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KOMMENTAR

Grenzgewalt: Wieso die Schande Kroatiens auch unsere ist

Grenzgewalt_Kroatien
Foto: Screenshot / No Name Kitchen

Der neueste Bericht der angesehenen britischen Zeitung „The Guardian“ sorgt zurecht europaweit für Erschütterung.

Das Thema ist dabei die Grenzgewalt an der kroatischen EU-Außengrenze gegen Menschen auf der Flucht. Dabei zeigt der Artikel Fälle von Polizeigewalt gegen Geflüchtete auf, die auf der Balkanroute versuchen, die bosnisch-kroatische Grenze zu überqueren und in die EU zu gelangen.

Perverse Foltermethoden
Nicht nur, dass diese Menschen von den Grenzen ausgeraubt und geschlagen zurückkommen, ohne auch nur die Möglichkeit, zumindest einen Asylantrag zu stellen. Nein, obendrauf berichten zahlreiche Geflüchtete von immer perverseren und brutaleren Methoden der Gewalt und Erniedrigung. So kamen die im „Guardian“ abgebildeten Menschen nicht nur ausgeraubt, barfuß und geschlagen nach Bosnien zurück, sondern hatten auch mit Farbe gesprayte Kreuze am Kopf – womit man wohl Menschen muslimischen Glaubens zusätzlich erniedrigen wollte. Bereits in der Vergangenheit gab es schockierende Berichte vom Anschütten mit kochendem Wasser, Elektro-Schocks, Armbrüchen oder das Loslassen von Hunden auf Menschen.

Meer der Tiefpunkte
Das alles ist für diejenigen, die die Situation an dieser EU-Außengrenze kennen, alles leider gar kein Novum, geschweige denn eine Überraschung. Es ist eine Kette der brutalen Entmenschlichung: So erreichte uns letzte Woche erst ein Hilfeschrei von einem unserer befreundeten Helfer aus Velika Kladuša, der uns mit dem Fall einer im neunten Monat schwangeren Frau konfrontierte. Diese befand sich 20 Kilometer vor Zagreb und bat die Polizisten, sie dringend ins Spital zu bringen, doch stattdessen wurde auch sie Opfer eines „Push-Backs“ nach Bosnien. Sie musste kilometerlang durch den bosnischen Dschungel, neben Minenfeldern aus dem Krieg, gehen und kam mit angeschwollenen Füßen und riesigen Blasen, vollkommen fertig und außer sich, bei unseren HelferInnen an.

Geschredderte Menschenrechte
Verschiedene NGO’s wie z.B. No Name Kitchen stellen – im gemeinsamen Zusammenschluss Borderviolence Monitoring Network – seit Jahren auf Borderviolence.eu Berichte über Grenzgewalt online und dokumentieren diese. Die im „Guardian“ berichteten Vorfälle sind eigentlich nur ein weiterer Tiefpunkt im Meer von vielen Tiefpunkten, wie mit Menschen an dieser Grenze umgegangen wird. An einer der Grenzen, wo die Europäische Menschenrechtskonvention tagtäglich von kroatischen Grenzpolizisten geschreddert wird. Hier, ums Eck, in der Nachbarschaft Österreichs und nur eine Stunde vom Tourismusparadies, der kroatischen Adriaküste, entfernt. Dabei handelt es sich um die gleichen Polizisten, deren Arbeit der deutsche Innenminister Seehofer Anfang dieses Jahres in einem Schreiben gelobt hat. Die gewaltsamen Push-Backs haben beim EU-Innenminister-Gipfel unter dem Vorsitz Kroatiens hingegen niemanden interessiert. Im Gegenteil: Diese „Arbeit“ wird nicht nur toleriert, sondern auch honoriert.

Im Namen der EU
Was nur 224 Kilometer von Spielfeld – im Namen der Festung Europa und der Verteidigung des „christlischen Abendlandes“ passiert – hat nicht nur gar nichts mit den Grundsätzen des Christentums zu tun. Es ist auch kein Phänomen eines Staates oder einzelner Polizisten, sondern muss mittlerweile im gesamteuropäischen Kontext betrachtet werden: Ein anderer Fall, ebenfalls in Velika Kladuša von unserer Helferin aufgeschrieben und dokumentiert, ist der eines 16-jährigen Flüchtlings, den die slowenische Polizei laut seiner Aussage auf einem Stuhl befestigte und dann einen Hund holte, der ihm ein Teil des Ohres abbiss. Auch er wurde bis nach Bosnien zurückgeschlagen. Die Bilder davon haben wir auf SOS Balkanroute heute veröffentlicht.

Die Schande sichtbar machen
All diese Geschichten und Bilder sind im Grunde das Gleiche, was wir bereits – kurz vor Ausbruch der Corona-Krise – an der griechisch-türkischen Grenze beobachten konnten, als Videos von Polizisten auf Booten, bewaffnet mit Brechstangen, veröffentlicht wurden, wie sie mit diesen auf Kinder und Familien einschlagen. Diese Gewalt hat mittlerweile System und – ob wir es wollen oder nicht – sie passiert auch in unserem Namen. Im Namen der von den Rechtspopulisten propagierten „Sicherung der Grenzen“.

Museum der hässlichen Bilder
Die hässlichen Bilder, die uns schon vor Jahren versprochen wurden, haben wir bereits im März im Museum der Migration in Wien ausgestellt. Wenn es so weiter geht, können wir bald nicht nur drei Wände in einem Museum füllen, sondern ein mehrstöckiges Museum der hässlichen Bilder machen.

So erschütternd diese Geschichten und grausam diese Bilder sind, die gerade durch die europäischen Medien gehen: Zumindest wird niemand mehr – dank der Berichte von internationalen großen Medien – in Europa sagen können, nichts gewusst zu haben…

Petar Rosandić, Mitbegründer von SOS Balkanroute, einer Initative die vor kurzem den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage 2020 gewonnen hat.