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INTERVIEW

Von Aida bis zu Dara: Helfen uns Filme, die Kriege am Balkan aufzuarbeiten?

Wie würden Sie die Unterschiede in der (filmischen) Aufarbeitung des zweiten Weltkrieges in den Gebieten Jugoslawiens im Vergleich zu der Aufarbeitung des 90er Jahre Krieges charakterisieren. Inwiefern ist beides noch miteinander verwoben?

Geschichts- und Erinnerungspolitik steht immer in einem Kontinuum. Frühere Ereignisse werden mit späteren zu einer sinnvollen Gesamterzählung verbunden. Diese Erzählung muss aber einigermaßen konsolidiert sein, um zu funktionieren, möglichst viele sollten sich also mit ihr identifizieren können.  Im nach-jugoslawischen Raum ist das historische Gedächtnis zum 20. Jahrhundert nach wie vor eine Baustelle, die seit dem Zerfall Jugoslawiens nicht gerade schnell vorankommt.

Zum Zweiten Weltkrieg gab es die Geschichtsinterpretation der Partisanenfilme, die heute den meisten Menschen nicht mehr ausreicht, weil dort viele ideologisch nicht gewollte Widersprüche einfach unter den Teppich gekehrt wurden. Inzwischen wird aber sogar die geschichtliche Wahrheit zur Partisanenbewegung geleugnet, die ja nicht nur eine Erfindung war. Wir haben also in Fragen der Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs Geschichtsrevisionismus und zugleich große Wissenslücken. Viele Kriegsverbrechen der Vergangenheit von Bleiburg bis Sajmište sind bisher nicht ausreichend aufgearbeitet, so dass widersprechende Opfernarrative bis in unsere Gegenwart hinein reichen. Wenn das Faktenwissen nicht vorliegt, bleibt viel Spiel für Interpretation. Das wird für nationalistische Politik ausgenutzt.

Gegenwärtig gibt es ein tolles Projekt, in dem Historiker*innen aus dem gesamten nachjugoslawischen Raum eine Deklaration unterschrieben haben. Die Deklaration heißt „Wer hat zuerst angefangen? Verteidigen wir die Geschichte!“ Es geht darum, dass am Ende eben doch nur eine Wahrheit und nicht mehrere parallele existieren. Für unsere Region müssen wir sie noch finden.

Wenn das Faktenwissen nicht vorliegt, bleibt viel Spiel für Interpretation. Das wird für nationalistische Politik ausgenutzt.

Prof. Mag. Dr. Miranda Jakiša, Universität Wien

Wo liegt für sie der Mehrwert von Filmen, die sich mit Krieg, Kriegsverbrechen und Genoziden auseinandersetzen? Sollte es mehr solcher Filme geben?

Am Internationalen Frauentag hat Jasmila Zbanić Angelina Jolie ein Interview gegeben und gesagt, sie glaube Filme könnten die Welt verändern. Wenn man sich ansieht, was die US-amerikanische Serie Holocaust. Die Geschichte der Familie Weiss in den späten 1970er Jahren in Deutschland und Österreich ausgelöst hat, gibt das Hoffnung für ein solche Wirkung von Filmen. Übrigens war die Familie Weiss auch fiktiv, eine erfundene Familie, die es so aber gegeben haben könnte. Die Serie hat sehr viel Aufmerksamkeit bekommen, sie hat Debatten ausgelöst und sogar der Holocaust-Forschung einen entscheidenden Anstoß gegeben. Filme sind also auf jeden Fall ein niederschwelliges Medium, um Themen unter die Menschen zu bringen, auch so schwierige Themen wie die von Ihnen angesprochenen.

Jasmila Žbanić, die Regisseurin des Srebrenica-Filmes, meinte, dass es genug Kriegsfilme aus männlicher Perspektive gab. Wo sehen sie die Stärken einer weiblich geprägten Sicht auf das Thema?

Da sprechen Sie einen der stärksten Aspekte von Žbanićs Film an. Mit ihrer Hauptfigur Aida lässt sie uns aus der Sicht einer Mutter die Ereignisse vom Juli 1995 erleben. Die Mütter und Frauen am Balkan haben seither eine zentrale Rolle eingenommen. Von den Müttern von Srebrenica bis zu den Frauen in Schwarz in Belgrad erheben hier Bürger*innen engagiert ihre Stimme und werden mit ihrem Protest auch international wahrgenommen. Das ändert die patriarchale Ordnung am Balkan, wo vorher vor allem Männer im öffentlichen Diskurs sichtbar und hörbar waren. Ich glaube, dass die Intervention der Frauen das Sichtbarkeitsregime radikal verändert. Die Bilder von einfachen alten Frauen, die die Knochen ihrer männlichen Verwandten einfordern, stellt die balkanischen Verhältnisse auf den Kopf. Die Frauen sprechen jetzt für ihre Männer, ihre Väter und Söhne, nicht mehr umgekehrt.

Žbanićs Film endet damit, dass Aida, deren Mann und Söhne umgebracht wurden, nach Srebrenica zurückkehrt, um alle Kinder, auch die der Täter, zu unterrichten. Das ist ein starkes Statement, wo die Zukunft am Balkan liegt: in der Bereitschaft zur Versöhnung, zu der Frauen als erste bereit sind.