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ATOMKRAFT

AKW Mochovce: Eine tickende Nuklearbombe für ganz Europa

Petition: Nein zum Schrottreaktor Mochovce
Petition: Nein zum Schrottreaktor Mochovce. (FOTO: Christopher Glanzl)

Viele ehemalige Mitarbeiter und Ingenieure, die am Bau des Reaktors 3 arbeiteten, gingen mit schockierenden Details über grobe technische Baumängel an die Öffentlichkeit. Ebenso legten sie Foto- und Videobeweise für ihre Anschuldigungen vor. Die Mängel und Versäumnisse im Reaktor 3 sind in diesem Ausmaß so gefährlich, dass sogar Atomkraftbefürworter kein grünes Licht für Mochovce geben wollen.

„Mehrere Ingenieure des Projektes mit jahrzehntelanger Erfahrung mit dem Bau und Betrieb von Atomkraftwerken haben sich an GLOBAL 2000 gewandt: Sie warnen vor verschiedenen Problemen, unter anderem dem völligen Bau-Chaos auf der Baustelle, mangelnder Koordination, dem blinden Anbohren der hermetischen Kammern rund um den Reaktordruckbehälter (bis zu 10 cm Durchmesser, 0,5—1 Meter in eine Wand 1,5 Meter). Anders als behauptet ist die Baustelle auch heute nicht unter Kontrolle durch die slowakische Atomaufsichtsbehörde UJD, daher ist eine transparente internationale Prüfung der Anlage durch die IAEO nötig“, warnt Dr. Uhrig.

Ein Statiker unbekannter Identität war der Erste, der sich dazu entschloss, mit Beweisen für die Mängel und Missstände an der Bausteile an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem er seine Geschichte der „Kronen Zeitung“ anbot, machten sich ein Journalist dieser Zeitung und Dr. Uhrig auf den Weg in die Slowakei, um persönlich mit den Zeugen zu sprechen. Kurz darauf folgten zahlreiche Insider dem Beispiel des Statikers. Der „Krone“-Journalist und Dr. Uhrig stießen auf große Mängel im nicht-nuklearen Teil der Anlage. Nichtsdestotrotz sind die Fehler im Nuklearbereich noch viel alarmierend – wie „blinde“ Bohrungen (rund 10.000 an der Zahl), die zu statischer Instabilität des Gebäudes führen könnten… Viele Experten warnen, dass diese Mängel nicht mehr zu beheben seien. Die einzige Möglichkeit, den Reaktor in Betrieb zu nehmen ist ein völliger Neubau. Es macht den Anschein, als wäre ein Stopp der Inbetriebnahme des Reaktors die einzige Möglichkeit, Europa zu schützen.

Studie
Eine Simulation der Universität für Bodenkultur in Wien hat für realistische Wetterlagen die Auswirkungen eines fiktiven Super-GAUs in Mochovce für das Jahr 1995 untersucht. (FOTO: flexRISK)

Super-GAU
Vor nicht allzu langer Zeit, genauer gesagt im Jahr 1986 kam es zur größten nuklearen Katastrophe. Der Reaktor 4 des AKWs in Tschernobyl explodierte und setzte eine so hohe Menge an radioaktiver Strahlung frei, deren Folgen noch Jahrzehnte nach der Katastrophe zu spüren sind. Die Verseuchung war 100 Mal stärker als jene der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki. Die Explosion durchbrach den Strahlenschutz des Reaktors und sprengte das 2.000 Tonnen schwere Dach in die Luft. Dabei wurden acht Tonnen radioaktiven Materials einen Kilometer in die Atmosphäre geschleudert. Einige der radioaktiven Teilchen sind so leicht, dass sie der Wind Tausende Kilometer mit sich trug, weshalb in Weißrussland, den baltischen und skandinavischen Ländern, sowie Deutschland und Österreich sofort ein Anstieg der Radioaktivität gemessen werden konnte. Innerhalb von zwei Jahren wurden 220.000 Menschen aus den erheblich kontaminierten Arealen evakuiert. Die Stadt Prypjat, die nur drei Kilometer vom AKW entfernt liegt, wird noch mehrere Tausend Jahre unbewohnbar sein. An der direkten Strahleneinwirkung starben rund 8.000 Menschen, wobei die Anzahl jener, die an Krebs erkrankten und verstarben bei 93.000 liegt. Experten schätzen, dass bis 2056 rund 240.000 Menschen aufgrund der Katastrophe in Tschernobyl an Krebs erkranken werden. In der Ukraine stieg die Anzahl an Kindern, die an Schilddrüsenkrebs starben um das 100-Fache.

Tschernobyl
Folgen von Tschernobyl: 600.000 Liquidatoren; 220.000 Menschen wurden evakuiert; 93.000 sind an Schilddrüsenkrebs erkrankt; 2.600 Quadratkilometer beträgt die kontaminierte Fläche; 400 Millionen US-Dollar wurden für die Beseitigung des radioaktiven Stoffs ausgegeben; 40% der europäischen Fläche war einer hohen radioaktiven Strahlung ausgesetzt. (FOTO: zVg, Christopher Glanzl)

Laute Gegenstimme
GLOBAL 2000 setzt sich bereits seit 24 Jahren gegen die Bauarbeiten und die Inbetriebnahme der Reaktoren 3 und 4 in Mochovce ein und setzte Maßnahmen, um ein katastrophales Szenario zu verhindern: „GLOBAL 2000 kampagnisiert seit Jahrzehnten gegen den Neubau von Atomkraftwerken und für den europa- und weltweiten Atomausstieg, darunter auch schon seit über zwanzig Jahren gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Mochovce. Die größte Atom-Kampagne der letzten Jahre waren „Abschalten! Jetzt!“ nach der Fukushima-Katastrophe 2011 mit über 800.000 Unterschriften, die in einer Gesetzesänderung in Österreich zum Verbot von „verstecktem“ Atomstrom und zur lückenlosen Stromkennzeichnung führte.“, erklärte der Experte weiter.

Dank des Durchhaltevermögens von Österreich und GLOBAL 2000 wurde die Inbetriebnahme der Reaktoren 3 und 4 auf das Jahr 2020 verschoben.

Bezüglich des AKWs Mochovce ging GLOBAL 2000 bis zur EU-Kommission und protestierte in Rahmen von diversen Aktionen. Gemeinsam mit anderen Organisationen wurde auch Beschwerde beim slowakischen Obersten Gerichtshof eingelegt, um eine Inbetriebnahme der Reaktoren zu stoppen. Nach massiven Protesten stieg die Erste Bank aus der Finanzierung des AKWs Mochovce aus. Im Jahr 2010 prüfte die Slowakei, ohne Rücksicht auf die Forderungen Österreichs und Sicherheitsfragen, die Reaktoren 3 und 4 auf ihre Auswirkung auf die Umwelt und wollte diese technischen Voraussetzungen für eine Inbetriebnahme öffentlich machen. Bis dato veröffentlichte die Slowakei keinen solchen Bericht bzw. technische Details. Unterstützt durch Windkraft Simonsfeld und eine slowakische Anwaltsorganisation reichte GLOBAL 2000 im Jahr 2017 Klage gegen die slowakische Atomaufsichtsbehörde wegen Vorenthaltung der geforderten Informationen über den technischen Zustand des Reaktors. Der Prozess ist derzeit noch im Gange.

Ulli Sima, Stadträtin für Umwelt und Wiener Stadtwerke:

Ulli Sima, Stadträtin für Umwelt und Wiener Stadtwerke
Ulli Sima, Stadträtin für Umwelt und Wiener Stadtwerke (FOTO: KOSMO)

„Wir haben im Jahr 2007/2008 eine Exkursion nach Mochovce gemacht. Ich muss sagen, dass ich in meinem Leben noch nie so etwas Schreckliches wie diese Baustelle gesehen habe. Es sieht aus wie eine Hollywood-Kulisse. Der Baubeginn des Reaktors war in den 80er Jahren und wurde aus finanziellen Gründen eingestellt. Ab Ende der 80er Jahre bis 2008 sind die Reaktoren als Ruine dagestanden. Überall war Schimmel, überall ist das Wasser herunter geronnen und alles war verrostet. Es war unglaublich. Wir sind mit offenem Mund dort gestanden. Es waren Italiener, die uns geführt haben, denn Enel hatte damals die Slovenské elektrárne übernommen und sie waren ganz enthusiastisch, was da nicht alles hingebaut wird. Aus diesem desolaten Ding haben sie jetzt scheinbar versucht diesen Reaktor zu bauen, was natürlich fatal ist, weil der Reaktor mit einem Technologiemix aus Ost-West und mit der Technologie der 80er Jahre und der der 2.000er Jahre ausgerüstet ist. Wir haben nach unserem Besuch den österreichischen Medien davon erzählt und daraufhin hat sich der Betreiber von Mochovce über mich beim Bürgermeister schriftlich beschwert und mir wurde ein Lokalverbot erteilt. Wir haben damals diese Einwendungskampagne ins Leben gerufen, an der sich 200.000 Wienerinnen und Wiener beteiligt haben. Ich bin mir sicher, dass dieser etliche eklatante Mängel aufzeigen wird, denn vor ein paar Wochen hat mich jemand besucht. Nämlich einer, der technischen Ingenieure von dort. Das war insofern alarmierend, weil er sein ganzes Leben an der Konstruktion von Atomkraftwerken gearbeitet hat und ein Atomkraftbefürworter ist. Er sagte, er könne es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, was dort passiert, weil das sehr schrecklich ist was dort nicht alles gepfuscht wurde. Er findet aber auch, dass das was dort in Mochovce gemacht wurde, fahrlässig ist. Ehrlich gesagt hat mich das sehr bestürzt und alarmiert, vor allem weil er ein Befürworter ist. Er musste aus dem Projekt aussteigen, denn er konnte das was die Leitung von ihm verlangte nicht mehr mittragen, weil das so unverantwortlich und fahrlässig ist. Ich kann versprechen, dass wir alles tun werden, was auch nur eine 5-prozentige Chance auf Erfolg hat.“

Es gibt keinen guten Grund, weshalb die Slowakei darauf pochen sollte, den Reaktor in Betrieb zu nehmen und somit das Leben von Millionen zu riskieren. Die slowakische Aufsichtsbehörde ist dennoch davon überzeugt, dass uns das Militär vor einem Super-GAU schützen könne. In welchem Zustand jedoch dieser Schutz vor radioaktiver Strahlung wirklich ist, weiß man nicht, da das Militär ein Staatsgeheimnis darstellt. Der einzig mögliche Grund für eine Inbetriebnahme des lebensgefährlichen Reaktors wäre ein Fokus auf Nuklearenergie innerhalb Europas, um Unabhängigkeit von russischem Gas zu erlangen. Da Europa über keine anderen natürlichen Ressourcen für die Energieproduktion außer Kohle verfügt, von welcher man aufgrund starker Umweltverschmutzung abgewichen ist, scheint die Atomkraft die einzige Lösung zu sein.

Durch die Einsetzung der Kerenergie würde sich Europa in eine extreme Abhängigkeit seitens der nicht-europäischen Länder begeben.

„Das ist leider völliger Blödsinn: Uranbrennstäbe gerade für die russischen Reaktoren, die in vielen Ländern (Tschechien, Slowakei, Ungarn) laufen, kommen weiterhin aus Russland (es gibt massive Probleme mit Ersatz-Produkten von westlichen Herstellern), und Uran kommt aus anderen Erdteilen (die größten Produzenten sind Kasachstan, Kanada und Australien) – man würde sich hier in extreme Abhängigkeit begeben, noch dazu sind die Uran-Preise volatil / unberechenbar“, betont Dr. Uhrig i fügt hinzu: „Wir sind überzeugt, dass eine transparente, internationale Prüfung der Baustelle Mochovce 3 durch die IAEO unzählige weitere Probleme aufdecken wird – die Ingenieure, die sich an uns mit Problemberichten gewandt haben, sagen dass sie am Meisten Angst haben vor den Problemen, die noch nicht entdeckt sind… Unserer Meinung nach ist es schon aufgrund des veralteten Sicherheitskonzepts fahrlässig, im 21. Jahrhundert eine nicht zeitgemäß geschützte Anlage in Betrieb zu nehmen – unter diesen Umständen und mit diesen technischen Problemen kann dies nicht erfolgen“.

STOPP MOCHOVCE
Nachdem die Inbetriebnahme des Reaktors 3, die für Juli dieses Jahr geplant war, aufgrund heftigen Drucks vonseiten der österreichischen Bevölkerung gestoppt wurde, können wir für einen Moment aufatmen. Der nächste Termin für den Erstbetrieb ist 2020. In der Zwischenzeit arbeiten die österreichische Regierung und GLOBAL 2000 intensiv daran, das Projekt komplett zu stoppen. Aus diesem Grund startete GLOBAL 2000 die Petition „STOPP MOCHOVE“ (www.global2000.at/stopp-mochovce), die bisher rund 260.000 Menschen unterzeichnet haben. Unser Gesprächspartner, Dr. Reinhard Uhrig traf sich letzte Woche mit einem neuen Whistleblower und erhielt neues brisantes Material, das den desaströsen Zustand von Reaktor 3 belegt: Hunderte Fotos und Videos, die Risse, falsch verlegte Kabel und sogar Löcher in den Dächern zeigen. GOLABAL 2000 hat das Material Statikern und Reaktor-Experten gezeigt, die die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen haben. Mit diesem Material ist Dr. Uhrig gestern nach Brüssel gefahren, zum Treffen der europäischen Atomaufsichten (ENSREG), wo er das Material ebenfalls vorgelegt hat. Die gute Nachricht ist, dass es nun eine internationale Prüfung der Baustelle geben soll. Wir gehen davon aus, dass der Reaktor 3 damit am Ende ist.

Ob es Österreich gelingt, ein Atomkraftwerk zum zweiten Mal in der Geschichte des Landes komplett zu stoppen, wie dies beim Referendum 1978 bezüglich des AKW Zwentendorf der Fall war, bleibt abzuwarten.