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Balkan Stories: Eine Zugfahrt, die ist lustig

FOTO: Balkan Stories

Das Bahnnetz im Kosovo könnte etwas verbessert werden. Zu dieser Überzeugung ist Balkan Stories nach einer Zugfahrt gelangt, in der dieser Blog das gesamte Bahnnetz des Landes erkundet hat. Für Eisenbahnfans ist dieser Beitrag möglicherweise verstörend.

Laut mehreren Rechercheergebnissen im Internet ist das Gebäude vor mir der Bahnhof von Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo.

Er scheint nicht in Betrieb zu sein, allen Recherchen zum Trotz.

Die Fassade dient durchaus talentierten Straßenkünstlern als Fläche für ihre Wandgemälde und Graffiti.

Ich beschließe, mich selbst zu überzeugen. Morgen will ich mit dem Zug nach Pejë/Peć. Eine Fahrkarte wäre durchaus praktisch. Und sollte das Gebäude noch als Bahnhof fungieren, gibt es hier sicher jemanden, der den Fahrplan genauer kennt.

Den Informationen auf der Homepage von Trainkos vertraue ich nicht ganz. Trainkos ist das öffentliche kosovarische Bahnunternehmen, vergleichbar den ÖBB oder der DB. Letztere scheint das Vorbild für Trainkos zu sein, wie sich herausstellen wird. Das ist wenig überraschend nicht unbedingt vorteilhaft.

Wider Erwarten ist in diesem Gebäude ein arbeitender Bahnhof untergebracht. Funktionierend erschiene nach einem auch nur oberflächlichen Besuch eine leichte Übertreibung.

Der Schalter ist geschlossen.

Ein WC gibt es nicht. Auch kein Bahnhofscafe.

Infobildschirme sucht man eher vergeblich.

Einzig Fahrpläne hängen aus. Sie sehen ausreichend neu aus, um noch gültig sein zu können.

Sie zeigen die geplanten Abfahrtszeiten der beiden Züge, die hier pro Tag abfahren.

Prishtina – Pejë/Peć, morgens und spätnachmittags. Das ist das gesamte Bahnnetz des Kosovo.

Am Schalter gibt es keine Fahrkarten

Am nächsten Tag bin ich kurz nach halb acht am Bahnhof. Eine Viertelstunde vor Abfahrt. Das sollte reichen, um eine Fahrkarte zu kaufen.

Der Schalterbeamte gibt mir mit einem Kopfschütteln zu verstehen, dass mein Ansinnen so hehr wie vergeblich ist.

Wo ich die Karte kaufen kann? „Tren“, sagt er.

Wie bei Bussen im Kosovo und in Albanien.

Am Bahnhof stehen oder sitzen an die 20 Leute. Zug steht keiner da. Dabei wäre das die erste Haltestelle.

Irgendjemand kann Englisch

Es wird 7:50. Laut Fahrplan sollte der Zug abfahren. Etwas mehr als zwei Stunden sollte er nach Pejë/Peć brauchen. Eine Busfahrt dauert etwas unter eineinhalb Stunden. Die Busse fahren alle 20 Minuten.

Es wird 8:15.

Zug steht keiner da.

Außer mir sind alle Zugreisenden in spe kosovarisch.

Sie zeigen sich nicht im Geringste irritiert oder ungeduldig.

Der Schalterbeamte kommt heraus und spricht mit ein paar Wartenden.

Es gibt keine Lautsprecherdurchsagen. Das würde es ja etwas einfach machen.

Sogar für mich. Ich spreche kein Albanisch. So unverständlich für mich eine offizielle Durchsage wäre, würde sie mir doch signalisieren, dass sich etwas verzögert oder irgendetwas passiert ist.

Wie immer in dieser Weltgegend falle ich auf.

Irgendwer, der weiß, was los ist, sucht jemanden der Englisch kann.

Der kommt zu mir und sagt mir, dass sich die Abfahrt noch etwa eine Viertelstunde verzögert. Irgendetwas mit der Lok vermutlich.

Eine Strecke mit zwei Zügen am Tag. Man würde vermuten, dass das für ein Bahnunternehmen eine überschaubare Aufgabe ist.

Aus der Viertelstunde wird mehr als eine halbe.

Eine altersschwache Diesellok zieht Waggons mit abblätternder Farbe und der einen oder anderen zersprungenen Fensterscheibe auf den Bahnsteig.

FOTO: Balkan Stories

Sie wird abgekoppelt, fährt die Strecke hinunter außer Sichtweite, wendet, fährt die Strecke hinauf bis zur nächsten Weiche, schiebt zurück und wird am Erste Klasse-Waggon wieder angekoppelt.

Wir sitzen im Zug. Der Schaffner schwenkt die Abfahrtstafel, pfeift und steigt ein. Die Lok fährt an.

Es ist kurz vor neun.

FOTO: Balkan Stories

Ist die DB das Vorbild von Trainkos

Die zweite Haltestelle nach Prishtina ist Fushë Kosova am Stadtrand. Das ist der eigentliche Hauptbahnhof der kosovarischen Hauptstadt.

Ein kurzer Blick zeigt, dass es hier keineswegs besser um die Infrastruktur bestellt ist als am Bahnhof Prishtina.

Trainkos scheint mehr oder weniger enge Beziehungen zur DB zu unterhalten. Die Waggons waren wahrscheinlich in den 90-ern für den Stadtverkehr Niedersachsen/Bremen im Einsatz.

Die meisten Beschriftungen hat man belassen, wie sie waren. Auch wenn sie offenbar gegenstandslos sind,

Eine einfache Fahrt kostet drei Euro.

Um die hier angedrohten 60 Euro Strafe könntest du vermutlich die gesamte Zuggarnitur kaufen.

Oder zumindest Bestandteile des Waggonfriedhofs, der auf etwa halber Strecke vermuten lässt, dass das Bahnnetz im Kosovo einmal etwas größer gewesen sein muss als heute.

Irgendwann kommt der Schaffner vorbei und verkauft Fahrkarten.

FOTO: Balkan Stories

Er hat sogar eine mobile elektronische Kassa mit sich. Sie druckt die Tickets aus.

Man wird den Eindruck nicht los, die DB sei das Vorbild für Trainkos

Bäume in Bahnhöfen

Die Bahnhöfe entlang Kosovos einziger Bahnstrecke in Betrieb lassen wenig Hoffnung aufkommen, dass der Kosovo bald Bahnfahrernation wird.

Häufig sind die Namen der Haltestellen verblasst. Bäume wachsen in den ehemaligen Wartehallen.

FOTO: Balkan Stories

Die Straßen entlang der Bahnstrecke sind augenscheinlich in hervorragendem Zustand.

Immerhin lässt einen das gemächliche Tempo dieser Reise die Landschaft genießen.

Alle anderen Bahnverbindungen sind aktuell gesperrt

Einige der anderen Bahnstrecken im Kosovo werden aktuell saniert, etwa die nach Prizren, heißt es.

Wann die heuer gesperrte Verbindung nach Skopje wieder hergestellt wird, ist ungewiss – oder ob.

Einen Zug nach Beograd wird es aller Voraussicht nach nicht geben.

Da kommt sich sogar der durchschnittliche Bosnier vor wie im Paradies, wenn er an die Heimat denkt.

Das muss man auch erst mal schaffen.

Kurz nach elf fahren wir in Pejë/Peć ein. Wie es scheint, haben wir auf der Strecke noch etwas Verspätung aufgerissen.

Ganz so einfach scheint es nicht zu sein, auf einer Strecke zwei Züge pro Tag hin- und wieder zurückfahren zu lassen.

Trainkos orientiert sich offenbar wirklich an der DB.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.