Mit Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprachen wir über den aktuellen Ermittlungsstand bezüglich des Terroranschlags von Wien, Fehler in der Ermittlungsarbeit, die Sicherheitslage in Österreich und die Corona-Krise bzw. die Einhaltung der Maßnahmen.
KOSMO: Wie waren die ersten Momente, als Sie von Schüssen in der Seitenstettengasse gehört haben?
Karl Nehammer: Ich war an diesem Abend – wie an den meisten, seit ich Innenminister bin – in meinem Büro. Nachdem erste besorgniserregende Mitteilungen bei mir einlangten, schaltete ich den Polizeifunk in meinem Büro ein. Ich hörte die ersten Funksprüche und konnte bereits an der Stimmlage der im Einsatz befindlichen Polizisten erahnen, dass es sich um einen Ernstfall handelt und Wien Schauplatz eines terroristischen Anschlags geworden ist.
Mittlerweile ist ein Monat seit der Tat vergangen. Wie beurteilen Sie die Sicherheitslage in Österreich?
Die ersten Tage und Wochen sind von einer erhöhten Gefährdungslage gekennzeichnet – das zeigen uns internationale Erfahrungen. Nachahmungstäter können ebenso wenig ausgeschlossen werden wie Trittbrettfahrer. Ich habe daher angeordnet, dass schnelle Eingreifgruppen des Einsatzkommandos Cobra in ganz Österreich, vor allem im urbanen Raum, zum Einsatz kommen. Aufgrund unserer sicherheitspolizeilichen Erkenntnisse nach dem Anschlag vom 2. November 2020 haben wir dem Schutz von Kirchen und Synagogen einen besonderen Stellenwert eingeräumt.
Sie und Ihre Familie waren Opfer von Drohungen. Welchen Einfluss hat das auf Ihr Privatleben und wie gehen Ihre engsten Angehörigen damit um?
Diese Situation ist neu und ungewohnt für mich und meine Familie. Ich bin in dieser schwierigen Situation vor allem stolz auf diese professionelle und mit internationaler Reputation versehene Spezialeinheit. Als Innenminister rechnet man damit, dass man einer Bedrohung ausgesetzt ist. Man sorgt sich aber wie jeder andere Vater und Ehemann um seine Frau und seine Kinder.
„Jeder, der sich mit unseren demokratischen Grundwerten identifiziert, ist Teil unserer Gesellschaft, egal ob sie muslimischen, orthodoxen oder katholischen Hintergrund haben.”
Einige von den nach dem Anschlag Verhafteten sind hierzulande geboren und darunter gibt es auch Personen mit Balkanwurzeln. Wie kommt es, dass diese jungen Menschen in einem Moment der IS-Ideologie verfallen und zu potenziellen Gefährdern werden?
Eines sei vorweg ganz klar gesagt: Jeder, der sich mit unseren demokratischen Grundwerten identifiziert, ist Teil unserer Gesellschaft – ohne Unterschied seiner Herkunft oder seines religiösen Bekenntnisses. Wir wollen diese Menschen stärken, egal ob sie muslimischen, orthodoxen oder katholischen Hintergrund haben. Andererseits werden wir mit aller Konsequenz gegen jene vorgehen, die durch religiös oder politisch motivierten Extremismus die Spaltung unserer Gesellschaft beabsichtigen.
Aufgrund der Ermittlungsfehler, die Ihrem Ressort unterlaufen sind, wurden Sie und Ihre Position in Frage gestellt. Handelt es sich bei diesen Fehlern um menschliches Versagen oder Systemfehler im Verfassungsschutz?
Bundesministerin Alma Zadić und ich haben bereits am 4. November 2020 die Einrichtung einer unabhängigen Untersuchungskommission bekannt gegeben. Diese hat auch bereits, unter der Leitung von Ingeborg Zerbes, ihre Arbeit aufgenommen. Es ist mir wichtig, dass hier volle Transparenz herrscht und die Ergebnisse auch in die Reform des Verfassungsschutzes einfließen.
„Die Pandemie wird uns noch die nächsten Monate fordern.”
Welche Auswirkungen hat der Terroranschlag auf die österreichische Gesellschaft und die Gesetzeslage?
Ziel von politisch oder religiös motiviertem Terrorismus ist, die Spaltung der Gesellschaft herbeizuführen, andererseits aber auch das Vertrauen in die staatlichen Behörden zu erschüttern und damit allgemein eine Destabilisierung des sozialen Friedens zu bewirken. Nach dem Anschlag vom 2. November 2020 haben die Menschen in Österreich eine Solidarität gezeigt, die alles andere als einen Spalt in der Gesellschaft erkennen lässt. Dass es zeitgemäße Befugnisse für die Ermittler braucht, um gegen Gefährder vorzugehen, ist nicht erst seit dem 2. November bekannt.
Zusätzlich zum Anschlag hat Österreich den zweiten harten Lockdown hinter sich gebracht. Wie beurteilen Sie die Disziplin der Bevölkerung?
Die Zahl der Neuinfektionen geht in den vergangenen Tagen merklich zurück. Das macht mich zuversichtlich. Die Zahl der Hospitalisierungen und jener Menschen, die auf einer Intensivstation untergebracht sind, wird sich aber nur langsam zurückgehen. Es war in diesem zweiten Lockdown ungleich schwieriger, die Menschen von seiner Notwendigkeit zu überzeugen und die Maßnahmen mitzutragen. Ich habe vollstes Verständnis dafür. Der Virus geht jedem auf die Nerven. Aber es ist notwendig, jetzt noch einmal durch Zurückhaltung und Disziplin alles zu unternehmen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen.
„Der Virus geht jedem auf die Nerven. Aber es ist notwendig, jetzt noch einmal durch Zurückhaltung und Disziplin alles zu unternehmen.”
Das Lockdown-Ende bedeutet nicht gleichzeitig das Ende der Pandemie. Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung in den kommenden Monaten?
Die Pandemie wird uns zumindest noch die nächsten Monate fordern – und zwar jeden von uns. Es ist mir wichtig, dass wir diese Herausforderung gemeinsam angehen und bewältigen – als Menschen, die in einer starken und gewachsenen Demokratie leben.
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