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REPORTAGE

Verschlingt die digitale Revolution unsere Kinder?

Tatjana Sekulić

„Keine Elektronik“

Die Kunsthistorikern Tatjana Sekulić, Mama von Nika (7) und Luka (3), hat traditionelle Ansichten, wenn es um die Kindererziehung geht. „In unserem Umfeld bemühen sich alle Eltern, dass die Kinder möglichst wenig elektronische Geräte verwenden. Denn fast all ihre Freunde aus dem Kindergarten gehen mit Nika in dieselbe Schule, sodass auch wir Eltern in Kontakt sind, uns treffen, viel miteinander reden und uns in vielen Fragen, die die Kinder betreffen, absprechen. Als sie in die Schule kam, hat Nika mich gebeten, dass ich ihr mein altes Telefon gebe, und ich habe zugestimmt. Aber als wir angefangen haben, lesen und schreiben zu üben, habe ich es ihr wieder weggenommen, denn sie begann, es immer mehr zu verwenden, was mir überhaupt nicht gefallen hat. Sie konnte über YT einfach auf irgendwelche amerikanischen Seiten gelangen und das Ankleiden von Püppchen beobachten, was im Inhalt zu ihrem Alter passte. Aber sie wollte dafür mehr Zeit aufwenden, als ich für richtig hielt. Jetzt bittet sie mich manchmal, dass ich ihr diese Form der Unterhaltung ein wenig erlaube, aber das ist nur gelegentlich für eine halbe Stunde und keinesfalls länger“, ist Tatjana kategorisch.

GEHIRN. Die ersten drei Lebensjahre sind prägend für die Entwicklung.

Wenn Nika in der Ganztagsschule ihre Hausübungen nicht macht, arbeitet die Mama mit ihr zu Hause und bemüht sich, dem Kind eine gute Arbeitshaltung beizubringen. Allerdings versucht sie sie auch manchmal zu erpressen.

„Ich erpresse sie, indem ich ihr sage, dass sie zu Hause das Telefon verwenden darf, wenn sie die Aufgaben in der Schule macht. Ich sehe, dass das funktioniert. Leider verbringen wir Eltern unter der Woche sehr wenig Zeit mit den Kindern, darum bemühe ich mich, möglichst viel mit ihnen zu sprechen und zu spielen, denn diesen Kontakt muss man pflegen. Ich finde, dass das für sie und für uns nützlicher ist als Zeichentrickfilme und verschiedene Internetseiten und Spiele. Mit Nika lerne ich am Laptop Englisch, aber ich bin wirklich überzeugt, dass Kinder in dem Alter kein Handy brauchen, um die Welt zu entdecken. Natürlich kann ich meine Kinder nicht isolieren und sie nicht zu anderen Menschen machen als die anderen“, ist sich Frau Sekulić bewusst.

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Weil sie planen, ihre Tochter bis zum Beginn der dritten Klasse in die Schule zu bringen und abzuholen, haben die Eltern mit ihr vereinbart, dass sie ihr erst dann ein Handy kaufen, wenn sie den Schulweg selbständig meistert.

„Nika kann das kaum noch erwarten. Ich werde ihr auch den Internetzugang erlauben, aber ich werde auf jeden Fall kontrollieren, wo sie in der virtuellen Welt unterwegs ist. Bisher geht meine Tochter im Rahmen der Schule in einen Schauspielkurs, der ihr sehr gefällt, und wenn sie auch Interesse für Sport zeigen sollte, werden wir ihr auch das ermöglichen, damit sie nicht nur auf das ersehnte Telefon fixiert ist. Luka interessieren elektronische Geräte bisher noch nicht. Im Fernsehen sieht er manchmal Zeichentrickfilme, aber am liebsten spielt er mit Lego und Autos“, beschreibt Tatjana ihren Jüngsten.

Die Eltern kaufen ihr ein Mobiltelefon, wenn sie in die dritte Klasse kommt. Nika kann das kaum erwarten. (FOTO: DIva Shukoor)

Das sagt die Psychologin Mag. Olja Ivanović Vladušić

„Ich bin der Meinung, dass die ersten drei Lebensjahre, die für die Gehirnentwicklung des Kindes prägend sind, ohne elektronische Geräte verlaufen sollten. Ein Kind versäumt mit Bezug auf den Umgang mit der Elektronik nichts, was es später nicht nachholen könnte. Aber meine wichtigste Frage mit Bezug auf die Zeit, in der wir leben, ist die Belastung der Eltern und der Stress, den wir alle haben: Können wir es überhaupt vermeiden, den Kindern diese Geräte zu geben? Die Kinder wachsen heran und lernen von ihren Vorbildern. Und wenn sie sehen, dass die Eltern Telefone, Tablets und Sonstiges in den Händen haben, wollen sie es ihnen nachmachen. In unserer Umgebung sehe ich, dass die Eltern es nicht vermeiden können, dass die Kinder mitbekommen, was das ist. Mein Kind hat mit zwei Jahren jeweils zehn Minuten lang Zeichentrickfilme gesehen und mit drei auf dem Tablet Puzzles gelöst. Ich habe versucht, das zu dosieren. Allerdings ist noch wichtiger als das, welche Beziehung wir daneben mit den Kindern aufbauen, denn im jüngsten Alter ist die Bindung an den primären Elternteil das Wichtigste, und das ist meistens die Mutter.

Dabei denke ich nicht nur an die physische, sondern auch an die mentale und emotionale Anwesenheit der Mutter in der Beziehung zum Kind. Wenn die gegeben ist, können wir alles andere im richtigen Maß und allmählich einführen. Aber wenn diese Beziehung nicht stimmt und wir das Tablet als Ersatz anbieten, dann verlieren wir die Kontrolle.

Oljas Kind durfte mit zwei Jahren täglich zehn Minuten lang Zeichentrickfilme anschauen. (FOTO: Diva Shukoor)

Was die Behauptung betrifft, dass man mit YT Sprachen lernt, so besagen Studien, aber auch meine Erfahrung, dass die Kinder im aktiven Kontakt am meisten lernen, viel mehr, als durch einseitige Berieselung. Wenn es einen Bildschirm vor Augen hat, schaut und hört das Kind nur, aber es gibt keine Interaktion. Wenn man ihm schon irgendein Lied einschalten muss, bin ich dafür, dass das lieber nur eine CD ist und kein Video, damit es im Kopf selber visualisieren kann, was es hört.

Mir haben Lehrer erzählt, dass die Integration aller Sinne bei dieser Generation erheblich schwächer ausgeprägt ist. Der Sehsinn ist viel dominanter, denn die Kinder wachsen mehr als frühere Generationen vor dem Bildschirm auf. Das sieht man auch, wenn Kinder in der Schule die Aufgabe bekommen, anderen ihren Schulweg zu schildern. Da muss man einen mentalen Plan im Kopf haben, aber im Gegensatz zu früheren Generationen, die das noch leicht beschreiben konnten, wissen heutzutage viele Kinder nicht, wie sie gehen.

Da sie viel mehr Zeit in der digitalen Welt, d.h. zu Hause, verbringen, sind diese Kinder physisch viel geschützter. In Amerika haben die Jugendlichen früher kaum erwarten können, dass sie in das Alter kamen, in dem sie vom Gesetz her den Führerschein machen durften. Sich hinter das Steuer zu setzen, bedeutete für sie Freiheit. Die neuen, sogenannten „i“-Generationen interessiert das viel weniger. Darum, so zeigt die Statistik, gibt es auch viel weniger Verkehrsunfälle. Es gibt auch weniger Gewalt, Morde, körperliche Drohungen. Leider stehen auf der anderen Seite viel mehr Fälle von Depressionen, Einsamkeit, Isolation und eine höhere Zahl an Selbsttötungen. Die heutige Jugend beginnt etwas später, auszugehen und sexuelle Beziehungen aufzunehmen, was sich auch in einer späteren Entwicklung von emotionalen und partnerschaftlichen Verhältnissen äußert. Für mich ist es wichtig, dass eine übertriebene Fixierung auf die sozialen Netzwerke die Kinder daran hindert, wichtige soziale Fertigkeiten zu erwerben, die in der lebendigen Interaktion mit den Altersgenossen entwickelt werden. Heute beschränkt sich das alles auf elektronische Geräte, und selbst, wenn sie zusammen ausgehen, nehmen die Jugendlichen alles auf und posten es in den sozialen Netzwerken.“

UNICEF: Von drei Benutzern des Internets ist weltweit je eines ein Kind.

ACHTUNG! Die ungenügend beaufsichtigte Anwesenheit von Kindern im Internet kann gefährlich werden.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.