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DEN HAAG

Doppelte Berufung: Mladić kämpft für Freispruch, Anklage für weitere Verurteilung

(FOTO: Screenshot)

Vor drei Jahren wurde der ehemalige Chef der Armee der bosnischen Serben zu lebenslanger Haft verurteilt. Mladić legte Berufung ein und weist alle Vorwürfe vor sich. Der Prozess hat nun begonnen.

International unter dem Namen „Schlächter vom Balkan“ bekannt, wird Mladić für zahlreiche Kriegsverbrechen und Völkermord während des Krieges in Bosnien (1992 bis 1995) die Hauptschuld gegeben. Während der kriegerischen Geschehnisse in Bosnien-Herzegowina wurden rund 100.000 Menschen getötet und 2,2 Millionen mussten fliehen.

„Satanischer“ Kriegsverbrecher
Im November 2017, 22 Jahre nach dem Krieg in Bosnien-Herzegowina fiel das Urteil: Der „Schlächter vom Balkan” wurde zur lebenslänglichen Haftstrafte verurteilt. Er wurde für den Genozid in Srebrenica sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, und in insgesamt zehn von elf Anklagepunkten für schuldig gesprochen. Nach Ansicht des Gerichts war Mladic als Oberkommandant der bosnischen Serben hauptverantwortlich für Vertreibungen, Folter, Mord und Vergewaltigungen. Für sechs weitere Orte in Bosnien-Herzegowina, in denen Kriegsverbrechen verübt wurden, wurde er freigesprochen.

Der Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag dauerte in erster Instanz mehr als 500 Tage und rund 600 Zeugen wurden befragt. In allen Anklagepunkten beteuerte Mladić unschuldig zu sein. Das Gericht in Den Haag bezeichnete den ehemaligen Militärchef und dessen Verbrechen als „satanisch“.

Verzögerungstaktik?
Die Verteidigung des „Schlächters vom Balkan“ hatte noch vor dem ersten Gerichtstermin die Abberufung dreier Richter wegen angeblicher Voreingenommenheit beantragt. Der zweite Termin im März musste ebenfalls verschoben werden, da Mladić am Dickdarm operiert wurde.

Der dritte Anhörungstermin wurde schlussendlich aufgrund der Corona-Pandemie vertagt, da Mladić wegen seines Alters und seiner Krankheitsgeschichte zur Risikogruppe zähle, so sein Anwalt und einige Richter wegen der Corona-Reisebeschränkungen nicht teilnehmen konnten.

Gestern startete das Berufungsverfahren und 77-jährige Mladić wies dabei alle Vorwürfe. Noch vor Verhandlungsbeginn betonte das Tribunal, dass der Angeklagte bei Bedarf auch via Videoübertragung an den Gerichtsterminen teilnehmen könne, insofern sein Gesundheitszustand keine physische Präsenz erlaube.

Das Verfahren behandelt auch die Berufung durch die Anklage, die ebenfalls mit dem Urteil aus 2017 nicht zufrieden ist. Die Staatsanwaltschaft möchte eine weitere Verurteilung für Völkermord erreichen.

Urteil erst nächstes Jahr
Ein endgültiges und rechtskräftiges Urteil im Berufungsverfahren wird es aller Wahrscheinlichkeit vor 2021 nicht geben. Rechtsexperten und Beobachter glauben nicht daran, dass die erneute Entscheidung des Gerichtes große Veränderungen mit sich bringen wird. Ein Freispruch wird bereits im Vorfeld komplett ausgeschlossen.

Viele Hinterbliebene äußerten die Angst, dass Mladić das Urteil im Berufungsverfahren nicht erleben werde und somit nicht rechtkräftig verurteilt wäre. Dies könnte fatale Folgen für die Geschichtsaufarbeitung der Jugoslawienkriege haben.