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BRAIN-DRAIN

Wenn die junge Elite das Land verlässt: Bosnien-Herzegowina

Katarina Vučković, Institut za razvoj mladih BIH
Katarina Vučković, Institut za razvoj mladih BIH (FOTO: zVg.)

Die Resultate der erwähnten Studie zeigen deutlich, dass die Push-Faktoren in Kroatien stärker sind als die Pull-Faktoren in Deutschland, bzw. haben die Korruption, die rechtliche Unsicherheit und die Unmoral der politischen Eliten mehr Einfluss auf die Abwanderung der Kroaten aus Kroatien als der Wunsch nach besserem Verdienst. Gilt das auch für BIH?

Als wir im Sommer 2017 eine Umfrage unter jungen Menschen gemacht haben, die ausgewanderten, führten ca. 80 % als Grund für ihre Entscheidung an, dass sie keine Perspektive sähen, dass es in ihrer Heimat bald besser würde und dass sie auch für sich selbst keine bessere Zukunft sähen. Auch die Unzufriedenheit mit der politischen Situation, Korruption, Arbeitslosigkeit, das allzu große Gewicht nationaler, religiöser und Kriegsfragen sowie die Unzufriedenheit mit Arbeit und Löhnen führten sie als Gründe an. Auf der anderen Seite erwarten die jungen Menschen, den Daten aus der Umfrage zufolge, in ihren Zielländern ein besseres Bildungs- und Gesundheitssystem, ein besseres Lebensumfeld, höhere Beschäftigungschancen und eine bessere Sicherheitssituation. Mehr als 30 % der Befragten planten keine Rückkehr ins eigene Land, während die anderen dies tun würden, wenn sich die Möglichkeit ergäbe, im eigenen Land ein besseres Leben zu führen. Auf die Frage, ob es um die Abwanderung ihrer ganzen Familie ginge, antworteten fast 60 % der Befragten positiv, über 20 % gaben an, dass sich ihre Familien auf die Übersiedlung vorbereiteten, während ca. 10 % negativ antworteten.

Viele gehen auf der Suche nach besseren Möglichkeiten für ihre berufliche Weiterbildung ins Ausland, denn die gibt es in B-H nicht. Was müsste Ihrer Meinung nach verändert werden, um das Ausbildungssystem in B-H zu verbessern, und auf welche Weise könnte dies geschehen?

In der Ausbildung in BIH fehlen viele Möglichkeiten für Praxisunterricht, eine Modernisierung des Unterrichts. Wir beobachten den Arbeitsmarkt nicht, bilden keine Fachkräfte für Zukunftsberufe aus. Darüber beklagen sich auch die jungen Menschen, die auswandern. Gleichzeitig sagen die Arbeitgeber, dass sie von einer Ausbildung einen fertigen Arbeiter erwarten, und den bekommen sie nur sehr selten. Auf der anderen Seite ist die breitgefächerte Ausbildung, die die jungen Menschen in BIH oft bekommen, eine hervorragende Grundlage, sich leicht an neue Gegebenheiten anzupassen, wenn sie das Land verlassen.

„Wir müssen die jungen Leute als Ressource sehen, nicht als Problem.“

Kann man etwas tun, um den Brain-Drain aufzuhalten oder zumindest zu vermindern, und wer ist dafür in erster Linie verantwortlich?

Vor allem muss man auf die Wünsche der jungen Menschen möglichst schnell mit klaren und systematischen Antworten reagieren. Gleichzeitig muss es neben dem Aufbau einer Beziehung zur Diaspora in BIH eine klare Strategie geben, was man den jungen Menschen bieten will, die noch in BIH sind und hier bleiben. Darüber müssen sich die lokalen Behörden Gedanken machen. Man muss unbedingt die Ausbildung, die Jugendarbeit verbessern und die jungen Menschen motivieren und dazu auffordern, zur Entwicklung der Gemeinschaft, in der sie leben, durch politisches, aktivistisches oder anderes Engagement beizutragen. Wir müssen die jungen Leute als Ressource sehen, nicht als Problem.

Wie sehen Ihre Prognosen mit Bezug auf den Brain-Drain aus?

Migration ist eine ganz normale Erscheinung in jeder Gesellschaft, vor allem in denen, die gerade eine Übergangsperiode durchmachen. Wichtig ist zu wissen, wie man auf diese Veränderungen reagiert, die durch die Abwanderung, in diesem Falle die der Jugend, entstehen. Wir sprechen als Gesellschaft noch immer viel mehr über dieses Phänomen, als dass wir uns wirklich damit beschäftigen. Nach unseren Umfragen und Analysen, die wir im Institut für die Entwicklung junger Menschen KULT in Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften und Kantonen machen, ist es unvermeidbar, dass noch mehr junge Menschen BIH verlassen werden, denn zusätzlich zu dem Wunsch nach Abwanderung aus dem Land loben andere Länder unsere jungen Menschen sehr als gute Arbeiter und Mitarbeiter. Unsere jungen Menschen sind außerhalb der Grenzen ihres Landes oft sehr erfolgreich.

PERSÖNLICHE GESCHICHTE: Husnija Delić (31), Diplompädagogin und –psychologin. Philosophische Fakultät Tuzla

Husnija Delić
Husnija Delić (zVg.)

„Das Hauptmotiv, mein Land zu verlassen, war vor allem die Liebe zu meinem Mann. Aufgrund der politischen Situation in meinem Heimatland bin ich ziemlich überzeugt davon, dass ich in meinem Fach nicht leicht Arbeit gefunden hätte, vielleicht sogar niemals. Von diesem System bin ich am meisten enttäuscht. In Österreich wird mir die Möglichkeit geboten, die Arbeit zu machen, die ich am meisten liebe. Derzeit unterrichte ich in zwei Schulen Schüler bis zur vierten Klasse in ihrer Muttersprache. Heimweh hatte ich und habe es noch immer. Aber leider führt die schwierige wirtschaftliche Situation dazu, dass ich in der näheren Zukunft nicht heimkehren werde. Die jungen Menschen schließen motiviert und hoffnungsvoll die Fakultäten ab, aber statt in die Arbeitswelt einzutreten, müssen sie sich beim Arbeitsamt melden und ihre ganze Mühe und Arbeit war umsonst. Bosnien wird das Land meines Herzens bleiben, denn, wie es in einer unserer bekannten Sevdalinkas heißt, ’nirgendwo ist es wie in Bosnien‘. Aber mit der Zeit lernt man neue Menschen kennen, gewinnt Freunde, die Familie wird größer und man baut sich eine neue Welt auf. Ich pflege regelmäßige Kontakte mit den Menschen in meiner Heimat und freue mich auf jede Reise nach Bosnien-Herzegowina. Es gibt ein einfaches Wort, das man umgangssprachlich benutzt: ‚rahatluk‘. In Bosnien-Herzegowina sind die Leute weniger belastet, weniger im Stress, zeitlich weniger beschränkt.“