Seinen Lebenstraum hat sich Florim Beqiri bislang nicht erfüllt. Aber einiges andere hat der Buchstandbetreiber aus Prishtina erreicht. Unter anderem hat er die Verwaltung seiner Heimatstadt in die Knie gezwungen.
Kurz muss Florim Beqiri überlegen, als ich auf seinen Buchstand auf dem Bulevardi Nënë Tereza zusteuere und ihn herzlich begrüße.
„Ah ja, jetzt hab ich’s“, sagt er, und lächelt breit.
Jünger sind wir beide nicht geworden. Da fällt es schwer, seitdem wir uns das letzt Mal gesehen haben. Sieben Jahre ist das her*.
Zu meiner Überraschung arbeitet Florim heute von einem der Schweizer Kioske aus, die seinerzeit für so viel Aufregung und Ablehnung unter den Buchstandlern der kosovarischen Hauptstadt gesorgt hatten.

Die Schweiz spendete Prishtina die gläsernen Kioske. „Die Stadtverwaltung hat uns dann gezwungen, unsere alten Stände aufzugeben und die neuen Kioske zu benutzen. Das war knapp, nachdem du warst“, schildert Florim. Widerstand war zwecklos.
(Siehe die damalige Reportage.)
Das hatte seine Vorteile. Die Bücher waren ab sofort wettergeschützt. Die Standler mussten sich keine Sorgen mehr machen, ob sie Tische besorgen können, auf denen sie ihre Ware ausbreiten.

Allein, die Stadt verlangte Miete für die Stände. „40 Euro im Monat wollte die Stadt. Für Kioske, die sie selbst geschenkt bekommen hat“, schildert Florim. Er ist immer noch ein bisschen sauer.
40 Euro. Das mag nicht nach viel klingen. Für die meisten Buchstandbetreiber waren das 2017 gut zehn Prozent des monatlichen Einkommens.
Hunderte folgten Florims Aufruf
Nicht alle konnten sich das leisten. Auch Florim nicht. „Ich hab der Stadt schließlich 320 Euro geschuldet. Die haben gedroht, den Stand zu schließen. Und ich war nicht der einzige“
Florim und die anderen Buchstandler wehrten sich. Florim rief auf seinem Facebookprofil die Bürger der Stadt auf, bei ihm einzukaufen, und ihm zu helfen, die Rückstände zu begleichen. Er verkaufte seine Bestände um einen Euro das Buch.
„Hunderte sind gekommen“, zeigt sich Florim stolz. Es war nicht nur eine Solidaritätsaktion.
Die Bürger Prishtinas protestierten mit ihrem Auftauchen, um die Buchstandbetreiber zu erhalten. Sie sind ein wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur der Stadt – und eine nahezu einzigartige Einrichtung.
So viele offene Buchstände wie hier findet man allenfalls in Skopje. In Beograd und in Sarajevo gibt es sie nur vereinzelt, und meist anlassbezogen – etwa zu Beginn eines Schuljahres. (Siehe diese Reportage.)
Shpend Ahmeti, der damalige Bürgermeister Prishtinas, gab nach dem Massenauflauf vor Florims Stand nach. Die Stadtverwaltung erließ die Schulden. Sie verzichtet seitdem auf die Miete.
Dieser Sieg half der kleinen Gemeinschaft der Buchstandbetreiber, geschäftlich zu überleben.
Bücher aller Länder, vereinigt euch
Man merkt an den Ständen, dass es ihnen heute besser geht als vor sieben Jahren.
Florim etwa hat sein Angebot systematisiert und erweitert.
Er hat etwa auch Schallplatten im Programm.
Buchweise ist die eine oder andere kleine antiquarische Kostbarkeit zu finden.

„Da hat sich mittlerweile auch ein Netzwerk mit Buchhandlungen- und Buchständen in der Region entwickelt“, schildert Florim.
Wenn ein Buchstandler oder eine Buchstandlerin aus Prishtine oder Skopje ein selten anmutendes Buch findet, tauscht man sich über soziale Netzwerke mit Kollegen in Beograd oder Podgorica aus, holt Infos ein, und, sollte es sehr seltenes Werk sein, hilft man einander, Käufer zu finden.
„Wir alle lieben Bücher, und wir leben davon“, sagt Florim. „Da helfen wir einander. Wir sind Kollegen. Das zählt.“
Diesmal hat er aus einer Verlassenschaft ein Kunstbuch aus Rumänien aus den 1930-ern anzubieten – auf Französisch.
Das ist für eine spezielle Kundschaft. Das Buchhändlernetzwerk konnte bislang nicht aushelfen. „Aber da kommt sicher wer mit Informationen, wie viel man dafür verlangen kann“, zeigt sich Florim optimistisch.
Wichtiger Teil der kulturellen Infrastruktur
An Alltagsware hat der gelernte Montanist regelmäßig Bücher in fünf oder sechs Sprachen anzubieten. Vom Kinderbuch über Comics bis zu Klassikern der regionalen oder Weltliteratur.

Die Preise liegen spürbar unter dem, was man hier in einer Buchhandlung zahlt. Der Kosovo hat bei Büchern westliche Preise. Das liegt auch daran, dass Zölle die Haupteinnahmequelle des Staates sind, den Serbien bis heute als abtrünnige Provinz betrachtet.
Die Buchstände in Prishtinas Stadtzentrum sind für viele Leser eine verlässliche Quelle für leistbares Lesematerial.
Auch wenn man, wie diese Kundin, vielleicht nicht immer sofort kriegt, was man gerne hätte.

Paris muss warten
Reich werden Florim und seine Kollegen von ihrer Arbeit nicht. Aber für ihn reicht es, um gemeinsam mit seiner Frau die Familie zu ernähren.
„Mein Sohn hat die Uni abgeschlossen und arbeitet für die lokale Filiale eines österreichischen Unternehmens“, erzählt er stolz. „Er könnte ins Ausland gehen, aber er will hier bleiben.“
Stolz ist Florim auch auf seine Tochter. „Sie studiert in Istanbul“. Florim hofft, dass es für sie hier einen Arbeitsplatz geben wird, wenn sie ihren Abschluss macht, und dass sie nicht auswandern muss, wie zehntausende junge Bewohner des ehemaligen Jugoslawien jedes Jahr.
(Mehr über die katastrophalen Auswirkungen der Massenemigration erfahrt ihr hier.)
Nur seinen großen Traum konnte sich Florim bislang nicht erfüllen.
Seit 2017 hat die EU die Visumspflicht für Kosovaren abgeschafft. Aber seitdem haben auch die Mühen des Alltags Florims Reisepläne etwas weniger ambitioniert ausfallen lassen als ihm lieb ist.
„Aber eines Tages werde ich nach Paris fahren. Und dort Bücher kaufen“, sagt er. Und lächelt.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider. Nicht die Meinung der KOSMO Redaktion.
Balkan Stories, Christoph Baumgarten

Christoph Baumgarten ist Journalist und Balkanreisender aus Leidenschaft. Seit 2015 verbindet er beide Leidenschaften auf seinem Blog Balkan Stories. Dort versucht er, Geschichten zu erzählen, für die es in größeren Medien meist keinen Platz gibt und stellt die Menschen in den Mittelpunkt.
Mehr von Christoph könnt ihr unter balkanstories.net nachlesen.
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