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Balkan Stories: Liebevolles Geschäft mit der Nostalgie

(FOTO: Balkan Stories)

In Sarajevo hat vor wenigen Monaten das private Museum „Tito Sarajevo Yugoslavia“ eröffnet. Es ist ein weiteres Beispiel wachsender Nostalgie für das ehemalige Jugoslawien, nicht nur in Bosnien. Und für das Geschäft mit ihr. Balkan Stories hat das Museum besucht. Teil 1 einer Reportagereihe.

„Eine Person kann eintreten“, sagt eine elektronische Stimme. Eine in der Wand verbaute Kassa spuckt einen Bon aus.

Das Schloss des Drehkreuzes klickt. Ich gehe durch und stehe auf einer Graphik mit den Wappen der jugoslawischen Republiken, die auf den Parkettboden gemalt wurde.

(FOTO: Balkan Stories)

Zehn Mark hat mich der Eintritt gekostet. Das sind fünf Euro. Zahlbar nur per Karte, die man auf einen Scanner legt.

(FOTO: Balkan Stories)

In dieses Museum zu gelangen, ist ein zutiefst unjugoslawischen Erlebnis. Und ein für hiesige Verhältnisse teures obendrein.

Es erwartet einen auch kein Personal in dieser kleinen ehemaligen Wohnung in einem Hinterhof der Ferhadija 13.

In Jugoslawien haben hier wahrscheinlich ein Paar und ein Kind gelebt. Für eine größere Familie wäre diese vielleicht 30 Quadratmeter große Wohnung auch nach damaligen Maßstäben zu klein gewesen.

(FOTO: Balkan Stories)

Hier wird alles elektronisch erledigt. Schautafeln und Erklärungen zu den Exponaten gibt es nicht. Man muss QR-Codes scannen.

Es ist ein Erlebnis, das geradezu das Wort „Touristenfalle“ schreit.

Das ist es sicher auch.

(FOTO: Balkan Stories)

Ans lokale Publikum richtet sich das Museum „Tito Yugoslavia Sarajevo“ nicht. Man hat Leute der Gastarbajteri-Generation im Sinn, Kriegsflüchtlinge und vielleicht ihre Kinder, und die paar internationalen Touristen, die nach Sarajevo kommen.

Andererseits: Selten wird man im ehemaligen Jugoslawien eine Wohnung sehen, die so vollgeräumt ist mit Erinnerungsstücken an den untergegangenen Staat, Museum hin oder her.

Es gibt kaum einen Aspekt des jugoslawischen Alltags, den dieses Museum nicht anreißt.

Sogar eine Spajz hat man hier nachgebaut.

(FOTO: Balkan Stories)

In der Küche hängt ein handgeschriebenes Rezept.

(FOTO: Balkan Stories)

Kinderbücher sind hier, Pionierkappen, Studentenausweise.

(FOTO: Balkan Stories)

Vieles hätte man in einem typischen Sarajevoer Haushalt der 60-er und 70-er genauso gefunden.

Die Waschmaschine von Gorenje sieht eher nach den 80-ern aus, aber meinereiner ist kein Experte für derlei Dinge.

(FOTO: Balkan Stories)

Manches gab es eher nur in den Akademiker-Haushalten, die dem sozialistischen System Jugoslawiens positiv gegenüberstanden.

Auf Tito und Jovanka hat man nicht vergessen. Vor allem auf Tito nicht.

Erfrischenderweise kommt er etwas weniger oft in diesem Museum vor als der Name vermuten ließe. Der Fokus liegt auf der materiellen Alltagskultur Jugoslawiens.

Zweifelsohne ist dieses Museum zuallererst kommerziell. Er steckt aber viel Arbeit und Liebe drin. Es ist ein liebevolles Geschäft mit der Nostalgie.

Gehört Alltagskultur nicht besser in ein öffentliches Museum?

Dennoch bleibt ein bitterer Nachgeschmack.

Nur fragt man sich, um viel besser die materielle Kultur Jugoslawiens in einem öffentlichen Museum präsentiert und erforscht werden könnte.

Das Historische Museum in Sarajevo etwa würde sich anbieten. Nur das hat kein Geld für eine derartige Dauerausstellung.

Der öffentliche Sektor im ganzen ehemaligen Jugoslawien hat kein Geld. In Bosnien vielleicht am allerwenigsten.

(FOTO: Balkan Stories)

Das führt auch dazu, dass historische Forschung und Dokumentation in vielen Bereichen vorwiegend auf gewinnorientierte Privatinitiative hin geschieht.

Die vielen Privatmuseen – auch in Sarajevo – zersplittern die Museenlandschaft und kommerzialisieren das Interesse an Geschichte. Häufig zu Lasten einer wissenschaftlichen Aufarbeitung und didaktischen Präsentation. Und nicht zuletzt bekommen die Ausstellungen unweigerlich eine Schlagseite, die sie in einem öffentlichen Museum nicht hätten.

Das bitterste ist vielleicht, dass die privaten Betreiber mit den öffentlichen Museen um Exponate und Aufmerksamkeit konkurrieren.

Das brauchen öffentliche Museen wie einen Kropf.

Das sollte man dem Betreiber dieses Museums nicht zum Vorwurf machen. Er nützt die Nische, die ihm eine verfehlte Kultur- und Wissenschaftspolitik in Bosnien lässt.

Innerhalb dieses Rahmens hat er hervorragende Arbeit geleistet. Das muss man ihm bei aller Skepsis lassen.

Hier geht’s zur Homepage des Museums.

Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.

Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.