptieren, dass es sich um eine gemeinsame Sprache handelt auch das Problem von mehreren Schulen unter einem Dach und ähnliche Trennungen, welche in weiterer Folge zu Diskriminierung führen, beenden?
Damit würde man zumindest die Basis beiseiteschaffen. Auf genau diese berufen sich heutige Politiker, wenn sie davon sprechen, dass es sich um unterschiedliche Sprachen handelt und weshalb Kinder unterschiedlicher Nationalität getrennten Unterricht besuchen, Dokumente in alle vier Standards „übersetzt“ werden müssen und dergleichen…