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INTERVIEW

„Einer generellen Impfpflicht stehe ich sehr skeptisch gegenüber“

(FOTO: BKA / Hans Hofer)

Gesundheitsminister Rudolf Anschober sprach über den Erfolg der Corona-Maßnahmen, zukünftige Schritte und den Sommerurlaub 2020.

KOSMO: Erstmals seit Mitte März ist die Anzahl der aktiv Erkrankten auf unter 1.000 gesunken. Was kann man daraus hinsichtlich des Erfolgs der Maßnahmen rückwirkend ableiten?
Rudolf Anschober: Die für mich zentrale Erkenntnis ist: Ohne das Mitmachen der Bevölkerung wäre diese positive Entwicklung nicht möglich gewesen. Es ist toll zu sehen, wir großartig die allermeisten aller Menschen in Österreich die durchaus einschneidenden Maßnahmen mitgetragen haben. Die Reduzierung der sozialen Kontakte fast auf null, Abstandhalten, Mund-Nasen-Schutz waren zentrale Erfolgskriterien. Aber auch die Kanalisierung von Verdachtsfällen auf die Gesundheitsnummer 1450 und die Probennahme direkt beim Patienten haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Infektionszahlen nicht explodiert sind und sehr früh rückläufig waren. Was passiert wäre, wenn alle, die der Meinung waren sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben oder noch schlimmer, sogar positiv waren, in den Wartezimmern der niedergelassenen Ärzte und der Ambulanzen gesessen wären, wage ich mir gar nicht vorzustellen. Und es war richtig, die Maßnahmen frühzeitig im Kampf gegen die Ausbreitung der Infektion zu setzen. Wir haben sehr rasch das soziale Leben heruntergefahren, was sicher entscheidend dazu beigetragen hat, dass wir heute relativ gut dastehen.  

Wien ist derzeit ein heißes Thema, da dort die Zahlen im Gegensatz zu anderen Bundesländern stärker steigen. Wie kommentieren Sie das Infektionsgeschehen in der Hauptstadt?
Die Zusammenarbeit mit Wien und Niederösterreich funktioniert sehr gut. Die Stadt war immer in unser Vorgehen eingebunden und hat sich positiv eingebracht und sich gut auf die Epidemie vorbereitet. Wien ist als Millionenstadt im Zusammenhang mit einer Pandemie ganz besonders gefordert: In Wien kommen mehr Menschen auf weniger Raum zusammen, als das in dörflich strukturierten Gegenden der Fall ist. In Wien kann man nicht so leicht Abstand halten. In einer Großstadt hat es das Virus per se leichter. Ich sage nur New York, Madrid, Paris.

„Zusammenarbeit statt Parteipolitik“ lautet ihr Motto, wenn es um den Streit rund um das Infektions-Cluster in Wien bzw. NÖ geht. Wie gehen Sie jetzt vor, um diese Fälle lückenlos aufzuklären und wie ist der derzeitige Informationszwischenstand?
Wie auch schon die niederösterreichische Landeshauptfrau bestätigt hat, gibt es eine gute Zusammenarbeit der Wiener und niederösterreichischen Gesundheitsbehörden. Der gezielten Teststrategie ist es zu verdanken, dass die Infektionen und die dahinterliegenden Infektionsketten rasch gefunden werden konnten. Wir haben mit den ExpertInnen der AGES eine eigene Einheit, die sich speziell um das Erkennen, Verfolgen und Eingrenzen derartiger Cluster kümmert.

Also ich sage ganz ehrlich: So sehr ich das Meer liebe, ich bin heuer für einen Urlaub in Österreich. Kroatien wird nicht das Problem sein. Hier gibt es sehr geringe Zahlen von aktiv Erkrankten.

– so Bundesminister Anschober.

Warum kommt für Sie ein regionales „Ampelsystem“ nicht in Frage bzw. warum befürworten Sie bundesweite Maßnahmen?
Die Landeshauptfrau und die Landeshauptmänner arbeiten derzeit an Vorschlägen für regionale Lockerungen. Ich bin schon gespannt auf ihre Vorschläge, die wir dann bewerten und prüfen werden. Aber die föderale Struktur Österreichs ist schon allein von der Größe der einzelnen Bundesländer her, nicht mit dem deutschen Modell, eines unterschiedlichen Lockerungstempos vergleichbar.

Mit dem 29. Mai kommt der nächste Öffnungsschritt. Wie wird sich dieser, Prognosen des Gesundheitsministeriums zufolge, auf die Infektionszahlen hierzulande auswirken?
Bei all dem, was wir bei den bisher erfolgten Lockerungsschritten seit Mitte April gesehen haben, erwarte auch bei der nächsten Lockerungswelle keine Explosion der Fallzahlen. Wir werden unsere Strategie der schrittweisen Lockerungen fortsetzen. Lockern und dann schauen, wie sich die spezifische Lockerung auf die Fallzahlen auswirkt, damit wir sofort, falls notwendig, auch die Stopp-Taste drücken können.


Mitte Juni sollen die Grenzen zu mehreren Nachbarstaaten ohne Kontrollen geöffnet und keine behördliche Quarantäne bei der Rückreise mehr notwendig sein. Wie sieht es im Infektionsfall dann mit dem Containment aus? Gibt es hierzu schon eine länderübergreifende Strategie?
Nein, daran arbeiten wir gerade.

Wie gut stehen die Chancen, dass man auch in andere europäische Staaten reisen kann, die nicht an Österreich grenzen? Stichwort: Strandurlaub in Kroatien, oder Heimaturlaub in Bosnien oder Serbien.
Also ich sage ganz ehrlich: So sehr ich das Meer liebe, ich bin heuer für einen Urlaub in Österreich. Kroatien wird nicht das Problem sein. Hier gibt es sehr geringe Zahlen von aktiv Erkrankten. Bosnien und Serbien wird man sich anschauen müssen.


Der Weltmarkt für medizinische Produkte ist derzeit sehr umkämpft. Inwieweit konnte sich Österreich mit den notwendigen Materialien versorgen und in welchen Bereichen kann hierzulande auch selbst produziert bzw. Forschungsarbeit betrieben werden?
Wir müssen ehrlich sein. Das Gros der Schutzausrüstung kommt aus dem asiatischen Raum. Das ist die Folge der globalen Arbeitsteilung. Am Anfang war die Beschaffung herausfordernd. Jetzt hat sich alles eingespielt und sofern der internationale Markt mitspielt, versuchen wir bestmöglich alles zu beschaffen, was gebraucht wird. Ein Positives hat das Ganze auch: Die österreichische Textilindustrie hat zusammengearbeitet und sofort begonnen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Schutzmaterialien in hoher Qualität zu produzieren. Das haben sich interessante, neue Allianzen gebildet. Auch im Bereich der Beatmungsgeräte gibt es einige Firmen, die in Zusammenarbeit mit heimischen Universitäten, Beatmungsgeräte auf Basis von im Baumarkt erhältlichen Komponenten entwickeln. Das sind innovative Ansätze, die durchaus auch für ärmere Länder aufgrund der Preiskomponente die Chance bieten, sich besser mit medizinischen Geräten versorgen zu können.


Immer wieder wird davon gesprochen, dass die Corona-Krise erst mit einer Impfung oder einem Medikament enden wird. Heißt das, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine Maskenpflicht und der Mindestabstand bestehen bleiben wird?
Es ist sicher nicht falsch, sich damit anzufreunden.

Apropos Impfung: gibt es Überlegungen darüber, Impfungen wie in anderen EU-Staaten für alle obligatorisch zu machen, um sein Kind z.B. in die Schule schicken zu dürfen und so weiter?
Einer generellen Impfpflicht stehe ich sehr skeptisch gegenüber. Ich setzte auf die Vernunft der Menschen. Wir werden auch verstärkt über Impfungen informieren müssen. Das wird ein politischer Schwerpunkt im 2. Halbjahr werden. Ein anderes Thema sind Impfungen für Menschen, die im Gesundheits- und Pflegebereich tätig sind: Hier sind vulnerable Gruppen bestmöglich zu schützen. Daher ist es für mich nachvollziehbar, dass vielfach eine Bestätigung einer Impfung zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit eingefordert wird. Meine Erwartung und Hoffnung für die nächsten Jahre sind, dass die Krise so viel Bewusstsein schafft, dass immer mehr Menschen Interesse an Informationen haben und sich nach einer ehrlichen Abwägung für eine Impfung entscheiden.