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REPORTAGE

Sonnenfinsternis in Österreich – Balkan Verschwörungstheorien

(FOTO: iStock/peterschreiber.media)
(FOTO: iStock/peterschreiber.media)

REPORTAGE

Am 25. Oktober soll zwischen 11:00 und 13:30 Uhr eine partielle Sonnenfinsternis stattfinden. Heißt, nur ein Teil der Sonne wird vom Mond verdeckt werden. 1999 gab es die letzte totale Sonnenfinsternis, die auch am Balkan sehr deutlich zu sehen war.

Am 11. August vor 23 Jahren fand in Europa eine totale Sonnenfinsternis statt. Ein Jahrhundertereignis. Und so bereitete man sich in Österreich, Deutschland und den umliegenden Ländern vor, dieses Spektakel genießen zu können. Lichtschutzbrillen wurden gebastelt oder gekauft. Jeder hatte eine, um sich das Mega-Ereignis live anzusehen.

Ganz nach dem Motto „Nur ein kleines Dorf in Gallien“ gab es aber auch auf unserem Kontinent Gebiete, die sich dem Naturspektakel entzogen. Gefühlt hatte sich zu dieser Zeit der ganze Balkan in Innenräume versteckt, die Rollläden herabgelassen und die Zeit der Sonnenfinsternis ausgeharrt.

Angst vor der Sonnenfinsternis

Als Kind, dass in Österreich die Schule besucht hat, und sich für politische oder soziale Propaganda nicht interessierte, freute ich mich unwahrscheinlich auf die Sonnenfinsternis. Ein unbeschreibliches Erlebnis erhoffte ich mir dadurch. Ich wollte eine Erinnerung mit Familie und Freunden schaffen, die mir mein Leben lang bleibt. Und was für ein Glück, dass genau dann, meine Eltern mit mir nach Bosnien und Herzegowina fuhren, um meine Verwandten zu besuchen. Denn eine Sonnenfinsternis lässt sich besser auf dem Land erleben, als in der Stadt – so mein Gedanke.

Was ich damals, als 14-Jährige, nicht bedacht hatte: die uneingeschränkte (und noch immer währende) Liebe der Balkan-Community für Verschwörungstheorien. Im Fernsehen warnte man die Bevölkerung eindringlich während der Sonnenfinsternis nicht das Haus zu verlassen. Zu gefährlich wären die „Strahlen“ oder die Veränderung der Sonne – irgendwas in der Richtung. So genau merkte ich mir dann die wissenschaftlich unfundierten Aussagen auch nicht.

Als es dann Zeit war, das Haus zu verlassen, um sich das Himmelsspektakel anzusehen, war ich umso überraschter als plötzlich auch meine Eltern dazu rieten im Haus zu bleiben. Von meinen Verwandten war ich solche Aussagen schon gewohnt. Menschen, die am Land leben und vermutlich keine anderen Informationsquellen wahrnehmen, als die, die der Staat für sie auserkorene hat – dachte ich mir damals mit einem eher jugendlichen und rebellischen Vokabular. Aber meine Eltern? Mein Vater? Der selbst ernannte Verfechter von Wissenschaft und Hobby-Historiker hatte sich zum Fenster gestellt, um die Vorhänge zuzuziehen. Was war passiert?

Wohl gab es bei unserer Ankunft kein anderes Thema als die bevorstehende Sonnenfinsternis. Allerdings hatten sich kaum Menschen darauf vorbereitet. Lichtschutzbrillen wurden weder verkauft noch hatte die Kinder welche in der Schule gebastelt. Die Bevölkerung stand quasi ohne Schutz da. Vermutlich hatten sich dann diverse Medien dazu entschlossen, der Bevölkerung einfach zu raten, zuhause zu bleiben und das Naturereignis auszulassen. Hier schien das Balkan-Blut meines Vaters die Wissenschaft zu überstimmen.

Ein ganzes Land nur für mich

Im Endeffekt wollte ich mir die Sonnenfinsternis, trotz Protesten, nicht entgehen lassen. Mutig und mit ein wenig Zweifel wagte ich mich also aus dem Haus. Hier schien auch mein Balkan-Blut eine Angst auszulösen, vielleicht doch auf der falschen Seite zu stehen. … Nein! Ich musste mir das ansehen!

Man stelle sich vor, meine Verwandten und Eltern hatten dann so viel Angst, dass sie mir nicht einmal gefolgt sind, um mich wieder in das Haus rein zu holen. Irgendwie empfand ich mich in dem Moment als klügste Person auf dem Grundstück. Als ich mich dann umsah, war ich schnell zur klügsten Person in der Stadt geworden. Die Straßen waren gähnend leer. Walking-Dead-Leer!

Tatsächlich hatte die Bevölkerung jedes sichtbare Fenster mit Vorhängen oder Rollläden verbarrikadiert und ich stand allein auf der Straße in Štivor. Kein Auto. Kein Mensch. Ja, sogar die Tiere hatten sich versteckt – so schien es.

So schien es, als ob ich die einzige Person gewesen wäre, die sich 1999 die Sonnenfinsternis in Bosnien und Herzegowina angesehen hat. Unbeeinflusst von Verschwörungstheorien und Ängsten meine Netzhaut zu verlieren. Ein einmaliges Erlebnis.

Sandra Plesser
Als zweites Kind jugoslawischer Gastarbeiter wurde Sandra in Wien geboren und studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Während ihrer Tätigkeit als Redakteurin bei Advanced Photoshop, mokant und Der Standard baute sie mittels Weiterbildungen ihr Wissen im Bereich Social Media-, Content- und Veranstaltungsmanagement aus. Nach drei Jahren in der Eventorganisation widmet sie sich bei KOSMO wieder ihrer Passion: dem Journalismus.