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INTERVIEW

Ljubomir Bandović: „Ich liebe die Kunst in mir, aber nicht mich in der Kunst!“

ljubomir bandovic
FOTO: KOSMO

SCHAUSPIELER. Der Bühne war er schon als elfjähriger Bub verfallen und diese Beziehung ist untrennbar. Seine Karriere baut er sich auf, ohne von seinem moralischen Kodex abzuweichen. Ihm ist bewusst, dass er nur so dem Kind treubleiben kann, das in ihm lebt.

Den größten Teil seiner Kindheit bzw. alle Schulferien verbrachte Ljubomir Bandović bei seiner Großmutter in seinem Geburtsort Andrijevica, einem Dorf in Montenegro. Aufgewachsen ist er in Vranje, wo er die Schule besuchte und im städtischen Theater seine ersten Bühnenschritte wagte. Beide Orte, die in ihrer Mentalität und Sprache charakteristisch sind, haben unauslöschliche Spuren in ihm hinterlassen.

KOSMO: Wie haben Sie es geschafft, zwei Dialekte zu erlernen und heute eine so gepflegte Sprache zu sprechen?
Ljubomir Bandović:
Mein Vater, der aus Montenegro stammt, spricht auch nach 50 Lebensjahren in Vranje noch immer denselben ijekavischen Dialekt. Meine Mutter stammt aus Vranje und auch meine Freunde sind aus Vranje. Wenn wir annehmen, dass die nordmontenegrinische und die südserbische Mundart in der Dialektpalette des ehemaligen Jugoslawien die Extreme bilden, dann beherrsche ich alles, was dazwischen liegt, ohne Fehler. Meine halbe Karriere lang erkläre ich den Menschen, dass ich nichts mit Bosnien zu tun habe, denn für eine Weile habe ich in Fernsehserien und auf der Bühne typischerweise Bosnier gespielt. Ich habe ein Gespür für all diese Dialekte und ein gutes Auge für die Finessen in den Mentalitäten, daher schaffe ich das ohne Probleme.

„Mit Hilfe meines Cousins habe ich das ärztliche Attest gefälscht, das für die Einschreibung in die Akademie erforderlich war.“

– Ljubomir Bandović

Sie sagen, dass Sie ein gutes Gespür für Dialekte haben, dabei können Sie auf dem linken Ohr gar nicht hören. Darum erfolgte auch Ihre Einschreibung an der Akademie anders als bei den Kollegen.
Wir Beraner sind in Belgrad in allen Strukturen vertreten, einschließlich der Regierung und auch der Unterwelt. So kam es, dass ich einen Verwandten hatte, der im Gesundheitswesen arbeitete und mit dessen Hilfe ich die ärztliche Bestätigung fälschen konnte, die ich für die Inskribierung an der Akademie brauchte. Allerdings habe ich gleich in der ersten Stunde, als Professor Vlada Jeftović forderte, dass jeder ein Geheimnis über sich verraten sollte, das wir bei der Aufnahme verschwiegen hatten, gleich zugegeben, dass ich das gemacht hatte, und hatte gleichzeitig Angst, dass ich jetzt vielleicht hinausgeworfen würde. Aber der Professor sagte. „Nun ja, das ist wahrscheinlich typisch für Sie. So, wie Sie wegen der Bühne aus der Schule geflüchtet sind, ist es klar, dass Sie auch die ärztliche Bestätigung gefälscht haben.“ In Vranje war für mich neben der Schule, den Freunden und allem anderen, was die Kindheit so mit sich bringt, das berühmte Vranjer Theater, das 1993 sein hundertjähriges Bestehen gefeiert hat, das Wichtigste. Als Elfjähriger habe ich begonnen, Theater zu spielen, und darunter haben natürlich die Schule, die Mädchen, die Freunde und auch das Handballtraining gelitten. Aber das alles hat zu dem geführt, was mein Leben heute ist.

Wie hat Ihr montenegrinischer Vater die Entscheidung seines Sohnes aufgenommen, Schauspieler zu werden und nicht Ingenieur oder Arzt?
Mein montenegrinischer Vater hat das erst akzeptiert, nachdem sein Sohn sich, wie man so sagt, als Schauspieler etabliert hatte. Ich habe 89 Premieren hinter mir, aber bei keiner einzigen habe ich meine Eltern gesehen. Trotzdem sind sie sowohl auf meinen Bruder, der im Bildungswesen arbeitet, als auch auf mich sehr stolz. Ich glaube, dass sie sich unserer Erfolge rühmen. Dennoch halten sie sich fern davon, was ich mit zunehmendem Alter immer besser verstehe, da ich sehe, dass mir oft dieses kleine, gewöhnliche Leben fehlt.

„Manche Menschen aus der Diaspora verstehen unsere Witze anders, weil sie ein Teil des Westens geworden sind“, so Bandovic. (FOTO: KOSMO)

Wie lange hat der Wege von den Anfängen bis zum etablierten Schauspieler gedauert?
Wenn „etabliert“ bedeutet, dass ich in Kreuzworträtseln auftauche, dann hat dieser Weg etwa zehn Jahre gedauert, von 1998, als ich mein Diplom bekommen habe, bis 2008, als die Fernsehserie „Vratiće se rode“ gedreht wurde, durch die ich dem Publikum bekannt geworden bin. Ein etablierter Schauspieler ist für mich jemand, der ständig weiterlernt, aber wenn wir die öffentliche Meinung heranziehen, ist ein etablierter Schauspieler jemand, der durch das Fernsehen zu Ihnen nach Hause kommt.

In den vergangenen Jahren haben Sie in Fernsehserien eine ganze Palette von Figuren gespielt, für die Sie das Publikum liebt.
Das Publikum hängt sehr an den beliebten Rollen, sodass mich die Menschen auf der Straße mit den Namen der Figuren ansprechen, die ich gespielt habe. Natürlich stört mich das nicht, ich finde es sympathisch, aber es bringt auch eine große Verantwortung gegenüber all diesen Menschen mit sich.

Sie stehen auch auf der Bühne, im Moment spielen Sie im „Balkanski špijun“ den Ilija Čvorović. Wie sind Sie nach dem berühmten Bata Stojković in diese Rolle geschlüpft?
Ich glaube, dass Dimensionen wie die von Bata die Messlatte gebildet haben, die wir erreichen müssen. Die Idee dahinter ist, dass sie so hoch ist, dass irgendjemand sie immer erreichen wird oder sie noch weiter in die Höhe schraubt. Wenn man anfängt, gibt es keine Kalkulation. Man geht mit voller Kraft voraus, auch wenn man sich dabei verläuft. Ich habe auch den Rauchfangkehrer Sava in der „Klaustrophobischen Komödie“ gespielt, und Frau Olga, Batas Witwe, hat nach der Premiere darauf bestanden, mich zu treffen. Sie hat meine beiden Hände genommen, sie geküsst und gesagt, sie wünschte, Bata könnte mich sehen. Das war für mich ein Zeichen, dass ich es geschafft hatte, bis zu Batas hoch angelegter Messlatte zu springen. Um ehrlich zu sein, habe ich nur einen Menschen, dem ich im Leben Rechenschaft ablege, und das bin ich mit elf Jahren. Ich weiß, welche Träume dieser Bub damals geträumt hat, und manchmal wartet er zu Hause in der Finsternis auf mich und sagt „Schäm dich“ oder „Hut ab!“

Vor kurzem hat die Volksbühne mit der Vorstellung „Balkanski špijun“ ein Gastspiel in Kroatien gegeben. Wie war Ihr Eindruck?
Ja, wir haben je zwei Vorstellungen in Zagreb und bei den Dubrovniker Sommerspielen gegeben, bei denen erstmals seit 32 Jahren ein Theater aus Belgrad vertreten war. Da wir die Handlung der Vorstellung in die heutige Zeit verlegt haben und es darin kein Jugoslawien mehr gibt, konnte sich das Publikum leicht mit der Geschichte identifizieren. Es gab ein unwahrscheinliches Publikumsecho, und von den Reaktionen zeugt auch die Tatsache, dass sie uns sieben- oder achtmal vor den Vorhang zurückgerufen haben. Ich habe im kroatischen Fernsehen nach der Vorstellung in Dubrovnik gesagt, dass wir einander genug gestört haben und dass es Zeit ist, dass wir einander wieder brauchen.

„Das System, nimmt uns die Seele, und die Ungerechtigkeit spürt man in der ganzen Welt.“

– Ljubomir Bandović

Sie sagen von sich selber, dass Sie freier Künstler sind. Wie frei kann ein Künstler tatsächlich sein?
Allgemein ist der Mensch heute nicht frei. Man hat uns Menschenrechte zugestanden, die uns sowieso zustehen und die uns niemand geben kann, und man hat uns die Menschenwürde genommen, die eigentlich die grundlegende Freiheit des Menschen ist. Heute gibt es keine freien Menschen, sondern nur solche, die vielleicht freier leben als andere, aber die Freiheit ist als unerreichbare Kategorie heute für den normalen Menschen, Künstler, Ingenieur, Arzt… nicht zu erringen. Auf globalem Niveau zermahlt uns dieses System, nimmt uns die Seele, und die Ungerechtigkeit spürt man in der ganzen Welt auf dieselbe Weise, alle haben dieselben Probleme.

Sie spielen oft für unsere Landsleute in der Diaspora. Unterscheidet sich dieses Publikum von dem in Belgrad?
Unsere Landsleute in der Diaspora nehmen einige Momente in den Vorstellungen anders auf, denn sie sind Westler geworden, sie sind Teil des Systems, in dem sie leben. Manche Dinge finden sie nicht lustig, aber das Publikum in Serbien schon, und umgekehrt, aber die globalen Probleme des gewöhnlichen Menschen verstehen sie eigentlich genauso, wie zum Beispiel, dass man für den eigenen Lohn, aber für den Verdienst anderer arbeitet. D.h. abhängig von dem Alltag, in dem die Menschen leben, sind die Reaktionen zu 90 % universell, vor allem, wenn das Publikum die Ehrlichkeit spürt.

Sie haben eine beneidenswerte Karriere gemacht, aber der Bub in Ihnen hat sicher noch unerfüllte Träume. Was würden Sie mir gerne in zehn Jahren von sich erzählen können?
Ich würde mich gerne rühmen, dass ich mir selbst nicht untreu geworden bin. Ich würde mir wünschen, dass die Träume jenes Elfjährigen, dem ich Rechenschaft ablege, in Erfüllung gegangen sind, die Träume des jungen Ritters, der immer bereit ist, dem Schwächeren zu Hilfe zu kommen, der immer nach Gerechtigkeit strebt, der die Kunst in sich liebt, aber nicht sich selber in der Kunst. Ich würde Ihnen gerne sagen, dass ich Vater geworden bin, dass ich das Versprechen an Petar Kralj gehalten habe, der mich einmal gebeten hat, in meinem künstlerischen Ausdruck das zu bewahren, was am wertvollsten ist, und das hat er so definiert: “Jedes Mal soll das erste Mal sein. Achte darauf, dass nichts selbstverständlich wird.“ Ich würde gerne einfach bleiben, so wie ich es jetzt bin, und mich gerne weiterhin wie ein Kind über alle meine eigenen Erfolge und die Erfolge meiner Freunde und Kollegen freuen. Ich würde mich gerne rühmen, dass dieser Beruf endlich an Bedeutung gewonnen hat und dass die Formulierung „freier Künstler“ das auch wirklich bedeutet.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.