Ein rätselhaftes Entzündungssyndrom bei Kindern gibt Wissenschaftlern neue Rätsel auf. Eine Entdeckung könnte jetzt Licht ins Dunkel bringen.
Vor fünf Jahren, mit dem globalen Ausbruch der Corona-Pandemie, tauchte ein rätselhaftes Entzündungssyndrom bei Kindern auf, bekannt als „Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome“ (PIMS). Dieses Syndrom äußerte sich durch Symptome wie Herzschwäche, Hautausschläge und hohes Fieber. Um ein Versagen der Organe zu verhindern, war oft eine intensivmedizinische Behandlung notwendig, um das Immunsystem zu beruhigen. Die Ursachen des Syndroms blieben lange unklar. Jetzt haben Wissenschaftler der Berliner Charité und des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums (DRFZ) einen möglichen Zusammenhang mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) entdeckt.
PIMS ist ein schwerer Entzündungsschock, der einige Wochen nach einer Corona-Infektion auftreten kann und potenziell lebensbedrohlich ist. Prof. Tilmann Kallinich von der Charité erläuterte, dass die Corona-Infektion ein Wiederaufflammen des Epstein-Barr-Virus provoziert, indem sie das Immunsystem der Kinder destabilisiert. Das Epstein-Barr-Virus, bekannt als Verursacher des „Pfeifferschen Drüsenfiebers“, infiziert etwa 90 Prozent der Menschen im Laufe ihres Lebens. Es bleibt im Körper und kann bei einem geschwächten Immunsystem erneut aktiv werden. Auch nach einer überstandenen akuten Infektion bleibt das Virus im Körper, nistet sich in verschiedenen Zellen ein und entgeht so der Immunabwehr, was ihm ermöglicht, lebenslang im Menschen zu verweilen. Es kann Jahre nach der Erstinfektion wieder aufflammen, insbesondere bei einem geschwächten Immunsystem.
Studie und Ergebnisse
In ihrer Studie analysierten die Forscher 145 Kinder im Alter von 2 bis 18 Jahren, die wegen PIMS in der Charité oder in Kliniken in Lyon, Neapel, Ankara oder Santiago behandelt wurden. Zum Vergleich dienten 105 Kinder, die ebenfalls eine Corona-Infektion durchgemacht hatten, jedoch kein PIMS entwickelten. Bei den PIMS-Kindern entdeckten die Wissenschaftler im Blut Spuren des Epstein-Barr-Virus sowie Antikörper und hohe Mengen spezifischer Immunzellen gegen das Virus.
Die Forscher fanden heraus, dass die Immunzellen nicht mehr in der Lage sind, die mit dem Epstein-Barr-Virus infizierten Zellen zu eliminieren. Dies ist auf die ungewöhnlich hohen Mengen des Botenstoffs TGFβ (Transforming Growth Factor beta) zurückzuführen, der infolge der Corona-Infektion produziert wird. TGFβ ist ein entzündungshemmendes Molekül, das die Funktion der Immunzellen beeinträchtigt und ihre Wirksamkeit gegen das Epstein-Barr-Virus verringert. Dr. Mir-Farzin Mashreghi vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum erklärte, dass TGFβ die Immunzellen daran hindert, das Epstein-Barr-Virus zu kontrollieren, was zu einer extremen Entzündungsreaktion führen kann.
Die Corona-Infektion setzt bei manchen Kindern einen Teufelskreis in Gang: Der Botenstoff TGFβ hindert die Immunzellen daran, das Epstein-Barr-Virus in Schach zu halten, was dessen Vermehrung ermöglicht. In der Folge produziert der Körper mehr Immunzellen gegen das Virus, die jedoch weiterhin nicht funktionsfähig sind. Dies gipfelt in einer extremen Entzündungsreaktion, die Organe schädigen und potenziell tödlich verlaufen kann.
Diese Entzündungskaskade kann im Krankenhaus mit Medikamenten gut unterbrochen werden, und die meisten Kinder erholen sich nach PIMS vollständig. Zur Behandlung werden derzeit Entzündungshemmer wie Immunglobuline oder Kortison-Präparate eingesetzt. Die neuen Erkenntnisse könnten auch für andere Corona-bedingte Krankheitsbilder wie Long Covid von Bedeutung sein, da auch hier die Reaktivierung schlafender Viren eine Rolle spielen könnte.
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