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EXKLUSIVES INTERVIEW

Serbische Schauspielerin: „Mein Kollege hat mit der Vergewaltigung einen Teil von mir getötet“

„Als ich an dem Dokumentarfilm ‚Zaceli me‘ (‚Heile mich‘) arbeitete, habe ich mich in New York mit einer Therapeutin auf den entscheidenden Schritt vorbereitet: nach Serbien zu fliegen, meinem Vergewaltiger gegenüberzutreten und mit ihm über dieses Thema zu reden.“ (FOTO:Emilija Gašić)

Ich habe versucht, mich umzubringen…
Während meines mehrmonatigen posttraumatischen Zustands wurde ich zu einer dysfunktionalen Persönlichkeit. Nach der Zeit in Belgrad, wo ich jeden Tag gearbeitet hatte und vollkommen ausgefüllt war, fand ich mich in einem schwarzen Loch wieder. Mein Hirn war nur mit Schmerz gefüllt. Ich wusste nicht, wie ich weiterleben sollte und wovon ich meinen Unterhalt bestreiten sollte, denn meine Ersparnisse schmolzen schnell dahin. Ich fühlte mich kaputt, hatte keine Ziele mehr. Mit meinen Eltern und meiner Schwester konnte ich darüber nicht sprechen, ich vermied den Kontakt mit ihnen. Wenn ich in den Therapien redete, ging es mir körperlich und seelisch schlecht. Ich dachte, dass es für mich keinen Weg zurück und keinen Weg in die Zukunft gäbe, und da drängte sich der Gedanke an Selbstmord als Lösung auf.

Ich flog nach Los Angeles in der Absicht, weit weg von allen zu sein, die mich kannten. Aber ich wurde an meiner Absicht gehindert, diese Welt für immer zu verlassen, was mir zusätzliche Angst und Schmerzen bereitete. Später schloss einer meiner Freunde in New York aus meinen frustrierten Nachrichten, was passiert war, und er wusste, dass Menschen, die an einem Selbstmord gehindert werden, das normalerweise noch einmal versuchen. Er probierte mit allen Mitteln, vor allem mit Liebe, mich zurückzuholen. Einen Monat lang durchlief ich ein autogenes Training, um meine Flugangst zu bekämpfen. Irgendwie bestieg ich dann ein Flugzeug nach New York, aber diese sechs Stunden waren die Hölle. Am Ende nahmen mich meine Freunde bei sich auf, sagten mir, dass ich bei ihnen alles hätte, was ich bräuchte, dass sie alles tun würden, damit ich mich sicher fühlte, und dass ich nie allein sein würde. Das war die Rettung. Ich begriff, dass ihre Sorge und ihre bedingungslose Liebe die Medizin waren, die mich heilen konnte. Das war eine Liebe, die jemanden, der nach einer Vergewaltigung traumatisiert ist, nicht verurteilt, egal wie er sich benimmt und auf welche Weise er seinen Schmerz zeigt, sondern die ihn dabei unterstützt, weiterzuleben. Ihre Liebe hat mir geholfen, einen Film zu drehen und es zu meiner Mission zu machen, anderen Vergewaltigungsopfern zu helfen.

Ich dachte, dass es für mich keinen Weg zurück und keinen Weg in die Zukunft gäbe, und da drängte sich der Gedanke an Selbstmord als Lösung auf.

Danijela Štajnfeld

Ich habe ihn wiedergetroffen…
Als ich an dem Dokumentarfilm „Zaceli me” („Heile mich”) arbeitete, habe ich mich in New York mit einer Therapeutin auf den entscheidenden Schritt vorbereitet: nach Serbien zu fliegen, meinem Vergewaltiger gegenüberzutreten und mit ihm über dieses Thema zu reden. Vier Jahre sind seit dieser Begegnung in einem Belgrader Restaurant vergangen. Während der anderthalb Stunden hatte ich das Gefühl, die wichtigste Rolle meines Lebens zu spielen, denn ich musste ihn dazu bringen, sich sicher genug zu fühlen, um mir zu vertrauen, sich zu öffnen und über diese Nacht zu sprechen. Ich wusste nicht, wie groß seine politische Macht in dieser Zeit noch war, und ich musste verhindern, dass er die Gefahr witterte, ich könnte öffentlich sagen, dass er mich vergewaltigt hatte. Darum bagatellisierte ich dieses Ereignis in unserem Gespräch und Lečić fühlte sich sicher. Ich war verkabelt und alles, was wir in unserem angeblichen gegenseitigen Respekt und unserer kollegialen Liebe sagten, wurde aufgenommen. Ich war nonchalant, selbst als wir die Nacht erwähnten, in der ich geweint, geschrien, unzählige Male „NEIN” gesagt und ihn angefleht hatte, von mir abzulassen. Volle 40 Aufnahmeminuten des Gesprächs drehen sich um diese schreckliche Nacht. Gleich nach Abschluss dieser Mission kehrte ich nach Amerika zurück und arbeitete weiter an meinem Film. Es ging mir wieder schlecht, als ich die Aufnahmen abhörte, vor allem, weil ich ihm nicht alles gesagt hatte, was er wirklich verdient hätte.

Der Film „Zaceli me” und die Einleitung einer Untersuchung…
Bis zur letzten Montage vermied ich, einen Teil des heimlich aufgenommenen Gesprächs mit Branislav Lečić in den Film einzufügen. Als ich es dann trotzdem tat, erwähnte ich seinen Namen nicht und veränderte seine Stimme. Ich wollte nicht, dass der Fokus auf dem Vergewaltiger liegt, sondern auf dem Kern des Films, und das ist der Weg zur Heilung nach den schrecklichsten Verbrechen dieser Art. Als der Film 2020 in das Programm des Filmfestivals in Sarajevo aufgenommen wurde, dachte ich, dass die Menschen mich bereits vergessen hätten und dass der Film keine großen Reaktionen auslösen würde. Denn nach meiner Auswanderung nach Amerika habe ich alle Verbindungen zu Serbien, zu den Kollegen und Freunden abgebrochen und ich war noch nicht bereit dafür, dass mich jemand erkennt und versucht, mir nahezutreten. Und dann, als der Film gezeigt wurde, schrieben Boulevardblätter, Danijela sei ein Vergewaltigungsopfer gewesen, und fragten: Wer ist der mächtige Mann aus der Filmindustrie, der sie missbraucht hat? Es gab bösartige und verletzende Kommentare, man wartete darauf, dass ich mich äußerte.

Als der Film „Zaceli me” („Heile mich”) 2020 in das Programm des Filmfestivals in Sarajevo aufgenommen wurde, dachte ich, dass die Menschen mich bereits vergessen hätten.

Danijela Štajnfeld

Der beste Anlass dazu kam in dem Moment, als Lečić nach dem Bekanntwerden des Falles des Schauspiellehrers Mika Aleksić begann, jede sexuelle Gewalt in der Öffentlichkeit zu verurteilen. Er lud Mikas Schülerinnen und Schüler in seine Schauspielschule ein. Da wusste ich, dass ich eine soziale Verantwortung hatte, damit nicht noch jemand Opfer seiner Hinterlist würde. Die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein und ich wurde überredet, mir einen Anwalt zu suchen und als Zeugin nach Serbien zu fahren. Ich wurde gefragt, wer mich vergewaltigt hatte, und ich verlangte von den zuständigen Behörden, mir Vertraulichkeit der Informationen und eine Aussage unter Ausschluss der Öffentlichkeit zuzusichern, was mir auch versprochen wurde. Leider wurde ich durch alles, was dann passierte, von unserem Staat sehr enttäuscht. Darum gab ich der „The New York Times” ein Interview, denn ich brauchte ein seriöses Medium, dem ich vertrauen konnte und das mir die Wörter nicht im Munde herumdrehen und aus meiner Tragödie einen Zirkus machen würde.

Da die Institutionen des Staates Serbien nicht bereit waren, Lečić anzuklagen, werde ich mich bemühen, dass die Öffentlichkeit bald noch viel mehr Informationen über seine Tat erhält. Und dann soll die Öffentlichkeit urteilen. An dieses Gericht glaube ich.

Danijela Štajnfeld

Trotz des Ausgangs der angeblichen Untersuchung ist das letzte Wort in meinem Fall noch nicht gesprochen. Da die Institutionen des Staates Serbien nicht bereit waren, Lečić anzuklagen und wegen der Vergewaltigung zu verurteilen, sondern ihn sogar in die Opferrolle drängten, werde ich mich bemühen, dass die Öffentlichkeit bald noch viel mehr Informationen über seine Tat erhält. Und dann soll die Öffentlichkeit urteilen. An dieses Gericht glaube ich.

Lečić freigesprochen
Gleich nach Beginn der Ermittlungen weigerten sich Branislav Lečićs Kollegen, mit ihm eine Vorstellung im Beogradsko dramsko pozorište zu spielen. Aber die Höhere Staatsanwaltschaft in Belgrad wies die Strafanzeige von Danijela Štajnfeld ab, denn „es wurde festgestellt, dass kein einziger gesetzmäßiger Beweis im Rang eines begründeten Verdachts besteht, der die Angaben der erstatteten Strafanzeige bestätigt.” Mit anderen Worten: Danijela hat gelogen, als sie Lečić anzeigte. Gelogen haben auch ihre Ärzte und Therapeuten, gelogen haben die Zeugen ihres Leidens. Sie alle haben sich gegen den unschuldigen Leka zusammengerottet. Eingeweihte behaupten, dass der Schauspieler politische Rückendeckung erhalten hat. Den Preis dafür kennt er, ebenso wie der größte Teil der serbischen Öffentlichkeit weiß, dass ihm die Vergewaltigung nicht vergeben und vergessen wird. Sein Ansehen wird durch Gastspiele in Regierungsmedien und Boulevardjournalen nicht weißgewaschen und ebenso wenig durch unangemessene Ironie und arrogante Ausbrüche in Videos, in denen er behauptet, unschuldig zu sein. Dass er kein Vertrauen mehr genießt und dass sein Ansehen beschädigt ist, zeigte sich unlängst beim Theaterfestival in Brčko, wo er zum Vorsitzenden der Jury ernannt worden war. Die Teams aller sechs Inszenierungen, die sich um die Auszeichnung bewarben, forderten, dass ihre Arbeiten außerhalb des Wettbewerbs gezeigt werden sollten, denn niemand wollte von Lečić bewertet werden. Auch die Schauspielerin Merima Isaković, die heute in Australien lebt, hat ihn wegen eines sexuellen Missbrauches aus dem Jahr 1978 angezeigt, als beide noch Studenten waren, aber die Klage wurde abgewiesen, da der Fall angeblich verjährt sei. Bei ihr haben sich seitdem mehrere Frauen gemeldet, die Opfer sexuellen Missbrauchs durch Lečić geworden sind, aber die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, sie als Zeugen im Ermittlungsverfahren anzuhören. Merima Isaković gibt dennoch nicht auf. Egal wie unberührbar Lečić derzeit ist und welchen Schutz er genießt, man kann nicht für immer alle Frauen, die ihn beschuldigen, als Lügnerinnen bezeichnen.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.