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LITERATUR

Lana Bastasic: „Städte und Wohnorte müssen nicht für immer sein”

(Foto: Vladimir Nićiforović)

Lana Bastasic ist eine der erfolgreichsten Schriftstellerinnen aus der Region des ehemaligen Jugoslawien. Mit uns sprach sie über Literatur und Kunst auf dem Balkan.

Sie hat mehrere Preise für Kurzgeschichten, zwei Poesiepreise und eine Auszeichnung für eine unveröffentlichte Gedichtsammlung erhalten. Ihr erster Roman „Fang den Hasen” kam in die engste Auswahl für den NIN-Preis und die Auszeichnung „Biljana Jovanovic” und 2020 gewann sie den Literaturpreis der Europäischen Union.

KOSMO: Als junges Mädchen haben Sie sich in die Welt gewagt und die Stadt verlassen, in der Sie aufgewachsen sind. Wie haben Sie sich damals gefühlt?


Lana Bastasic: Meine Familie ist aus Zagreb nach Banja Luka gezogen. Obwohl ich damals noch klein war, habe ich mich in Banja Luka immer als die Neue gefühlt. Ich habe schnell begriffen, dass Städte und Aufenthaltsorte nicht für immer sein müssen. In meiner Kindheit habe ich kein Heimatgefühl entwickelt. Ich habe schnell verstanden, dass ich irgendwann weiterziehen würde, nicht, weil es anderswo besser ist, sondern weil mich interessierte, was es noch so gab.

Wenn wir von einem Kulturschock reden, so hat es mir definitiv gefallen, Menschen in Barcelona kennenzulernen und ihre Sprache zu erlernen. Das wäre vielleicht auch mein Rat an Menschen, die eine Übersiedelung planen: Besucht den Ort zuerst und versucht, jemanden kennenzulernen, der dort lebt.

,,Ich glaube, wir alle haben Angst vor Veränderungen, aber vor allem vor Lebenssituationen, in denen man sich ins Unbekannte wagt“, sagt Lana.

Versucht auch, vor dem Umzug die Sprache zu lernen. Mir hat das geholfen, mich zurechtzufinden. Auch die Menschen waren wunderbar und haben mir viel geholfen. Ich muss betonen: Der Umzug war längst nicht so furchtbar, wie ich gefürchtet hatte. Ich glaube, wir alle haben Angst vor Veränderungen, aber vor allem vor Lebenssituationen, in denen man sich ins Unbekannte wagt. Sie helfen einem, sich selbst kennenzulernen. Wenn all die kleineren und größeren Sicherheiten um dich herum wegfallen, all deine Stützpfeiler, dann merkst du, wer du eigentlich bist und was du kannst und was nicht. Ich glaube, dass diese Angst vor dem Aufbruch uns oft zurückhält.

KOSMO: Wie sehen Sie als Schriftstellerin die Ambivalenz, die auftritt, wenn wir von unseren Identitäten sprechen. Ist diese Ambivalenz eine Quelle der Inspiration?


Lana Bastasic: Zu einer Kategorie zu gehören, kann nicht nur Schriftsteller einschränken, sondern auch alle Menschen. Für mich ist das keine politische Frage, sondern ich mag mich einfach auf diese Weise nicht festlegen, egal, ob es um die Nation, die Sprache oder den Musikgeschmack geht (lacht). Eines so zu behandeln, als wäre es das Einzige, hat mich immer eingeschränkt, denn dann konnte ich keinen Raum finden, um Neues zu lernen. Es liegt in meiner Natur, kategorische Definitionen abzulehnen. Manchmal ist man in einer Situation, in denen die Menschen einen festlegen und mit dieser Identifikation „in eine Schublade stecken“.

Für ihren ersten Roman hat Lana im Jahr 2020 den EU-Literaturpreis gewonnen. (Foto: KOSMO)

Genau das inspiriert mich sehr. Ich finde, dass es für Schriftsteller und für Künstler allgemein sehr wichtig ist, immer innerhalb eines Raums, aber gleichzeitig auch außerhalb dieses Raums zu sein. Das heißt, zu einer Gruppe zu gehören, sie zu verstehen, sie aber gleichzeitig auch von außen zu betrachten. Das war sehr bedeutsam für mich. Diese lineare Position ist für einen Schriftsteller sehr wichtig. Wenn ich über den Balkan und über unsere Landsleute spreche, dann gehöre ich gleichzeitig zu irgendeiner Kategorie und gehöre doch nicht dazu. Das ist nicht einfach, oft wäre es leichter, sich einfach irgendwo einzuordnen. Für mich ist es einfach inspirierend, Identitäten ständig zu hinterfragen.

KOSMO: Sie sind eine große Aktivistin und ein Vorbild vieler junger Mädchen. Wie sehen Sie die Rolle der Literatur im Kampf für Menschenrechte und Gleichberechtigung?


Lana Bastasic: Ich glaube, dass Literatur leider nicht mehr so populär ist wie früher. Ich glaube nicht, dass ein Buch heute noch einen Skandal auslösen oder die Menschen zu einem Kampf inspirieren könnte. Aber was es kann, ist, einen neuen Blick und neue Perspektiven auf ein Geschehen anzubieten. Das ist sehr wichtig, denn wir alle auf dem Balkan sind mit einer Geschichte aufgewachsen, die auf eine bestimmte Weise erzählt wurde. Egal, ob das eine politische, patriarchale, Schul- oder Familiengeschichte war, es ist fast immer so, dass es eine Schablone gibt. Wenn wir dann auf Geschichten treffen, die anders sind, Geschichten, die aus anderen Perspektiven erzählt werden, dann lernen wir, dass es auch eine andere Seite gibt.

,,Ich glaube nicht, dass ein Buch heute noch einen Skandal auslösen oder die Menschen zu einem Kampf inspirieren könnte. Aber was es kann, ist, einen neuen Blick und neue Perspektiven auf ein Geschehen anzubiete“, so Lana.

Oft fühlen wir uns auch weniger einsam, denn wir begreifen, dass es noch jemanden gibt, der so denkt wie wir. Da besteht auch Empathie in der Literatur, von der ich glaube, dass sie subversiv sein kann, selbst, wenn das nicht die Absicht des Autors ist. Ich glaube nicht, dass wir politische Pamphlete schreiben müssen, aber wenn wir das beschreiben, was wir um uns herum sehen, und wenn wir ehrlich sind und uns bemühen, die Menschen, die wir beschreiben, auch zu verstehen, dann ist da Raum für Empathie. Ich glaube wirklich, dass Kunst uns auf diese Weise neue Muster bieten kann, um die Welt um uns herum zu erklären.

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