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EXKLUSIVES INTERVIEW

Serbische Schauspielerin: „Mein Kollege hat mit der Vergewaltigung einen Teil von mir getötet“

Serbische Schauspielerin: "Mein Kollege hat mit der Vergewaltigung einen Teil von mir getötet" (FOTO: Elena Mudd)

Danijela Štajnfeld ist Schauspielerin und hatte in Serbien beachtliche berufliche Erfolge zu verzeichnen, aber dann hat eine Nacht alles verändert. Sie wurde das Opfer einer Vergewaltigung durch einen älteren, berühmten Kollegen und musste jahrelang daran arbeiten, die Narben auf ihrer Seele verheilen zu lassen. Dies ist ihre Geschichte.

Ich bin Danijela Štajnfeld…
Seit neun Jahren lebe ich in New York, aber ich stamme aus Ruski Krstur, einem kleinen Ort in der Vojvodina. Mein Vater ist Jude, meine Mutter Russinin und ich habe auch eine Schwester. Ehrlich gesagt habe ich nicht erwartet, ein besonders glamouröses Leben zu führen, denn das ist in Serbien weitgehend den jungen Leuten aus den großen Städten vorbehalten. Aber trotzdem: Ich bin Schauspielerin geworden und habe das mit meinem eigenen Talent und aus eigener Kraft geschafft, ohne die Hilfe meines Vaters oder meiner Onkel, und vor allem ohne politische Unterstützung und nicht über irgendjemandes Bett. Ich habe Preise und Auszeichnungen gewonnen und war stolz darauf. Ich hatte auch ein ständiges Engagement an der Belgrader Theaterbühne „Beogradsko dramsko pozorište”. Ich habe viel gearbeitet, einmal hatte ich 13 Rollen zugleich, aber ich habe neue Herausforderungen immer gerne angenommen und war überzeugt, dass ich in dem Beruf, den ich liebte, noch viel leisten würde.

In der Umgebung von New York hatte ich eine Verwandte, Anika, die eine bekannte Wissenschaftlerin war und den Holocaust überlebt hatte. Sie hatte großen Einfluss auf mich und veränderte meine Lebenseinstellung auf positive Weise. Als ich das Honorar für den Film „Ivkova slava” bekam, investierte ich es in ein Flugticket und besuchte Tante Anika. Später bin ich öfter zu ihr geflogen, denn da sie keine Familie hatte, liebte sie mich sehr, und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Bei diesen Besuchen lernte ich Menschen aus der Welt des Theaters kennen und besuchte sogar einige Monate lang eine Fortbildung in einer berühmten Schule, in der ich viel gelernt habe. Gegen Ende meines Aufenthalts in Amerika wurde mir angeboten zu bleiben. Freunde versuchten mich zu überreden, dass ich nicht nach Serbien zurückkehren sollte, aber genau in dieser Zeit erhielt ich ein verlockendes Angebot von Maša Mihajlović, der damaligen Leiterin des Beogradsko dramsko pozorište. Sie teilte mir mit, dass eine Inszenierung von „Dnevna zapovest” geplant sei und dass Branislav Lečić darauf bestand, dass ich darin mitspielen sollte. Ich hätte das ablehnen können, aber es war eine Herausforderung. Daher sagte ich meinen Freunden, dass ich New York verlassen würde, denn mich erwartete die Arbeit an einer Inszenierung, in der ich gemeinsam mit dem ehemaligen Kultusminister spielen würde.

Ich habe Preise und Auszeichnungen gewonnen und war stolz darauf. Ich war davon überzeugt, dass ich noch viel in diesem Beruf leisten würde.

Danijela Štajnfeld

Ich wurde vergewaltigt…
Es war September, als ich nach Belgrad zurückkehrte, und die Premiere fand im November 2011 statt. Aus diesem Anlass kamen auch meine Freunde aus Amerika nach Belgrad und lernten Lečić kennen. Während dieser ganzen Zeit überschritt mein älterer Kollege immer wieder die Grenzen des guten Benehmens und spielte den Verführer. Ich ließ ihn sehr deutlich wissen, dass mich das nicht interessierte, aber einmal, als wir vor einer Vorstellung in der Garderobe die Einsätze übten, schloss er die Tür und steckte mir die Hand unter das Kleid. Ich flüchtete, war sehr beunruhigt und machte mich sofort auf den Weg zum Büro der Theaterleiterin, um ihr zu erzählen, was passiert war. Aber dann ließ ich davon ab, denn mir wurde klar, dass ich den Kürzeren ziehen würde. Ich verdrängte die Geschichte und machte weiterhin meine Arbeit.

Am 7. Mai 2012 bot Lečić mir an, mich nach Hause zu fahren. Nichtsahnend stieg ich in sein Auto, aber er nahm einen Weg, den ich nicht kannte. Ich verlangte sofort, dass er stehenbleiben sollte, und wollte aussteigen, aber vergebens. Er brachte mich irgendwo an die Peripherie Belgrads, ich wusste nicht, wo ich war. Er zerrte mich in ein Haus und dort begann meine mehrstündige Qual, ein körperlicher und psychischer Missbrauch. Es ist schwer für mich, daran zurückzudenken, was ich in dieser Nacht alles durchgemacht habe, aber als er mich in der Früh nach Hause brachte, war ich nicht mehr dieselbe. Branislav Lečić hat mit der Vergewaltigung einen Teil von mir getötet.

Branislav Lečić hat mit der Vergewaltigung einen Teil von mir getötet.

Danijela Štajnfeld

Ich wollte alles vergessen…
Sobald ich in meiner Wohnung war, schrieb ich meinem Freund in New York. Ich verwendete das Wort VERGEWALTIGUNG nicht, aber er erriet es trotzdem und war wütend. Ich konnte nicht schlafen und am nächsten Morgen rief ich meine beste Freundin an und erzählte ihr alles, auch den Namen des Vergewaltigers. Das, was sie gehört hatte, belastete sie sehr und sie erzählte alles ihrem Freund. Die beiden versuchten, mit mir zu reden, aber ich wich ihnen aus. Ich fasste den Entschluss zu schweigen. Niemand sollte jemals wieder davon erfahren und ich dachte, diese Erfahrung tief in mir vergraben zu können und nie mehr daran zurückzudenken. Ich wollte mich verhalten, als hätte es diese Vergewaltigung nie gegeben.

Meine Freundin sah, dass es mir nicht gut ging. Sie versuchte, an mich heranzukommen, mich zu öffnen, aber das ging nicht. Sie sagte darüber vor der Polizei als Zeugin aus, als der Prozess eröffnet wurde. Sie schaffte es, mich zu überzeugen, dass wir das Opferzentrum in Belgrad anrufen, und später brachte sie mich auch dazu, dorthin zu gehen und mit zwei Psychologen zu reden. Ich sagte ihnen nicht, wer der Vergewaltiger war, denn ich hatte Angst vor einem Shirtstorm und vor der Lynchmentalität der Medien, die ich zu der Zeit sicher nicht überlebt hätte. Aber ich gab ihnen Karten für eine Vorstellung und sagte, dass sie erkennen würden, wer der Vergewaltiger war, wenn sie uns vier SchauspielerInnen auf der Bühne sehen würden. Nach der Vorstellung schrieben sie mir: „Jetzt ist uns alles klar. Was Sie erlebt haben, ist furchtbar.” Sie fanden es unwahrscheinlich, dass ich überhaupt noch spielen konnte, gemeinsam mit meinem Vergewaltiger. Auch sie haben vor der Polizei ausgesagt und unsere Korrespondenz vorgelegt.

Ich habe das Stück weiterhin mit Lečić gespielt…
Gleich nach der Vergewaltigung rief ich die Leiterin des Theaters an und log, dass ich dringend nach New York reisen müsse, weil meine Tante Anika krank sei. Leider sagte sie mir, dass ich noch 40 Tage spielen müsse, denn sie könne keinen Ersatz für mich finden. Als ich das hörte, kaufte ich ein Ticket nach Amerika. Das bedeutete mir viel, denn ich redete mir ein, bis zu diesem Datum alles ertragen zu können, selbst einen erneuten Missbrauch, aber dann wäre ich weg. Das Flugticket gab mir Hoffnung, Kraft und den nötigen Frieden, um weiter mit ihm auf der Bühne zu stehen. Dieser Überlebenstrieb ist tatsächlich ein anderer Bewusstseinszustand. Die erste Vorstellung gaben wir vier Tage nach der Vergewaltigung. Er kam zu spät und so begann auch die Vorstellung zu spät. Die zweite Szene fängt damit an, dass wir uns beide lange in die Augen sehen. Ich war nervös und in seinem Gesicht lag panische Angst; er versuchte, meinem Blick auszuweichen. Er kannte die Szenenfolge nicht mehr und vergaß seine Einsätze, was vorher nie passiert war. Er war verstört, und außer sich. Und diese Angst, die er zeigte, bewies mir dort auf der Bühne vor 200 Menschen in voller Intensität, wie schrecklich das war, was er mir angetan hatte, auch wenn ich eigentlich alles verdrängen wollte. Während dieser sechs Wochen missbrauchte er mich weiterhin verbal, aber ich war immun dagegen, denn ich wartete nur auf den Tag meiner Abreise.

Er missbrauchte mich weiterhin verbal, aber ich war immun dagegen, denn ich wartete nur auf den Tag meiner Abreise.Das Flugticket gab mir Hoffnung, Kraft und den nötigen Frieden, um weiter mit ihm auf der Bühne zu stehen.

Danijela Štajnfeld

Flucht nach Amerika…
Obwohl ich in New York von lieben Freunden erwartet wurde, denen ich vertraute, ging es mir nicht gut. Ich konnte nicht schlafen, entwickelte Ängste, zitterte bei den Geräuschen der U-Bahn und bekam Panik in größeren Menschenmengen. Wenn ich auf der Straße ein schwarzes Auto sah, das seinem ähnelte, oder in einer Menschenmenge ein Profil erkannte, das mich an ihn erinnerte, ging es mir sehr schlecht. Ich bekam Panikattacken und begriff, dass sich das erlittene Trauma bemerkbar machte. Dennoch ignorierte ich all diese Symptome und vermied bewusst, mich der Wirklichkeit zu stellen. Und dann wurde mir einmal beim Einsteigen in die U-Bahn sehr schlecht. Ich konnte nicht atmen, begann stark zu schwitzen, fing an zu keuchen, und vorbeikommende Passanten boten mir Hilfe an. Nach zehn Minuten kam ich an die frische Luft, aber das war eine beängstigende Erfahrung. Statt in eine Ambulanz zu gehen, fuhr ich nach Hause, aber mir wurde zum ersten Mal klar, dass ich professionelle Hilfe brauchte.

Ich konnte nicht schlafen, entwickelte Ängste, zitterte bei den Geräuschen der U-Bahn und bekam Panik in größeren Menschenmengen.

Danijela Štajnfeld

Im Internet fand ich eine anonyme SOS-Telefonnummer. Dort rief ich an und ein Mann hob ab. Ich erzählte eine minimierte Version meines Erlebnisses und der Mann am anderen Ende der Leitung begann zu weinen. Aufgrund des Schmerzes, den ich in seiner Stimme hören konnte, verstand ich, dass auch ich ein Recht auf meinen Schmerz hatte. Dieses Gespräch begann, meine Wunden zu öffnen, so wie es nötig ist, damit sie gut heilen und der Schmerz nicht unter der Oberfläche weiter schwelt und immer stärker wird. Dann begann ich langsam, auch mit den Menschen in meinem Umfeld zu reden und professionelle Hilfe zu suchen. Aber darin war ich nicht sehr konsequent. Ich ging in eine Therapie und hörte wieder auf. Erst ein Jahr später überwand ich den Gedanken, der mich verfolgte, dass ich etwas Schlechtes getan hätte, und sagte mir: Hör mal, ER hat etwas Schlimmes gemacht! Ich hatte mir die ganze Zeit über selber die Schuld gegeben, so wie es in unserer Kultur häufig der Fall ist, wo meistens die Opfer verurteilt werden und sich auch selber verurteilen.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.