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GESCHICHTE

Ein Leben mit Behinderung

(FOTO: KOSMO)

Wenn junge Menschen durch eine Krankheit oder einen Unfall behindert werden, ändert sich ihr Leben von Grund auf. Die Anpassung an die neue Situation ist nicht nur für sie selbst, sondern auch für ihre Familien schwer. Neben dem Alltag zu Hause wird auch im Sozialleben für sie vieles anders.

Der Verein MOVEO aus Wien hat dieser Tage ein Projekt verwirklicht, das junge Behinderte aus Schweden, der Türkei und Österreich zusammengebracht hat. Eröffnet wurde die Veranstaltung von MOVEO mit einem Mini-Basketballturnier und weiter ging es mit sehr interessanten Workshops für die Teilnehmer und Gäste, in denen der Schwerpunkt auf der sozialen Integration und Beschäftigung von Personen mit besonderen Bedürfnissen lag. Über die Veranstaltung und die Herausforderungen, mit denen diese jungen Menschen konfrontiert sind, sprach KOSMO mit Mag. Mila Glisovic, einer Mitbegründerin von MOVEO, die selbst seit 2014 im Rollstuhl sitzt.

KOSMO: Wann und mit welchem Ziel wurde der Verein gegründet?

Mag. Mila Glisovic: „Der Verein MOVEO wurde im Mai 2017 gegründet und unser wichtigstes Ziel war es, dazu beizutragen, dass Menschen mit Behinderung auf lokaler und internationaler Ebene besser wahrgenommen und in gesellschaftliche Abläufe und Aktivitäten besser eingebunden werden. Wir wenden uns nicht nur an Personen mit besonderen Bedürfnissen, sondern auch an Menschen, die ihr Bewusstsein und das Bewusstsein anderer mit Bezug auf ein Leben mit Behinderung erweitern wollen. Sie erhalten von uns Inputs darüber, wie es ist, mit einer Behinderung zu leben, und sie teilen mit uns wirklich wertvolle Erfahrungen. Unser Verein hat nicht nur österreichische Mitglieder und wir führen viele Projekte unter dem Dach des „Erasmus“-Programms durch, das von der Europäischen Kommission finanziert wird.

(FOTO: KOSMO)

KOSMO: Ist es schwer, in das Erasmus-Programm aufgenommen zu werden?

Mag. Mila Glisovic: „Um in das Erasmus-Projekt aufgenommen zu werden, muss man schon kompetent sein in der Ausarbeitung von Projektanträgen und in der Durchführung von Projekten. Erasmus-Projekte richten sich an junge Menschen, und wir, die wir schon Erfahrungen haben, unterrichten sie und vermitteln ihnen das Schreiben solcher Anträge und die Arbeit an diesen Projekten. Die Programme, an denen wir teilnehmen, bieten die Möglichkeit der Vernetzung auf internationaler Ebene. Indem wir Konsortien von drei oder mehr Organisationen bilden, werden junge Menschen in grenzüberschreitender Kooperation in verschiedene gemeinsame Aktivitäten eingebunden und zu dieser Art der Zusammenarbeit befähigt. Die österreichische Landesagentur, die Erasmus-Projekte bewilligt und koordiniert, hat die Inklusion von Personen mit besonderen Bedürfnissen in verschiedene Projekte zu einer Priorität erklärt. Es sind Vereine, die sich hier einbringen, aber ob auch junge Menschen mit Behinderungen dabei sind, ist nicht entscheidend. Es ist jedoch empfehlenswert, dass auch sie dort ihren Platz erhalten und mit allen ihren Problemen sichtbar sind.“

(FOTO: KOSMO)

KOSMO: Was ist besonders wichtig für junge Behinderte?

Mag. Mila Glisovic: „Besonders wichtig sind ihnen Beschäftigungen und ihre berufliche Entwicklung unabhängig von der Behinderung, sowie auch das Sozialleben, d.h. die Teilhabe an sozialen und sonstigen Aktivitäten und die Überwindung der Unterschiede. Wir bemühen uns, zu unseren Workshops Menschen einzuladen, die das berufliche und private Leben junger Menschen mit Behinderung aus verschiedenen Perspektiven repräsentieren, um sichtbar zu machen, wie unterschiedlich die Problemlösungen in verschiedenen Ländern, in diesem Fall in Schweden, der Türkei und Österreich, sind und auf welche unterschiedlichen Weisen sie junge Behinderte in den Arbeitsprozess integrieren.“

KOSMO: Bestehen auch zwischen den EU-Mitgliedsländern Unterschiede?

Mag. Mila Glisovic: „Innerhalb der EU sehen wir ein sehr vielfältiges Bild, was die Beschäftigung von Behinderten betrifft. Obwohl es neue übergeordnete Gesetze gibt, an die sich natürlich alle Mitgliedsstaaten halten, beginnen die Probleme bei ihrer Umsetzung in die Praxis. Länder, die offen sind für die Inklusion dieser Personen in die Ausbildungsprozesse und ihre Integration in den regulären Schulbetrieb, haben auch mit ihrer Beschäftigung kein Problem. In diesen Gesellschaften gilt eine Behinderung nicht als Hindernis. Anders ist es in den Ländern, wo sie aufgrund von physischen, psychologischen und mentalen Barrieren vor Problemen stehen.“

KOSMO: Wie sieht es in Österreich aus?

Mag. Mila Glisovic: „In Österreich sieht es ziemlich gut aus, denn als Sozialstaat ist Österreich sehr für die Integration junger Behinderter in das soziale Leben. Österreich hat auch die Mittel für die Integration junger Menschen in verschiedene Bereiche, darum liegt der Fokus unserer Aktivitäten hier – im Gegensatz zu anderen Ländern – nicht auf der Beschäftigung, sondern auf der sozialen Integration. In Großbritannien hingegen ist unsere Priorität die Teilhabe am Arbeitsmarkt und die Verselbständigung der Menschen im beruflichen Sinne.“

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KOSMO: Ist die Beschäftigung eine logische Folge der erfolgreichen sozialen Integration?

Mag. Mila Glisovic: „Ja! Wenn das soziale Bewusstsein stark genug ist, wird die Beschäftigung junger Behinderter nicht nur normal, sondern auch notwendig, denn erst dann werden alle Talente und alle Vorteile offenbar, die diese Menschen in ihre Arbeit bei potentiellen Unternehmen einbringen können. Ich habe jetzt bewusst die Unternehmen genannt, denn, wenn von der Beschäftigung von uns Behinderten die Rede ist, dann denkt man in den meisten EU-Ländern, auch in unserer Region, zuerst an eine Beschäftigung in staatlichen Institutionen. Aber junge Behinderte, das stelle ich besonders bei unseren Partnern aus Schweden fest, wollen nicht ausgehalten werden und sind der Meinung, dass die Arbeit für staatliche Institutionen nicht gewinnorientiert ist, sondern dass ihnen hier etwas geschenkt wird. Sie wollen an den regulären Arbeitsprozessen teilhaben und keine eigenen Arbeitsplätze zugewiesen bekommen.“

KOSMO: Wie wichtig ist jungen Behinderten ihre Selbständigkeit?

 Mag. Mila Glisovic: „Selbständigkeit ist ein ganz wichtiges Thema, nicht nur für Menschen mit Behinderung, sondern auch für das ganze Sozialsystem. In Schweden sieht man sehr gut, wie eine erfolgreiche Integration junger Menschen in den sozialen Alltag aussehen kann. Als ich mit unseren Gästen über die Organisation ihres Besuchs in Wien geredet habe, bin ich davon ausgegangen, dass jeder von ihnen mit einem Assistenten anreist. Aber die Schweden haben mir erklärt, dass sie das nicht brauchen, denn durch ihr Rehabilitationsprogramm sind sie in der Lage, selbständig zu leben. In der Türkei ist das anders, ganz ähnlich wie in unserer Region. Dort ist es so, dass Behinderte nur teilweise selbständig werden. Der Schwerpunkt der Rehabilitation liegt da auf den Familienmitgliedern, die die ganze Last tragen. Dort ist die Meinung verwurzelt, dass ein Behinderter nicht selbständig leben kann, was ich für falsch halte. Die jungen Schweden, die im Durchschnitt ca. zwanzig Jahre alt waren, zeigen, dass sie ohne Probleme auch ins Ausland reisen und an vielen Aktivitäten teilnehmen können.“

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KOSMO: Wie funktioniert Ihr Leben als Mutter im Rollstuhl?

Mag. Mila Glisovic: „Ich sitze seit einem Verkehrsunfall im Jahr 2014 im Rollstuhl. Ich hatte Glück im Unglück, dass ich meine Erstbehandlung und meine Rehabilitation in Österreich erhalten habe und dass ich hier weiterarbeiten konnte. Die Projekte, an denen ich im Rahmen des Vereins arbeite, bedeuten mir viel, denn ich weiß, dass sie Menschen mit Behinderung, aber auch der weiteren Gesellschaft helfen. Aber meine Rolle als Mutter ist mir doch am wichtigsten. Meine Tochter habe ich 2018 bekommen und meinen Sohn 2021, und ich kann Ihnen sagen, dass die schwerste und anspruchsvollste aller Tätigkeiten die Mutterrolle ist. Dass ich eine Mutter im Rollstuhl bin, wäre vielleicht ein unüberbrückbares Hindernis, wenn ich meinen Mann nicht hätte, der in gewissen Situationen Mama und Papa ist. Aber alles in allem waren für mich die Jahre zwischen 2014 und 2018 schwerer als die späteren. Die waren körperlich schwerer, aber psychisch weniger anspruchsvoll.“

KOSMO: Fragen Vasilija und Luka, wenn sie die Mütter ihrer Spielkameraden kennenlernen, warum ihre Mama im Rollstuhl sitzt?

Mag. Mila Glisovic: „Luka ist noch zu klein für solche Fragen, aber ich habe auch nicht bemerkt, dass Vasilija mich mit anderen Müttern vergleicht und dass es sie stört, dass ich im Rollstuhl sitze. Im Gegenteil, sie sitzt gerne bei mir. Jetzt muss ich sie beide auf dem Schoß halten, wenn wir irgendwo hingehen, was aufgrund ihres Gewichts schon langsam anstrengend wird. Auf der anderen Seite scheint mir, dass sie viel früher als andere Kinder Empathie entwickelt haben. Für sie ist es ganz natürlich, mir zu helfen, mir Sachen zu reichen, die ich selber nicht nehmen kann, für mich etwas was zu tun, was andere Kinder erst später lernen würden. Für sie ist das normal und muss nicht besonders erklärt werden.“