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MUSIK-LEGENDE

Goran Bregovic: ,,Heimat ist kein politisches Territorium“

(FOTO: zVg. Nebojsa Babic)

Von „Bijelo Dugme” zum „Orkestar za svadbe i sahrane”. Von Australien bis Amerika. Vom Studenten der Philosophie zum größten Komponisten des ehemaligen Jugoslawien. KOSMO hat mit Goran Bregović über die alten, aber auch über die kommenden Zeiten gesprochen.

KOSMO: Für Musikexperten und Musikfans sind Sie eine musikalische Legende. Ihre Kompositionen werden auch von den jüngeren Generationen gerne gehört. Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Werke?

Goran Bregović: Ich bin ein professioneller Komponist. Ich habe niemals etwas anderes gemacht. Im vierten Jahr meines Philosophiestudiums habe ich mich entschieden, nicht weiterzustudieren. Damals haben die Philosophieprofessoren Marxismus unterrichtet. Nachdem ich dem Schicksal entkommen war, Schulkindern den Marxismus zu vermitteln, war ich so froh, dass ich nie wieder daran gedacht habe, mich beruflich zu verändern. Die meisten Menschen haben eine romantische Vorstellung von Komponisten. Aber wenn Sie sich die Biographien von beliebigen Künstlern anschauen, dann sind das alles Leute, die wie alle normalen Menschen auch acht Stunden am Tag gearbeitet haben. Das heißt, keiner von ihnen hat gewartet, dass die Muse angeflogen kommt und ihn küsst, sondern sie haben sich am Morgen an den Schreibtisch gesetzt und zu arbeiten begonnen wie alle anderen auch.

KOSMO: Ein großer Teil Ihres musikalischen Epos ist mit Bijelo Dugme verbunden. Wie sind Ihnen diese Jahre in Erinnerung geblieben? Mit welchen großen Künstler war es Ihnen am liebsten zu arbeiten?

Goran Bregović: Ich hatte das Glück, mein ganzes Leben lang mit Talenten zusammenzuarbeiten, und so waren auch meine Sänger talentierte Sänger. Wo sollten talentierte Sänger singen, wenn nicht bei Bijelo Dugme?

KOSMO: Ihre größten musikalischen Werke haben Sie in der Zeit Jugoslawiens geschaffen, wo Sie sehr beliebt waren. Was hat Ihnen Jugoslawien bedeutet und was fehlt Ihnen aus dieser Zeit jetzt am meisten?

Goran Bregović: Wenn Ihnen einmal so etwas passiert, wie es uns passiert ist, dass der Staat, in dem Sie aufgewachsen sind, Freunde und Familie in verschiedenen Regionen hatten, auf einmal verschwindet und dass auch die Sprache, in der Sie geschrieben haben, verschwindet, dann stellen Sie fest, dass Ihre Heimat weder ein geographisches, noch ein politisches Territorium ist. Ihr Staat ist ein emotionales Territorium. Auch wenn ich heute an mehreren Grenzen meinen Pass vorzeigen muss, ist dieser Raum für mich noch immer meine emotionale Heimat. Die Grenzen, die die Politik gezogen hat, haben nichts mit dem emotionalen Territorium zu tun. Aus dieser Zeit fehlt mir gar nichts. Das Leben ist weitergegangen. Es hat keinen Sinn zurückzublicken, sondern man muss versuchen, eine menschliche Spur zu hinterlassen, so wie wir alle das tun.

zVg. Nebojsa Babic

KOSMO: Die Zeit des Krieges und der Zerstörungen hat das Leben aller Völker am Balkan geprägt. Was würden Sie sagen, wie weit hat der Krieg den Balkan zurückgeworfen?

Goran Bregović: Der Balkan ist eine unglückliche Region. Während der osmanischen Herrschaft verlief durch diesen Teil Europas die einzige direkte Grenze der Geschichte zwischen Katholiken, Orthodoxen, Muslimen und Juden. Und genau deswegen, weil wir uns an dieser Grenze befinden, haben wir so ein tragisches Schicksal. Das ist für uns nichts Neues. Wir hatten schon immer diese Kriege, die in jedem Jahrhundert von neuem ausbrechen, so wie eben auch der letzte.

KOSMO: Können die Intellektuellen die heutigen Situationen in den Balkanstaaten verändern? Wie groß ist Ihr Einfluss?

Goran Bregović: Vor dem Kriegsausbruch gab es eine Bewegung in Bosnien, und alle um mich herum wollten damals Teil dieser Bewegung sein. Das waren alles gebildete Menschen aus Bosnien und der Herzegowina, Künstler, Schriftsteller, Dichter, Musiker. Zusammen haben wir versucht, als Partei ca. 15 bis 17 Prozent bei den Wahlen zu bekommen, denn dann hätten wir im Parlament dafür kämpfen können, dass es nicht zum Krieg kommt. Viele Leute sind zu den Versammlungen gekommen, aber bei den Wahlen ging es dann in eine andere Richtung. Die Partei hat nur drei Prozent errungen, wenn ich mich nicht täusche. Und dann kam es zum Krieg. Deswegen habe ich heute keine Illusionen mehr, dass die Intellektuellen bei uns etwas verändern können. Über Veränderungen wird anderswo entschieden.

KOSMO: Wie oft reisen Sie nach Sarajevo? Hat sich an Ihrer Liebe zu der Stadt durch den Einfluss der politischen Situation in Bosnien und Herzegowina etwas verändert?

Goran Bregović: Ich fahre häufig nach Sarajevo. und verbringe also viel Zeit in dieser Stadt. In Sarajevo haben sich einige Dinge zum Besseren verändert und andere zum weniger Guten. Aber Sarajevo ist Sarajevo. Ich glaube, all das ist ein vorübergehender Zustand, bevor alles wieder so wird, wie es einmal war, und damit meine ich, dass Sarajevo ein Ort wird, wo sich die Kulturen und Zivilisationen treffen. Ich glaube, dies ist jetzt eine Periode, die eigentlich noch ein Resultat des Krieges ist.

KOSMO: Was sagen Sie zu der Musik, die heute geschrieben wird, und zu ihrem Einfluss auf die jungen Leute?

Goran Bregović: Wie in jeder Epoche gibt es auch heute gute und schlechte Musik. Manche haben mehr und andere weniger Talent. Mir gefällt, dass die Texte wieder an Wichtigkeit gewonnen haben. In den siebziger Jahren waren die Dichter ebenso wichtig wie die Musiker. Jetzt kommt das langsam wieder, nur dass die Dichter in Rhythmen sprechen und die Poesie belehrender ist. Ich finde wirklich, dass in der Welt der Musik gute Dinge geschehen.

KOSMO: Sie sind in der ganzen Welt aufgetreten. Welche Auftritte sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Goran Bregović: Es gibt nur weniger Musiker, die eine so vielfältige Karriere hatten wie ich. Ich bin in den besten und größten Hallen wie dem Sydney Opera House aufgetreten, habe aber auch einmal auf einer Militärbasis der französischen Luftwaffe gespielt. In Griechenland bin ich in verschiedenen Bouzouki-Bars aufgetreten und war auch auf Hochzeiten russischer Oligarchen. Sie werden kaum einen Komponisten finden, der sich an all diese Orte anpassen kann. Ich hatte das Glück, dass gerade mir das gelungen ist.

KOSMO: Mit dem Orkestar za svadbe i sahrane haben Sie über 3000 Konzerte gegeben. Bewegt Sie die Musik noch immer so sehr wie früher, als Sie damit angefangen haben?

Goran Bregović: Mein Orchester besteht aus sehr talentierten Musikern. Jedes Mal, wenn ich mit ihnen auf der Bühne stehe, habe ich das Gefühl, dass ein kleines Wunder geschehen wird. Ich glaube, dass uns das alle bei der Stange hält. Wir spielen wirklich viel, denn ich bewerbe meine Musik nicht mit Videoclips auf YouTube. Ich reise ganz altmodisch durch die Welt und präsentiere meine Musik so. Ich glaube, dass das auch meinem Orchester so gefällt.

KOSMO: Was kann das Wiener Publikum am 24. Juni von Ihnen erwarten?

Goran Bregović: Wir werden etwas Neues, aber auch etwas Altes spielen. Wir spielen Kompositionen von meiner letzten Platte „Tri pisma iz Sarajeva“, aber auch einige Lieder, die ich früher für Filme geschrieben habe. Wir spielen alles Mögliche. Unser Ziel ist, zu unterhalten. Es ist Sommer und wir sehnen uns alle nach ein bisschen Unterhaltung. Sowohl das Publikum als auch wir auf der Bühne. Es wird verrückt werden. Und wer nicht verrückt wird, der ist nicht normal.