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REPORTAGE

Autophagie — wir essen uns selbst

Autophagie — wir essen uns selbst (FOTO: iStock, zVg.)

Lange glaubten die Menschen, Gesundheit liege im Essen, denn sie waren überzeugt, dass ein Überfluss an Nährstoffen das Wichtigste sei. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass Mäßigung zur Gesundheit führt, und die Autophagie, eine Ernährungsweise, die immer beliebter geworden ist, beweist dies.

Der Begriff der Autophagie kommt aus dem Griechischen und besteht aus auto (selbst) und phagein (essen). Vereinfacht gesagt geht es also um eine Selbstzersetzung auf der Ebene der Zellen, die – wie wir wissen – die grundlegenden Einheiten jedes lebendigen Organismus sind. Untersuchungen zu diesem Thema begannen schon in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als festgestellt wurde, dass Zellen über die Fähigkeit verfügen, ihre eigenen Bestandteile zu recyceln. Zu Beginn der neunziger Jahre wurden diese Forschungen intensiviert, und diesmal stand die menschliche Gesundheit im Mittelpunkt. Der japanische Forscher Yoshinori Ohsumi erhielt 2016 den Medizin- Nobelpreis, da es ihm gelungen war zu erklären, welche Moleküle bzw. Zellkomponenten für den Prozess der Autophagie verantwortlich sind. Da die Menschen in den letzten Jahren immer häufiger von dieser Methode sprechen und sie bei ihrer Ernährung im Alltag umsetzen, hat KOSMO mit Dr. Slaven Šteković, einem Molekularbiologen und Experten für menschliche Langlebigkeit, Gerontologie und Zytologie, über die Autophagie gesprochen. Er hat zehn Jahre lang an der Verlängerung der menschlichen Lebenserwartung und an der Prävention von Alterserkrankungen gearbeitet, und das wichtigste Thema seiner Forschungen war die Aktivierung der Autophagie bzw. die Wirkungen des Fastens und der Autophagie auf die Gesundheit und das Altern bei Menschen.

KOSMO: Wie definieren Sie die Autophagie?
Dr. Slaven Šteković: Autophagie ist der Prozess des Abbaus nicht benötigter Moleküle in der Zelle, um daraus die Energie und die Mikrostrukturen zu bilden, die für den Aufbau neuer Moleküle benötigt werden. Denn wenn die Zelle zu wenig Energie für die Prozesse hat, die darin permanent ablaufen, dann muss sie alternative Energiequellen finden. Da es keine externen Energiequellen gibt, verwendet die Zelle interne Stoffe, die sie in diesem Moment nicht braucht, und das sind überwiegend Moleküle, die bereits fehlerhaft sind bzw. nicht so funktionieren, wie sie es sollen. Bei ihrer Zersetzung bzw. ihrem Recycling entsteht Energie, das funktioniert ähnlich wie in unseren Makrosystemen bei Papier, Plastik etc.

Wie verläuft dieser Prozess in unserem Organismus?
Autophagie ist ein Prozess, der ausschließlich auf der Ebene der Zellen stattfindet. Sie sind die grundlegenden Einheiten unseres Organismus, sie haben ihre Funktion und sind als Funktionseinheiten selbständig. Die Autophagie kann auf verschiedene Weise aktiviert werden: durch Fasten, durch bestimmte natürliche oder synthetische Substanzen, die zur Behandlung von Krankheiten entwickelt werden, durch physische Aktivitäten und Ähnliches. Die beschädigten Moleküle sind in der Zelle erkennbar, denn sie tragen eine molekulare Markierung, die kennzeichnet, was beschädigt bzw. heil ist. Wenn die Autophagie beginnt, sucht sie nach den gekennzeichneten Molekülen und diese werden in dem Prozess zersetzt. Um diese beschädigten Moleküle bildet sich eine Membran, so wie ein Müllsackerl, das ein saures Milieu und andere Moleküle beinhaltet, die die Zellbestandteile in ihre Grundelemente zerlegen. Diese werden nach dem Prozess als Bausteine für neue Moleküle verwendet und die entstandene Energie wird für die Lebensprozesse in der Zelle eingesetzt.

AKTIVIERUNG: Durch Fasten, natürliche oder synthetische Substanzen und körperliche Aktivität.

Wie wird die Autophagie aktiviert?
Die wichtigste Antriebskraft für die Autophagie ist das Fasten. Wir nehmen mit der Nahrung Moleküle auf, die Energieträger sind, und das sind Zucker, Proteine und Fette. Die Energie, die bei ihrer Zersetzung entsteht, wird für alle biochemischen Prozesse in der Zelle verwendet. Wenn es zu einer Unterbrechung der Nahrungsaufnahme kommt, was das Wesen des Fastens ist, gerät die Zelle in eine Energiekrise, denn sie kann für die aufgeführten Prozesse keine Energie produzieren. Aus diesem Grund wird die Autophagie bzw. die Zersetzung nicht benötigter, d.h. beschädigter Moleküle in der Zelle in Gang gesetzt, damit diese die Energie erhält, die sie zum Überleben benötigt. Ähnliches passiert auch bei körperlicher Aktivität, wobei die Aktivierung der Autophagie sich in diesem Fall vor allem auf die Muskeln konzentriert, weil der Energiebedarf dort am größten ist. Denn die Muskeln werden durch die Beanspruchung beschädigt und müssen neu aufgebaut werden. Wie bei Legosteinen schafft es die Autophagie bestimmte Moleküle zu zersetzen und neue Steinchen aufzubauen, denn sie recycelt die alten, um in den Muskeln neue Zellstrukturen zu bilden. Daneben gibt es auch bestimmte Substanzen, die zur Aktivierung der Autophagie eingesetzt werden können und die in der Medizin zum Teil auch für andere Wirkungen verwendet werden.

ADF – Alternate Day Fasting (FOTO: zVg.)

Braucht es für die Autophagie eine Nahrungsaufnahme zu bestimmten Tageszeiten?
Um die Autophagie durch Fasten zu aktivieren, werden nach den neuesten Messungen 16, aber möglicherweise sogar manchmal 20 Stunden benötigt. Das hängt überwiegend von der genetischen Prädisposition und von Stoffwechselparametern ab, denn nicht alle Menschen reagieren gleich auf das Fasten. Bei den Teilnehmern unserer klinischen Studien haben ´ wir gesehen, dass auch eine gewisse Dosis Disziplin nötig ist, um sich an dieses Ernährungs-Regime zu halten. Aber ich betone, dass das für gesunde Menschen nicht schwer ist.

Ist das Fasten für alle Menschen empfehlenswert, unabhängig von ihrem Gesundheitszustand?
Das Fasten ist für Menschen mit fortgeschrittenen Stadien von Karzinomen nicht empfehlenswert. Obwohl einige Studien zeigen, dass eine Chemotherapie in Kombination mit dem Fasten weniger Nebenwirkungen hat, gibt es keine schlüssigen Daten darüber, ob es für Personen mit Karzinomen sicher ist, die Therapie mit Fasten zu unterstützen. Diabetiker sollten unbedingt ihren Arzt konsultieren, auch wenn einige Untersuchungen positive Effekte des Fastens zeigen, wobei diese noch immer nicht mit der Autophagie in Beziehung gesetzt werden können. Aufgrund der Gefahr der Selbstverletzung und sogar des Suizids ist das Fasten für Menschen, die an schweren Formen einer Depression leiden, nicht empfehlenswert, aber in der Literatur findet man Hinweise darauf, dass Fasten bei Patienten mit leichten Depressionen eine positive Wirkung haben kann. Als langfristige Therapie wird das Fasten für Menschen unter 25 Jahren nicht empfohlen, denn in diesem Alter ist der Körper noch nicht voll entwickelt und die Menge der hochenergetischen Molekülen in den Zellen sollte nicht vermindert werden. Auch Schwangere sollten nicht fasten, denn damit könnten sie die Entwicklung ihres Kindes gefährden.

Für wen ist die Autophagie zu empfehlen?
Mit der Aktivierung der Autophagie werden die Zellen von nicht benötigten Molekülen gereinigt, womit auch der Alterungsprozess verlangsamt wird. Für Menschen mit einem Risiko für Alterskrankheiten ist das Fasten nützlich, und dazu gehören verschiedene Stoffwechselsyndrome. Die Aktivierung der Autophagie, vor allem das Fasten, hilft bei der Prävention von Fettleibigkeit, Diabetes, bei Herzkrankheiten, bei hohem Blutdruck, bei einem Risiko von Demenz, Alzheimer, Parkinson usw.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.