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EINE SCHANDE FÜR DEN STAAT

Der Handel mit Babys – ein Verbrechen ohne Strafe

Baby
FOTO: iStockphoto

EINE SCHANDE FÜR DEN STAAT. Die Entführung von Neugeborenen aus den Geburtskliniken und ihr Verkauf ist ein Verbrechen der schlimmsten Sorte. Die Tragödie ist, dass diese ehrlosen Geschäfte jahrzehntelang von Ärzten, Hebammen und staatlichen Beamten betrieben wurden. Eltern suchen ihre geraubten Kinder und irren in einem Labyrinth von Betrug, Heimlichkeit und Unterstellungen umher.

Fast alle Geschichten von Babys, die skrupellos aus zahlreichen Geburtskliniken in Serbien geraubt wurden, basieren auf demselben Schema. Die Frauen haben lebende Kinder zur Welt gebracht und sie schreien gehört, aber sie wurden ihnen wegen angeblicher gesundheitlicher Schwächen nicht zum Stillen gegeben. Ein, zwei Tage später wurde ihnen vom Arzt mitgeteilt, dass ihre Babys gestorben seien, aber ihre Körper haben sie nie gesehen und es wurde ihnen nicht erlaubt, ihre Sprösslinge zu bestatten. Sie wurden mit den Worten getröstet, sie seien noch jung und würden noch weitere Kinder bekommen, und sie wurden ohne die gesetzlich vorgeschriebenen Dokumente aus dem Krankenhaus entlassen. Jede dieser unglücklichen Mütter glaubte den Ärzten und dem Staat, aber in ihrem Herzen blieb eine offene Wunde und die Erinnerung an die leere Wiege nach einer unbedenklich verlaufenen Schwangerschaft.

Der Schlüssel zum Geheimnis der großen Zahl gestohlener Babys der siebziger und achtziger Jahre verbirgt sich in dem komplizierten Adoptionsverfahren, das in Jugoslawien galt. Vermutlich wählten viele wohlhabende Menschen ohne Nachkommen und auch Ausländer diesen entsetzlichen, aber einfacheren Weg – sie kauften ein Kind. Jahrzehntelang blühte das Geschäft mit den Babys in Bosnien-Herzegowina, vor allem in Tuzla und Umgebung, sowie in Mazedonien und vor allem in Serbien. Der Knoten begann sich 2001 zu entwirren, als Mütter in Serbien begannen, mit ihrem schrecklichen Verdacht an die Öffentlichkeit zu gehen. Denn Dokumente in Krankenhäusern und Matrikelbüchern wiesen auf unglaubliche Verbrechen hin, und die Hinweise auf die Baby-Affäre werden abgerundet von den Daten der Friedhöfe – nicht eines der angeblich verstorbenen Kinder wurde offiziell bestattet. In den Herzen der Eltern wuchs die Hoffnung, dass ihre Kinder leben, und dann auch die Entschlossenheit, den Kampf gegen die schwierigen Vorschriften und gegen die Einzelpersonen in den Institutionen des Systems aufzunehmen, die die Einzelnen schützten.

2001 gelangte die Baby-Affäre in Serbien an die Öffentlichkeit. Bis heute wurde sie nicht aufgeklärt.

In Serben bestehen heute fünf Elternvereinigungen, die nach entführten Kindern suchen. Leider sind sie untereinander vielfach zerstritten und führen Kriege in den sozialen Netzwerken und den Medien, obwohl sie doch dieselben Ziele verfolgen, und Eifersüchteleien schwächen die ursprüngliche Kraft dieser Bewegungen. Unter dem Druck des Europarats, an den sich die Eltern wandten, hat der Staat Serbien mehrfach versucht, Gesetze mit Bezug auf den Babydiebstahl zu verabschieden, aber die Eltern waren mit diesen Schritten nicht zufrieden. Genauso ist es auch jetzt, wo die Regierung eine Kommission zur Aufklärung der Fälle verschwundener Babys gegründet hat. Während einige Eltern die Initiative begrüßen und betonen, dass die aktuelle Regierung Serbiens das Problem nur geerbt habe und ehrlich an seiner Aufklärung arbeite, vertrauen andere weder dem Staat noch der neugebildeten Kommission, sondern führen eigene Untersuchungen durch und arbeiten an der Internationalisierung der Baby-Affäre.

Während der Arbeit an der Geschichte über die gestohlenen Babys sprach das Magazin KOSMO mit vielen der unglücklichen Eltern. Die Berichte der Menschen, die wir hier bringen, bestätigen, dass der Babyhandel ein gut eingespieltes Projekt des damaligen Systems war.

LÜGEN. In den Krankenhäusern wird behauptet, die Archive seien Wasserschäden zum Opfer gefallen.

„Ich glaube nicht an die Ehrlichkeit der Regierung“
Ana Pejić (65) aus Ruma, Sekretärin der Vereinigung der Eltern der verschwundenen Babys der Vojvodina
Ich glaube, dass die Täter nicht erwartet haben, dass wir nach so vielen Jahren vereinigt beginnen würden, nach den geraubten Kindern zu suchen, und dass ihr Verbrechen an die Öffentlichkeit kommen würde. Die meisten unserer Vereinigungen stehen in Opposition zur Regierung, auf die wir kontinuierlich Druck machen mit Bezug auf unsere gestohlenen Kinder. Leider ist unser Problem, dass der Staat die Baby-Affäre nicht aufklären will und dass jemand uns in ständige Konflikte stürzt. Der Staat hat seine Lieblingsvereinigungen, was die Eifersucht anderer weckt und dann beginnen wir zu streiten, statt uns alle gemeinsam um das grundsätzliche Problem zu kümmern.

Die Mütter der „verstorbenen“ Babys wurde in mit den Worten getröstet: „Du bist jung, du wirst weitere Kinder bekommen.“

Tatsache ist, dass fast allen Müttern, die nach Dokumenten gefragt haben, gesagt wurde, dass die Archive Wasserschäden hätten, was eine Lüge ist und der Beweis dafür, dass die Entführungen der Babys von einem einzigen Zentrum aus betrieben wurden. Selbst die Krankenhäuser, die ihre Dokumente im Dachgeschoss lagern, haben behauptet, dass Überflutungen alles zerstört hätten, denn bei ihnen seien Dachziegel gebrochen. Alle haben die Order erhalten, dieselbe Geschichte zu erzählen. Es ist klar, dass die Dokumente versteckt und zurückgehalten wurden, genau wie das auch heute der Fall ist. Aber auch aufgrund der wenigen Dokumente konnte man feststellen, wie dreist sie sind und wie sehr diese Papiere manipuliert wurden. In die Auszüge wurden falsche Geburtsdaten, falsche Geburtszeiten, falsche Gewichte der Babys eingetragen. Sie hatten nicht erwartet, dass jemand das eines Tages suchen und mit den wahren Daten vergleichen würde.

Ana Pejić: „Diese Art von Verbrechen muss als Menschenhandel behandelt werden.“ (FOTO: zVg.)

Um diese Falschheit nachzuweisen, haben wir alle Dokumente auch für die Kinder herausgesucht, die gesund und munter sind und bei ihren Eltern aufgewachsen sind. Hier gab es nirgendwo solche Manipulationen, sondern es gibt sogar Angaben, wie viele Einmalhandschuhe pro Kind gebraucht wurden. Die Dokumentation für diese Kinder ist absolut komplett, nichts wurde jemals vom Wasser zerstört. Bei unserer Vereinigung melden sich viele Insider: Hebammen, Taxifahrer, Nachbarn… Ihre Aussagen sind für uns sehr wertvoll. Es melden sich auch junge Leute, denen gesagt wurde, sie seien adoptiert, und die nach ihren leiblichen Eltern suchen. Dieser Weg ist leichter als die Suche der Mütter nach ihren geraubten Kindern.

BEWEIS. „In den offiziellen Papieren steht, dass mir ein männliches Kind gestorben sei, aber ich habe ein Mädchen geboren.“ (FOTO: zVg.)

Unsere Vereinigung betreibt die Internationalisierung des Problems über die Medien, internationale Institutionen und soziale Netzwerke. Der Europarat hat Serbien aufgefordert, ein DNA-Register zu eröffnen. Ich fürchte jedoch, dass auch das nichts bringen wird, denn dieser Staat täuscht alle. Sie haben den Diebstahl von Babys unter Veränderung des Familienstands in das Strafregister aufgenommen. Aber wir kämpfen darum, dass diese Straftat unter den Begriff des Menschenhandels aufgenommen wird. Wir werden alle, die uns, die Mütter der gestohlenen Kinder, als verrückte Alte bezeichnen, zwingen, ihre Arbeit zu machen. Die Welt wird uns dabei helfen. Mein Fall passierte am 24. August 1988 in Sremska Mitrovica, als ich mein zweites Kind bekommen hatte. Es war eine normale Schwangerschaft, während der ich regelmäßig zur Kontrolle ging und auf alle Kleinigkeiten achtgab. Ich hatte ein bisschen Angst und bin darum auf Anraten meines Arztes in eine Geburtsklinik gegangen, obwohl ich noch keine Wehen hatte. Drei Tage lag ich in einem unangenehmen Kreißsaal, belästigt von ständigen Untersuchungen, und am letzten Tag platzte die Fruchtblase. Obwohl mir der Arzt gesagt hatte, wir würden auf die natürlichen Wehen warten, wurde mir am Nachmittag mitgeteilt, dass man einen Kaiserschnitt machen würde, denn angeblich war der Herzschlag des Babys nur schwach zu hören, und ich glaubte ihm. Ich wachte im Schockraum auf, wo mir der Arzt sagte, dass ich ein Mädchen mit 2.350 Gramm bekommen hätte, das im Inkubator sei, aber es sei alles in Ordnung mit ihr. Das war ein Mittwoch, und man sagte mir, am Freitag dürfte ich mein Baby sehen, wenn ich mich erholt hätte.

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Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.