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Balkan Stories: Das zweitgrößte Geheimnis des Balkan

Spielball der Großmächte

Nur, ganz so, als hätte es keine Verbindungen gegeben, kann man nicht tun.

Der Balkan war die Region, in die die Großmachtpolitik vierer Imperien ein Jahrtausend lang so viel Gewalt hineintrug wie sonst nirgends auf diesem Kontinent.

Das nichts freilich im Vergleich zu dem, was im 20. Jahrhundert mit Nazideutschland die fünfte Großmacht in der Region anrichtete.

Die Kulturen vor allem Österreich-Ungarns und des Osmanischen Reichs haben sich tief in die Kulturen am Balkan eingegraben.

Und sie überspringen natürliche Barrieren und vermischen sich.

Selbst wenn man die Donau-Sava-Linie als geographische Grenze akzeptierte: Historisch wäre sie Unsinn.

Das erklärt, warum es auch andere Definitionen gibt. Diese hier etwa.

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Quelle: Wikimedia Commons

Andere sehen Wien als die nördliche Grenze an und Odessa als die östliche.

Georgia turnt vor

Auch die Eifrigen der Griechen wollen nicht Balkan sein. Partout nicht.

Geographisch tun sie sich ein bisschen schwerer als die Kroaten und die Slowenen.

Man müsste etwas viele Flüsse umleiten, um Griechenland nicht zum Teil der Balkan-Halbinsel zu machen.

Sie verrenken sich um die Geschichte herum.

Eine eifrige Vorturnerin ist Georgia Marliakou in einem Forum auf quora.com.

Auch in diesem Forum vertreten einige User die Meinung, Griechenland sei mediterran, nicht Balkan.

Bulgarien, das einzige Balkanland

Auch die Eifrigen der Rumänen wollen nicht Balkan sein. Seit den 1930-ern schon nicht, wie dieser Artikel zeigt, den das rumänische Honorarkonsulat in Boston auf seine Homepage gestellt hat.

Die historische Begründung hält der neueren Geschichtsforschung nicht stand.

Interessant die Conclusio.

With Yugoslavia a neighbor of Italy, Greece a Mediterranean country, and continental Turkey but the small prolongation in Europe of an Asiatic Empire, the Bulgarians remain today the only Balkan people, and Bulgaria the only Balkan state.

Prof. Nicholas Iorga, 1930

Man merkt, der Balkan, das sind immer die Anderen.

Der Schluss, nationalistische Rumänen seien den Nachbarn in Bulgarien nicht sonderlich zugeneigt, ist zulässig.

Sehr patriotische Bulgaren würden vermutlich auch gerne nicht Balkan sein. Bei ihnen geht’s nur wirklich nicht mehr. Das Balkangebirge, das der Balkanhalbinsel den Namen gegeben hat, liegt in Bulgarien.

Man könnte es freilich auch abgraben.

Ergebnis westlicher Projektionen

Dass es so weit verbreitet ist, das Offensichtliche zu leugnen, hat vor allem mit dem westlichen Bild des Balkan zu tun.

Er ist die Projektionsfläche in Europa schlechthin. Alles Rückständige, Primitive, Zügellose, Korrupte der eigenen Kultur wird auf die Menschen am Balkan übertragen.

So steht man selber besser da.

Das übernehmen die Balkanesen nur allzugern, streben sie doch selber in „den Westen“.

Und verschließen wie die nördlicheren und westlichen Nachbarn nur allzugern die Augen vor Nationalismus und Korruption zuhause.

Wozu auch hinsehen, wenn’s beim Nachbarn schlimmer ist?

Und ist es nicht zwangsläufig schlimmer, wenn der Nachbar Balkan ist und man selbst nicht?

Peter Handke etwa beobachtete diese Verschiebung bei Wanderungen mit slowenischen Freunden in den70-ern und 80-ern, wie er in seiner Reportage „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“ beschreibt.

Immer öfter sei das Wort Mitteleuropa gefallen, schreibt er und sieht es als Symptom eines aufkeimenden slowenischen Nationalismus.

Die Vernünftigen schmunzeln

Die Vernünftigen bringen die Verrenkungen der Eifrigen zum Schmunzeln.

Slavoj Žižek etwa macht sich in einem bekannten Video über die Eifrigen lustig. Und über die Westler, die auf den Balkan alles Negative projizieren.

Womit das zweitgrößte Geheimnis des Balkan – wo er ist – nicht gelöst wäre. Aber wir wissen wenigstens, warum es ein Geheimnis bleibt.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.