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INTERVIEW

Marijana Dokoza: „Am meisten inspirieren mich die Geschichten der einfachen Menschen“

Letztes Jahr hat Dokoza die deutschsprachige Literaturlandschaft mit ihrem Buch „Die Stimme“ betreten. (FOTO: zVg.)

In Ihrem Bereich sind Sprachen und Ausdrucksfähigkeit entscheidend. Wie haben Sie sich im deutschen Sprachraum eingelebt, d.h. wie nimmt Deutschland Journalisten ausländischer Herkunft auf und was würden Sie jungen Autoren und Journalisten empfehlen, die so wie Sie den Balkan verlassen haben?
Relativ gut. Ich habe kein Problem mit dem Sprechen. Die Deutschen sind entspannt und schätzen es, wenn man ihre Sprache spricht, auch wenn man ein paar Fehler macht. Sie lassen es einen nie spüren, dass man Fehler macht. Aber das Schreiben fällt mir schwerer. Ich erinnere mich an eine Situation in Mainz. Ich war erst etwa ein halbes Jahr da und hatte vorher absolut gar kein Deutsch gekonnt. Ich sollte ein Gespräch mit dem Bürgermeister von Mainz führen. Also stellte ich ein paar Fragen zusammen, ließ sie übersetzen, lernte sie auswendig und ging zu der Veranstaltung, wo ich ein kurzes Gespräch mit dem Bürgermeister führte, das ich aufnahm und später übersetzen ließ. Bei uns war auch die Vorsitzende der Kroatischen Kulturgemeinschaft in Mainz und die sagte ihm nach dem Gespräch, dass ich gerade erst aus Kroatien gekommen war. Er wandte sich an mich und sagte: „Oh, sie sprechen aber gut Deutsch. Sie sind sicher schon mit Vorkenntnissen hierhergekommen.“ Ich lachte und erklärte ihm alles auf Englisch. Das fand er sympathisch.

Ich würde jungen Schriftstellern und Journalisten raten, jede neue Situation, die sich ihnen bietet, als neue Chance zu sehen, und daraus das Beste zu machen. Man darf keine Angst haben und sich vor neuen Situationen scheuen. Vor einer Lesung auf der Buchmesse in Frankfurt hatte ich unbeschreibliches Lampenfieber, aber eine Autorin sagte mir: „Keine Angst, was kann denn schon passieren? Du kannst dich nur blamieren, aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste wäre, wenn du jetzt kneifen und es nicht versuchen würdest.“ Und sie hatte Recht. Das Schlimmste ist, wenn man nicht einmal versucht, sich seine Wünsche zu erfüllen. Darum rate ich jedem jungen Schriftsteller, Journalisten und überhaupt jedem, keine Angst zu haben, sondern die Gelegenheit beim Schopf zu packen und das Beste daraus zu machen. Aber natürlich nicht auf Kosten anderer.“

„Das Schlimmste ist, wenn man nicht einmal versucht, sich seine Wünsche zu erfüllen.“

Sie sind Chefredakteurin der Zeitschrift „Fenix Magazin“. Was für ein Magazin ist das?
Das Fenix Magazin hat einmal monatlich eine Printausgabe und das Portal fenix-magazin.de. Die Publikation schreibt über das Leben der Kroaten in der Diaspora, aber auch über wichtige und interessante Ereignisse im Allgemeinen. Überwiegend konzentrieren wir uns auf Deutschland, Österreich, die Schweiz und Luxemburg. Aber da uns bisweilen auch Leser aus Übersee kontaktieren und unser Magazin lesen, schreiben wir auch über die Kroaten in Kanada, Australien und Amerika. Die Leser senden uns oft ihre Erfahrungsberichte und Geschichten oder Geschichten von jemandem, den sie kennen, und die ihnen interessant genug erscheinen für die Veröffentlichung. Im Laufe der Jahre hat sich Fenix als meistgelesenes Migrantenmedium profiliert. Das haben auch die größeren Medien in Kroatien anerkannt. Daher folgen sie uns und bringen oft auch unsere Geschichten. Wir können also sagen, dass wir eines unserer ersten Ziele erreicht haben, und das war, die Heimat und die Diaspora zu verbinden.

Können Sie Ihre Arbeit und Ihr Talent in Deutschland oder in Kroatien besser einsetzen?
Ich glaube, das ist relativ. Die Möglichkeiten, die ich in Kroatien hatte, habe ich in Deutschland nicht, aber meine Arbeit kommt durch den Journalismus und die Literatur doch auch in Kroatien zur Geltung. In Deutschland habe ich die Möglichkeit, verschiedene Kulturen und Mentalitäten kennenzulernen, und zwar nicht nur, darüber zu lesen, sondern mit ihnen zusammenzuleben. Wenn Sie in einer solchen Umgebung leben, haben Sie Gelegenheit, alles aus erster Hand zu erleben, und das ist ein großer Gewinn. Auf der anderen Seite fällt es mir leichter, mit deutschen Herausgebern zu kommunizieren und zu verhandeln usw.

„In Deutschland habe ich die Möglichkeit, verschiedene Kulturen und Mentalitäten kennenzulernen, und zwar nicht nur, darüber zu lesen, sondern mit ihnen zusammenzuleben.“

Wo finden sie die Inspiration für Ihre Werke?
In den Menschen, in ihren Geschichten. Manchmal passiert es mir, dass nach einer Veranstaltung jemand zu mir kommt und mir seine Geschichte erzählen will. Oft sind diese Geschichten sehr interessant und haben tatsächlich alle Elemente für einen Roman.

Den Roman „Die Stimme“ („Glas“) haben Sie zuerst auf Deutsch herausgebracht, obwohl er auf Kroatisch geschrieben wurde. Warum haben Sie sich für diese Reihenfolge entschieden?
Als sich mir die Gelegenheit bot, den Roman auf Deutsch herauszubringen, habe ich sofort zugestimmt. Der Roman wird in ganz Deutschland verkauft und man findet ihn auch auf Online-Verkaufsplattformen. Das, was der Herausgeber im Vertrag angeboten hat, hätte niemand ausgeschlagen. In Wahrheit war es mir am wichtigsten, dass der Roman auf Deutsch erschien. Daher hätte ich auch unter viel schlechteren Voraussetzungen zugesagt. Nachdem ich die E-Mail des Herausgebers bekommen hatte, in der stand, dass er an meinem Roman interessiert war, konnte ich das, bis der Vertrag unterschrieben war, gar nicht glauben.

„Wenn mich etwas inspiriert, entsteht einfach sofort in meinem Kopf das Konzept zu dieser Geschichte oder im Herzen die Verse.“

Sie schreiben Prosa und Dichtung. Wenn Sie etwas inspiriert, wie entscheiden Sie, ob Sie diese Inspiration zu Prosa oder zu Dichtung werden lassen?
Das wissen Sie in dem Moment einfach. Das ist keine Entscheidung. Wenn mich etwas inspiriert, entsteht einfach sofort in meinem Kopf das Konzept zu dieser Geschichte oder im Herzen die Verse. Ich lasse mich oft sowohl im Leben als auch in Romanen und Gedichten von meinem Herzen leiten.

Welches Ihrer bis jetzt veröffentlichten Werke war für Sie am herausforderndsten zu schreiben?
Ich würde zwei Romane herausgreifen, Grijesi („Sünden“) und Tragovi („Spuren“). Grijesi ist die wahre Geschichte einer Frau, die misshandelt wurde und mit der ich mich über fast ein Jahr immer wieder getroffen habe. Sie hat mir die Ereignisse ihrer Vergangenheit erzählt. Tragovi sind ein ganz anderer Roman, als ich sie sonst schreibe. Das ist eine realistische, lebensnahe Geschichte über die verbotene Liebe eines Mannes und einer Frau, die Männer und Frauen zum Nachdenken zwingt und auch zur Identifikation mit den Figuren und zum Überdenken ihres Verhaltens. Im Roman gibt es erotische Elemente und ich habe schon mehrfach gehört, dass das ein erotischer Roman sei, aber das ist er nicht. Es ist die Geschichte einer tiefen, aber verbotenen Liebe, die den ganzen Schmerz durchlebt, den eine verbotene Liebe verursacht.