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EINE SCHANDE FÜR DEN STAAT

Der Handel mit Babys – ein Verbrechen ohne Strafe

Als endlich Freitag war, kam der Doktor in mein Zimmer und sagte, dass mein Baby leider gestorben sei. Ich ging mit einem Entlassungsbrief nach Hause, in dem stand, dass ich eine Geburt gehabt hatte und dass das Baby gestorben sei. Für das Kind bekam ich keinerlei Dokumente, aber ich dachte, dass sei in Ordnung so, und fragte deswegen nicht nach. Über meinen psychologischen Zustand nach diesem Ereignis zu sprechen, ist schwer. Eine Frau bereitet sich die ganze Schwangerschaft über auf ihr Kind vor und steht dann mit leeren Händen da. Ich habe manchmal die ganze Nacht im Bett gesessen und meine leeren Arme gewiegt. Das war ein schrecklicher Zustand, denn da war ein natürlicher Verlauf unterbrochen worden. Aber das Leben ging weiter und ich habe nie wieder jemanden im Wochenbett besucht und bin nie wieder in ein Spielzeuggeschäft gegangen. Ich habe dieses Ereignis verdrängt, darüber wurde zu Hause nie gesprochen, aber es hinterließ eine große Wunde. Als die Baby-Affäre 2002 an die Öffentlichkeit gelangte, habe ich das Thema gemieden, denn ich habe gespürt, dass es auch mich betreffen könnte. Als die Affäre Fahrt aufnahm, wurde ich immer unruhiger, und 2015 riet mir mein Mann, alle Papiere zu beantragen und mich endlich zu beruhigen.

FRAGE. Gibt es Verträge über den Export von Kindern oder handelt es sich um eine Manipulation?

Der Standesbeamte sagte mir zuerst, dass mein Kind nicht in die Bücher eingetragen sei, und ich dachte, dass es auch gar nicht eingetragen sein könnte, da es ja gestorben sei. Denn wurde wenig später doch ein Eintrag gefunden, dass mir ein männliches Kind gestorben sei, aber ich hatte ja ein Mädchen geboren. Das war für mich ein sicheres Signal, dass ich beginnen sollte nachzuforschen. Leider stehe ich damit noch immer am Anfang. Mein Arzt hat schriftlich eine Obduktion beantragt, das Kind wurde auf die Pathologie gebracht, aber dort verliert sich seine Spur. Angeblich war das ein Samstag, als die Pathologie nicht arbeitete, aber das ist eine Lüge, es war Freitag. Wir alle Mütter angeblich verstorbener Babys in Sremska Mitrovica haben denselben Auftrag an den Friedhof unter derselben Nummer 17-25/25 erhalten, ein verstorbenes Baby aus dem Krankenhaus zum Friedhof zu überführen, und denselben Auftrag an eine Privatfirma, einen Sarg und die Ausstattung zu liefern. Ich habe die Bücher der Bestatteten selber durchgesehen, aber mein Kind scheint darin nicht auf, darüber habe ich auch eine schriftliche Bestätigung.

Mein Ziel ist es, den Staat zu zwingen zuzugeben, dass er uns betrogen hat, und an der Aufklärung unserer Fälle zu arbeiten. Die Kinder, die nach ihren Behauptungen über Nacht gestorben sind, wurden von bestimmten Ärzten geraubt, die unter Druck standen, mit der Polizei, der Armee und dem Staat zusammenzuarbeiten. Sie mussten das machen, denn das System war so und sie mussten gehorchen.

„Meine Zwillinge wurden in eine Rubrik eingetragen, an deren Ende steht – abgenommen.“

„Ich habe den Verdacht, dass mir Zwillinge geraubt wurden“
Radiša Pavlović (55), Mitglied der staatlichen Kommission für verschwundene Babys und Vorsitzender der Vereinigung für Wahrheit und Gerechtigkeit für die Babys
Meine Frau Mirjana und ich waren überglücklich, als wir erfuhren, dass meine Frau Zwillinge bekommen würde. Natürlich hatten wir Angst, als sie vorzeitig Geburtswehen bekam, aber wir hofften das Beste, als sie am 13. November 1988 um 15.10 Uhr in Kragujevac den ersten und fünf Minuten später den zweiten Sohn zur Welt brachte. Die Kinder weinten nach der Geburt, die Mutter sah sie etwas später zum ersten und leider auch zum letzten Mal. Die Ärzte überzeugten meine Frau, dass alles in Ordnung sei, obwohl ein Baby 1.500 und das andere 1.600 Gramm wog. Die Buben wurden wegen angeblicher Atemwegsprobleme in die Kinderabteilung verlegt, und als ich kam, um sie zu sehen, wurde mir das nicht erlaubt, sodass ich nach Hause nach Gruža zurückkehrte. Wenig später erhielt ich ein Telegramm über den Tod des einen Babys und am folgenden Tag teilte mir ein anderes Telegramm mit, dass auch mein zweiter Sohn gestorben sei. Um das Unglück noch größer zu machen, fühlte sich meine Frau sehr schlecht, da der Arzt bei der Geburt beide Planzenten im Bauch gelassen hatte. Und so drohte eine Sepsis mir auch sie zu rauben.

Radiša Pavlović: „Im Sarg lagen ein dunkles und ein blondes Baby.“ (FOTO: zVg.)

Nach Eingang der Telegramme ging ich in die Pathologie, um die Körper der Kinder abzuholen. Dort überzeugte mich der Pathologe, dass ich sie nicht abholen müsse, aber als ich insistierte, sagte er, dass noch keine Obduktion erfolgt sei und dass ich ins Standesamt gehen müsse, um die Geburt und den Tod der Kinder zu melden. Als ich nach einer halben Stunde zurückkehrte, brachten sie mich in einen Raum, in dem tote Babys in einem Kühlschrank lagen. In einer Lade lagen zwei, von denen mir gesagt wurde, sie seien meine Babys. Ich war jung und habe den Ärzten geglaubt, daher habe ich die Kinder ohne offizielle Identifikation mit nach Hause genommen. Unseren Sitten entsprechend haben wir den Sarg geöffnet und darin ein dunkelhaariges und ein blondes Baby gefunden. Vom Schmerz gebeugt haben wir sie begraben.
Mirjana und ich haben unser Leben weitergeführt und die traurige Episode hinter uns gelassen. Als jedoch die Baby-Affäre ans Licht kam, habe ich meiner Frau von meinem Zweifel erzählt, dass die Kinder, die ich beerdigt hatte, nicht unsere waren. Sie erzählte mir, dass die Babys, die sie gesehen hatte, beide blond waren, und ihre Mutter sagte, dass die bestatteten Kinder sicher keine Frühgeburten waren. Ich hatte mich gefragt, wie sie es geschafft hatten, in einer halben Stunde eine Obduktion durchzuführen, während ich im Standesamt war. All das war Grund genug, vom Klinikzentrum die medizinische Dokumentation zur Einsicht zu verlangen. Ganze drei Jahre vergingen, bis man mir endlich Einblick in die Papiere gewährte. Im Protokoll waren meine Kinder, obwohl es sich um Zwillinge handelte, in nur eine Rubrik eingetragen, anderen Ende stand – abgenommen. Niemand sagte mir, was das bedeutete. Ich habe die Papiere abfotografiert, denn ich hatte Angst, sie würden vernichtet werden, und dann bat ich um die Dokumente aus der Kinderabteilung, denn es stand da, dass die Kinder nach zweieinhalb Stunden dorthin verlegt wurden, obwohl meiner Frau gesagt worden war, es ginge ihnen gut.

Dort wurde mir gesagt, dass die Papiere durch einen Wassereinbruch vernichtet worden seien, aber als ich drohte, vor dem Krankenhaus einen Protest zu organisieren, wurden die Dokumente innerhalb von nur acht Minuten gefunden. In den offiziellen Papieren steht, dass die Kinder die Geburtenstation gleichzeitig um 16 Uhr verlassen hätten, aber in den Krankengeschichten steht, dass sie um 15:45 und 15:50 in der Kinderabteilung aufgenommen wurden, bevor sie noch die Geburtenstation verlassen hatten. Sie wurden von zwei Ärzten aufgenommen, obwohl in der Nachmittagsschicht immer nur ein diensthabender Arzt dort ist. Interessant war für mich auch, dass beide Kinder bei der Geburt je 44 cm groß waren, während in der Kinderstation einer 47 und der 42 cm maß.

In den Todesbestätigungen der Kinder gibt es keine Angaben über den Arzt, der den Tod festgestellt hat, und in den Auszügen aus dem Matrikelbuch der Geborenen steht, dass ein Kind im November und das andere im Januar 1988 geboren wurde. Aufgrund all dessen rief ich täglich einen der Gynäkologen an, der bei der Geburt dabei war, und fragte ihn, wo meine Kinder seien. Nachdem ich eines Tages eine telefonische Todesdrohung erhielt, habe ich Strafanzeige gegen die Person erstattet, die mir gedroht hatte, aber auch gegen den Gynäkologen in Kragujevac und eine unbekannte Person, die an der Entführung meiner Kinder beteiligt war. Ich forderte auch, dass offizielle Ermittlungen aufgenommen würden und dass ich die Erlaubnis bekäme, das Grab zu öffnen und eine DNA-Probe der Leichen zu nehmen, die mir übergeben wurden.
Ich werde nicht aufgeben, bis ich die Wahrheit über meine Kinder kenne. Zum Aufgeben der Nachforschungen über den Raub vieler anderer Babys werden mich auch die vielen Drohungen gegen mich und meine Familie nicht bewegen, und auch nicht die Versuche, Verkehrsunfälle zu inszenieren, aufgrund derer ich Polizeischutz erhalten habe. Ich weiß, dass die Täter abtrünnige Individuen des Staatssicherheitsdienstes und anderer Institutionen sind. Die Regierungskommission, die auf Initiative der Vereinigung eingerichtet wurde, der ich vorstehe, hat die Kapazitäten, um die Baby-Affäre abschließend aufzuklären, aber das bedeutet, dass wir auch eine Antwort auf die Frage haben wollen, ob es angebliche Verträge über den Export serbischer Babys gab oder Manipulationen stattfanden. Der Staat hat sich endlich auf den Standpunkt gestellt, dass er all das untersuchen wird und dass es in diesen Fällen keine Verjährung gibt. Die Bildung eines DNA-Registers wurde dem Nationalen Kriminaltechnikzentrum des Innenministeriums überantwortet, wo man Tests durchführen und eine Datenbank einrichten wird.

„Ich bin ein gestohlenes Baby“
Mladjan Radivojević (38), Landwirt
Mit meiner Frau Milica und unseren drei Kindern lebe ich im Dorf Donji Adrovac in der Nähe von Aleksinac. Ich bin in Kruševac geboren und war in der sechsten Klasse, als mir Kinder in der Schule sagten, dass ich adoptiert sei, was meine Mutter Verica Radivojević bestätigte. Sie war 14 Jahre lang erfolglos gegen Sterilität behandelt worden und hatte sich dann für ein Adoptionsverfahren angemeldet. Da ein enger Verwandter meines Vaters bzw. Adoptivvaters bei der Staatssicherheit arbeitete, mussten meine Eltern nicht lange warten. Beamte des Zentrums für Sozialarbeit Aleksinac brachten mich, eingehüllt in eine Krankenhausdecke, schon bald in ihr Haus und sagten, dass sie mich auch umtauschen könnten, wenn ich ihnen nicht gefiele. Ich war drei Monate alt und hatte aufgrund des ständigen Liegens überhaupt keine Haare am Kopf. Meinen Adoptiveltern sagten sie, dass meine leibliche Mutter sehr jung gewesen sei und dass sie sofort nach der Geburt aus dem Krankenhaus geflüchtet sei. Später war ich jahrelang wütend auf sie und fragte mich ständig, wie sie das tun konnte.

Mlađan und Milica Radivojević suchen nach der Wahrheit über seine Geburt und seine Adoption. (FOTO: zVg.)

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.