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BERICHT

Ex-Yu-Community bei der Demo: „Unsere Plattform ist die Straße“

FOTO: zVg.

Die große Demonstration gegen die türkis-blaue Regierung in Wien sorgt auch nach ihrem Stattfinden für Gesprächsstoff.

Dass der Demozug durch die Mariahilferstraße zum Heldenplatz – trotz skeptisch vom Veranstalter selbst angekündigter 10.000 Menschen – eine derart große Masse mobilisieren konnte, sorgt für Beachtung. Dies trifft auch auf die FPÖ zu, deren EU-Abgeordneter Harald Vilimsky prompt reagierte und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder für seine Teilnahme an der Demo kritisierte. „SPÖ-Klubobmann Schieder fühlt sich offenbar inmitten des schwarzen Blocks und von Rauchbomben pudelwohl. Es ist ein Armutszeugnis für einen hochrangigen Vertreter, die politische Auseinandersetzung auf der Straße zu führen anstatt mit Argumenten im Parlament“, wettert der FPÖ-Generalsekretär Vilimsky.

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Bei einer Pressekonferenz vergangenen Freitag sprach sich der österreichische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) dafür aus, Asylwerber in Zukunft „konzentriert“ unterzubringen.

 

Großes Lichtermeer am Heldenplatz

Dass die Demo – auch laut offiziellem Polizeibericht – völlig friedlich bis zum Finale mit Lichtermeer verlaufen ist, ist ebenso Tatsache wie dass die Schätzungen des Innenministeriums, die von 20.000 Menschen sprechen, definitiv zu niedrig sind. Während manche Medien von „über 20.000 sprechen“, nennen die Veranstalter die Zahl von 70.000 Menschen und berufen sich dabei auf Fotos, Zeitraffer-Videos und die Tatsache, dass die Demo-Spitze den Ring erreichte, als das andere Ende der Demo noch am Christian-Broda-Platz erst gar Richtung Ring startete. Wie dem auch sei: Die impressiven Bilder vom Westbahnhof und das Lichtermeer zeigen, dass die Demo zweifellos ihre Ziele und Erwartungen bei weitem übertroffen hat.

FOTO: zVg.

„Serben gegen Rechts“

Ungewollt oder gewollt: Auch die Ex-Yu-Community in Österreich scheint durch ethnomigrantischen Kampagnen der FPÖ für die Serben und Kroaten ebenso immer mehr in Links und Rechts gespalten zu sein. Genauso wie bei serbischen Bällen teilweise Menschen anstehen, um mit Strache ein Selfie zu bekommen, genauso waren auch auf der Demo Anhänger der FB-Gruppe „Serben gegen Rechts“ und Transparente auf Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Ebenso sah man einige prominente Gesichter aus dem bekennend linken Teil der Ex-Yu-Community, unter anderem Ljubomir Bratić, den stadtbekannten Philosophen und langjähriger Migrationsforscher, sowie die „Hor 29. novembar“-Leiterin Jana Dolečki. Wir sprachen mit den Demoteilnehmern mit ex-jugoslawischen Wurzeln.

„Friedlich und entschlossen“

„Ich bin begeistert von der friedlichen, aber tollen Stimmung bei der Demonstration. Dass die Demo so viele Menschen gelockt hat und auch die optimistischsten Erwartungen übertroffen hat, ist natürlich überwältigend. Das gibt Hoffnung“, sagt Jana Dolečki, Leiterin des Wiener Chors „Hor 29. novembar“. „Gerade wir Balkanesen, die den Hass kennen, den Nationalismus hervorrufen kann, müssen zur Demo gehen. Es ist für mich wie eine Pflicht. Denn die FPÖ macht eine Politik, die vergleichbar ist mit der der nationalistischen Parteien am Balkan in den Neunzigerjahren. Sie spielen mit den gleichen Emotionen“, sagt Lazar von der FB-Gruppe „Serben gegen Rechts“ in einem schriftlichen Statement an KOSMO.

„Früher ÖGB, jetzt FPÖ“

Der Philosoph Ljubomir Bratić verfolgt die Annäherung der FPÖ an die kroatischen und vor allem serbischen Wähler hingegen mit großer Sorge. „Die Tendenz, sich in den ehemalig jugoslawischen Communities mit dem neuen, autoritären Stil zu identifizieren, ist eindeutig spürbar. Die Verantwortung dafür trägt die Tatsache, dass Menschen auch nach 50 Jahren Aufenthalt keinen wirklichen Willen zur Einbeziehung bzw. ein Gefühl der Gleichheit haben. Hier werden die Schwachen gegen die Schwachen ausgespielt“, sagt Bratić. „Früher sagten den Migranten aus Jugoslawien SPÖ und ÖGB: Ihr seid etwas Besonderes. Jetzt tut dies die FPÖ. Früher bekamen sie dafür zumindest die Finanzierung ihrer Vereinsstruktur, heute bekommen sie das Gefühl, dass sie nicht zu den Letzten in der Gesellschaft gehören“, so der Initiator und Sammler des Migrationsarchivs.

Der Philosoph Ljubomir Bratić zeigt sich besorgt. (FOTO: zVg.)

Jana Dolečki sieht in der Annäherung der FPÖ an die christlichen Gruppen aus dem ehemaligen Jugoslawien, die Kroaten und vor allem die Serben, eine „reale Gefahr für ein neues Anheizen nationalistischer Konflikte in der Community selbst“. „Dass es ein durchsichtiges Spiel ist, welches sie spielt, wird der FPÖ wohl bewusst sein. Ihr sollte allerdings auch bewusst sein, was das für Folgen für die hiesige Balkan-Community nach sich ziehen kann. Es ist ein gefährliches und grausliches Spiel“, so Dolečki. „Natürlich würde ich mir persönlich wünschen, dass umso mehr Migranten aus unserer Community zu den Demos gehen. Aber jeder hat eine andere Ausdrucksform seines politischen Kundtuns, manche mussten zur Demozeit auch arbeiten, andere wollen lieber den stilleren Protest. Für mich steht fest, dass Migranten wie ich, die kein Wahlrecht haben, die einzige Plattform für die Äußerung ihres Unmuts auf der Straße finden. Deswegen bin ich bei den Kundgebungen“, so Dolečki.

„Starkes Zeichen“

Die Demonstration am Samstag, bei welcher „Serben gegen Rechts“ neben Gruppen wie „Omas gegen Rechts“ demonstrierten, hält Bratić für ein wichtiges Zeichen gegen Rasissmus und für mehr Toleranz. In einem appellativen Statement konstantiert er: „Lasst euch nicht von den Nationalisten verführen, denn Nationalisten haben eure Staaten, Städte, Familien und und Freundschaften ruiniert“.