Start Aktuelles
Rückschritt

EU stoppt Annäherung: Beitrittsprozess der Türkei auf Eis gelegt

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (r.) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (l.) nehmen nach ihrem Treffen im Präsidentenpalast in Ankara, Türkei, am 17. Dezember 2024 an einer gemeinsamen Pressekonferenz teil.
FOTO: EPA-EFE/NECATI SAVAS

Das Europaparlament attestiert der Türkei in seinem aktuellen Jahresbericht eine zunehmende Entfernung von europäischen Grundwerten. Das am Mittwoch verabschiedete Dokument konstatiert eine wachsende Kluft zwischen der Türkei und den Wertvorstellungen sowie Interessen der Europäischen Union.

Der vom spanischen Sozialisten Nacho Sanchez Amor verfasste Bericht stellt fest, dass die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara seit 2018 praktisch zum Erliegen gekommen sind und unter den gegenwärtigen Bedingungen auch nicht wiederaufgenommen werden sollten.

Besonders kritisch bewerten die EU-Parlamentarier die Lage der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Sie sprechen von einer „schwierigen Situation“ und einem „demokratischen Rückschritt“ im vergangenen Jahr. Zudem beklagt das Parlament die fehlende Unabhängigkeit der türkischen Justiz, die systematischen Regierungseingriffen und politischer Instrumentalisierung ausgesetzt sei.

Die Abgeordneten fordern die türkische Führung auf, die gravierenden Einschränkungen grundlegender Freiheitsrechte – insbesondere bei Meinungsäußerung, Versammlung und Pressearbeit – zu beenden.

Territoriale Konflikte

Darüber hinaus kritisiert das Europaparlament, dass die Türkei weiterhin die Souveränität und Hoheitsrechte von EU-Mitgliedstaaten wie Griechenland und Zypern missachtet, unter anderem durch nicht genehmigte Öl- und Gasexplorationen in griechischen Gewässern. In der Zypernfrage äußert das Parlament tiefe Bedenken gegenüber allen einseitigen Maßnahmen, die auf eine Verfestigung der Teilung statt auf eine Wiedervereinigung der Insel abzielen.

Seit der türkischen Militärintervention nach einem griechischen Putschversuch 1974 ist Zypern faktisch geteilt: Im Norden existiert die international nur von der Türkei anerkannte Türkische Republik Nordzypern, während die EU-Mitgliedsrepublik Zypern den Süden kontrolliert. Während die türkisch-zyprische Seite eine Zwei-Staaten-Lösung anstrebt, setzen sich die griechischen Zyprioten gemeinsam mit den Vereinten Nationen für eine Wiedervereinigung ein.

⇢ Meinl-Reisinger empfängt Marathon-Studenten: „Ihr seid unglaublich mutig

Strategische Partnerschaft

Der Bericht wurde mit 367 Ja-Stimmen bei 74 Gegenstimmen und 188 Enthaltungen angenommen. Trotz aller Kritik fordert das Europäische Parlament sowohl die türkische Regierung als auch die EU-Institutionen und Mitgliedstaaten auf, an einer engeren, dynamischeren und strategischeren Partnerschaft zu arbeiten.

Der Fokus solle dabei auf Bereichen wie Klimaschutz, Energiesicherheit, Terrorismusbekämpfung und regionaler Stabilität liegen.

Lange Geschichte der Beitrittsverhandlungen

Die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei begannen offiziell am 3. Oktober 2005, was damals von Recep Tayyip Erdogan als „riesiger Schritt“ und „Erfolg für die Türkei“ gewürdigt wurde. Doch bereits seit November 2016 sprach sich das EU-Parlament für ein „Einfrieren“ der Beitrittsverhandlungen aus. Hauptkritikpunkte waren schon damals gravierende Rückschritte in den Bereichen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte.

In der aktuellen Resolution vom 7. Mai bekräftigte das Europaparlament, dass die geopolitische Bedeutung der Türkei demokratische Rückschritte nicht ausgleichen könne. Besonders verurteilt wurde das harte Vorgehen bei jüngsten friedlichen Massenprotesten sowie die strafrechtliche Verfolgung von Hunderten Demonstranten in übereilten Massenprozessen.