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INTERVIEW

Von Aida bis zu Dara: Helfen uns Filme, die Kriege am Balkan aufzuarbeiten?

(FOTOS: Twitter Quo Vadis,Aida?/Instagram@ daraizjasenovca/zVg.)

KOSMO interviewte die Expertin auf dem Gebiet Film und Ex-Jugoslawien, Prof. Mag. Dr. Miranda Jakiša von der Uni Wien, über Quo vadis, Aida? und Dara aus Jasenovac und die damit zusammenhängenden Vergangenheitsbewältigungsstrategien am Balkan.

Seit gestern ist es fix: Jasmila Žbanićs Quo vadis, Aida? geht in der Kategorie „Bester Auslandsfilm“ für Bosnien und Herzegowina ins Oscar-Rennen. Der unter anderem vom ORF kofinanzierte Spielfilm handelt von einer Frau Namens Aida, die im Juli 1995 in Srebrenica als Übersetzerin für die Vereinten Nationen tätig ist. Nach der Machtübernahme durch die bosnisch-serbische Armee, gehören sie und ihre Familie zu den Tausenden von Menschen, die im UN-Lager Schutz suchen. Im Laufe der Verhandlungen gerät Aida als Dolmetscherin, die Zugang zu entscheidenden Informationen hat, in eine Dilemma-Situation.

Regisseurin Žbanić fand der ernsten Thematik des Filmes entsprechende Dankesworte: „Das gesamte Filmteam dankt den Mitgliedern der Akademie […], den Müttern, Frauen und anderen Überlebenden von Srebrenica, die unsere Unterstützung, Ermutigung und Inspiration waren, […]. Für uns ist dieser Film mehr als ein Film – er erinnert daran, dass der Völkermord und dieser in Srebrenica sowie alle anderen, die in der Vergangenheit in diesem Bereich stattgefunden haben, nicht geleugnet und vergessen werden dürfen. Dieser Film wurde nicht gemacht, um Menschen zu spalten und zu konfrontieren, sondern um sich besser zu verstehen“.

Auch der Film Dara aus Jasenovac beschäftigt sich mit Krieg und Kriegsverbrechen auf den Gebieten des ehemaligen Jugoslawiens und hat in den letzten Monaten für Diskussionen gesorgt. KOSMO hat das zum Anlass genommen, die Slawistin Prof. Mag. Dr. Miranda Jakiša von der Uni Wien, die sich unter anderem mit bosnischer, kroatischer und serbischer Literatur und Kultur, jugoslawischer Partisanenliteratur und -film, postjugoslawischem Film und Ressentiment-Forschung auseinandersetzt, über die Vergangenheitsbewältigung und Film in den Staaten Ex-Jugoslawiens zu befragen.

KOSMO: Quo vadis, Aida?, ein Film über das Massaker von Srebrenica, hat es auf die Oscar-Shortlist geschafft. Er löste einige Debatten über den Krieg der 90er Jahre aus. Wie nehmen sie die Versuche der filmischen Vergangenheitsbewältigung in den Staaten Ex-Jugoslawiens wahr?

Prof. Miranda Jakiša: Es ist ein Glücksfall, dass gerade Jasmila Žbanić mit Quo vadis, Aida? den ersten Film über den Genozid von Srebrenica gedreht hat. Žbanić ist eine ausgezeichnete Filmemacherin, die mit dem Trauma der jugoslawischen Zerfallskriege aufgewachsen ist und daher weiß, wovon sie spricht. Žbanić hat sich in ihrem ganzen filmischen Schaffen mit der Gegenwart am Balkan, insbesondere in Bosnien, beschäftigt. Stellen Sie sich vor, ein Hollywood-Regisseur wäre auf die Idee gekommen, dieses Ereignis zu verfilmen. Dann hätten wir vielleicht eine Kitsch-Version nach dem Strickmuster von Spielbergs Schindlers Liste bekommen. Jetzt kommt man an Žbanićs Film nicht vorbei, alle großen internationalen Zeitungen schreiben darüber.

Ich halte es insgesamt für überaus wichtig, dass über die Ereignisse der 1990er Jahre gesprochen wird, künstlerisch wie politisch und gesellschaftlich. Da sich gegenwärtig die Politik weigert, eine konsolidierende Erinnerungspolitik auf die Beine zu stellen, begrüße ich es sehr, wenn die Kunst sich einschaltet. Jasmila Žbanić hat das in Quo vadis, Aida? alles in allem sehr gut gemeistert. Es wäre fantastisch, wenn die Oscar-Nominierung dazu beiträgt, dass noch mehr über Srebrenica und die Zukunft der Region gesprochen wird.

Jasenovac ist wie Srebrenica ein geschichtlich nicht aufgearbeitetes Trauma, das erst heilen wird, wenn offen darüber gesprochen und die Ereignisse historisch umfassend aufgearbeitet werden.

Prof. Mag. Dr. Miranda Jakiša, Universität Wien

Wie groß ist ihrer Meinung nach die Verantwortung der Filmschaffenden, die Ereignisse historisch  akkurat darzustellen und  was für Gefahren sehen Sie in über- bzw. untertreibenden Darstellungen? Der Film Dara aus Jasenovac wurde ja unter anderem eine „dünn verschleierte Propaganda“ genannt, die „zynisch den Holocaust benutzt um problematische, nationalistische Ziele zu verfolgen“. 

Wir dürfen hier, denke ich, unsere politische Deutung von Geschichte nicht mit der fiktionalen Bearbeitung geschichtlicher Themen verwechseln. Das ist nicht ein und dasselbe. Filme haben sehr wohl das Recht, dargestellte Ereignisse zu fiktionalisieren und auch zu dramatisieren. Anders lässt sich Geschichte im Spielfilm nicht erzählen. Nicht jede Figur muss es tatsächlich gegeben haben, nicht jeder Dialog muss genau so geführt worden sein. Das wurde ja dem Film Quo vadis, Aida? aus Bosnien teilweise vorgeworfen. Natürlich sollten Filme historische Ereignisse auch nicht grob verfälschen, gerade dann, wenn gesellschaftlich darüber noch viel diskutiert wird. Doch wie jede Geschichtserzählung kann man einen Film zur Geschichte unterschiedlich interpretieren, je nach dem, aus welcher Warte man auf diese Geschichte blickt.

Dara aus Jasenovac ist in jedem Fall starkes Affekt-Kino, das vor allem das Publikum aufwühlen und bewegen möchte – wie Spielbergs vorhin erwähnte Schindlers Liste. Ob man tatsächlich aus historischem Leid gefühlsheischende Kino-Unterhaltung machen sollte, ist eine Frage der künstlerischen Ethik, die Regisseure für sich selbst beantworten müssen. Ich persönlich finde den Film Dnevnik Diane Budisavljević da besser.

Eines ist in jedem Fall klar, Jasenovac ist wie Srebrenica ein geschichtlich nicht aufgearbeitetes Trauma, das erst heilen wird, wenn offen darüber gesprochen und die Ereignisse historisch umfassend aufgearbeitet werden. Solange das gesamtgesellschaftlich nicht gelingt, wird eine Ersatz-Debatte um die ‚wahre‘ Geschichte eben an Filmen zu historischen Themen geführt.

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