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KOMMENTAR

„Ich erinnere mich nicht an die Bomben, aber wir alle sehen ihre Folgen“

(FOTOS: zVg.)

Ich war viereinhalb Jahre alt, als die Luftangriffe begannen, also kann ich mich wahrscheinlich nicht mehr daran erinnern, wie es aussieht, wenn einem Bomben um die Ohren fliegen. Irgendwo, in irgendeinem Teil des Gehirns blieben das Sirenengeheul für Luftgefahr, der Abzug von Panzern aus dem Kosovo, die Ankunft von Flüchtlingen eingebrannt. Dann folgte ein Loch … totale Finsternis und Leere bis zu dem Moment, an welchem malt alt genug ist, selbst darüber nachzudenken, was die Luftangriffe – außer den Verlust geliebter Menschen – wirklich gebracht haben.

Jeden 24. März erinnern wir uns alle, die wir in Serbien geboren sind, irgendwie kollektiv daran, was der „Engel der Barmherzigkeit“ (Milosrdni anđeo) gebracht hat, was wir wann verloren und was wir gewonnen haben. Ich habe Glück, dass ich mich nicht an allzu viel erinnern kann. Dass ich auf dem Land geboren wurde und die Dörfer damals nicht sonderlich an Nato-Flugzeugen interessiert waren, hat vielleicht dazu beigetragen. Dennoch befinden sie sich in der Nähe des Kopaonik, hinter dem, wie unsere Vorfahren gerne sagen, unmittelbar der Kosovo liegt. Von Erwachsenen konnten wir sehr wenig über den Krieg hören.

Wahrscheinlich hatten sie schon genug vom Krieg, der ein ganzes Jahrzehnt andauerte. Einige neue Menschen traten in unser Leben, die alle mitleidig ansahen, und wir Kinder verstand nicht warum. Wir haben das Wort Flüchtling in unseren damals knappen Wortschatz aufgenommen, obwohl wir lange Zeit nicht wussten, was es wirklich bedeutet. Gelegentlich, bei den berühmten Tagesnachrichten um halb acht, konnten wir einige neue Aufnahmen sehen, einige neue Wörter wie Spannungen, Unruhe, Souveränität oder Unabhängigkeit hören. Die alten Leute schauten wie hypnotisiert auf die Bildschirme, und uns Kindern schien es, als hätten wir das Schlimmste überstanden, und das war kaum der Fall.

„Im Krieg gibt der Staat Kanonen, die reichen Ochsen und die armen Söhne. Wenn der Krieg vorbei ist, nimmt der Staat die Kanonen, bereichert seine Ochsen, und die Armen zählen die Gräber“

Es gab einen Moment, in dem ich meine Eltern immer öfter flüstern hörte, dass jemand krank sei, aber wir sprachen nie darüber. Es ist typisch balkanisch, Krankheiten besser nicht zu erwähnen. Langsam und unmerklich haben drei neue Begriffe Einzug in den Alltag von uns jungen Menschen gehalten: abgereichertes Uran, Krebs und Tumor. Langsam sind Erkrankungen des Herzens oder des Nervensystems, an denen bis dahin viele Menschen starben, in den Hintergrund gerückt, so dass der Moment kommt, in dem man sich nicht mehr fragen muss, an welchen Krankheiten der Spitalspatient leidet oder woran er gestorben ist.

Obwohl das ursprüngliche Ziel des „Engels der Barmherzigkeit“ der NATO darin bestand, die Situation im Kosovo zu beruhigen, endete es irgendwie mit der Bombardierung ganz Serbiens und Teilen Montenegros, wichtiger Infrastrukturen wie Brücken über Flüsse, von denen Zivilisten Wasser zum Leben holen und ihre Ernten bewässern.

Die Angriffe auf Krankenhäuser, Fernsehstationen, zivile Objekte und die Ermordung eines auf einem Töpfchen sitzenden Kindes. Für fast alle diese Aktionen wurden mit abgereichertem Uran angereicherte Raketen eingesetzt. Wissenschaftliche Daten besagen, dass beim Auftreffen eines Projektils mit 372 Gramm abgereichertem Uran auf die Panzerung eines Militärfahrzeugs oder eines beliebigen Metalls eine Temperatur zwischen 3.000 und 5.000 Grad freigesetzt wird, wodurch Uranstaub entsteht, der sich an Schwermetalle (Quecksilber, Kupfer und Blei) bindet – extrem giftig für lebende Organismen. Jeder, der diese Dinge einatmet, stößt etwa 70% aus, aber der Rest setzt sich in den Weichteilen und Knochen ab, und nach fünf bis zehn Jahren, wenn die Immunität nachlässt, können sich krebserregende Krankheiten entwickeln.

In Serbien dauerte es etwa zehn Jahre, bis sich die Krankheit ausbreitete. Nicht nur wurden zuerst Militärreservisten krank, Menschen, die in der Nähe von Kriegsgebieten lebten, sondern es kam auch die Situation, in der es keine Regeln mehr dafür gab, wer krank werden würde. Es ist nicht ungewöhnlich, dass junge Menschen, Kinder, die Jahre nach dem Krieg geboren wurden an irgendeiner Form von Krebs erkranken. Lunge, Dickdarm, Brust und Gebärmutter sind die Organe, die am häufigsten betroffen sind…

Abgesehen davon, dass Serbien nach Schätzungen der Internationalen Agentur für Krebsforschung aus dem Jahr 2019 in der Gruppe der Länder mit mittlerem Krebsrisiko rangiert, liegt es auf Platz 12 von 40 Ländern in Europa. Gleichzeitig ist es ein Land mit einer hohen Krebssterblichkeit. Das ist jedoch nicht alles: auch ein anderes Problem erscheint immer augenscheinlicher: die Unfruchtbarkeit. Junge, gesunde Menschen, Ehepaare haben zunehmend ein Problem mit dem Kinderkriegen.

Ärzte und Experten sehen die Ursache oft in der Verwendung von abgereichertem Uran während der Luftangriffe. All diese Phänomene, mit denen die serbische Bevölkerung nach dem Krieg zu kämpfen hat, wurden jedoch noch nicht offiziell zu den Folgen des NATO-Bombenangriffs erklärt. Alles bleibt auf der Ebene von Gerichtsverfahren oder traurigen Schicksalen von Krebskranken.

Es wird angenommen, dass etwa 2.500 Zivilisten während des NATO-Bombenangriffs auf Serbien getötet wurden. 20 Personen wurden infolge von Streubomben und nach dem Bombenanschlag zurückgelassenen Geräten verletzt bzw. getötet und jedes Jahr werden etwa 30.000 neue Krebserkrankungen registriert. Vier Jahre später wurden die wenigen im Kosovo verbliebenen Serben ausgewiesen, und weitere vier Jahre würden ausreichen, um eine selbsternannte Republik zu schaffen – kurz gesagt – ein Gleichgewicht der blutigen NATO-Intervention. So sehr die ganze Aktion legal war, warum hat die ganze Nation gelitten, um den Willen eines Mannes zu verhindern? Wird jemals jemand für die Verletzung des Völkerrechts zur Rechenschaft gezogen werden? Warum wurde abgereichertes Uran verwendet? Und schließlich: Was ist das für ein Engel, der Tod sät, und was ist gnädig, wenn Kinder getötet werden? Es gibt noch offene Fragen, auf die wir keine Antworten haben.

Ein altes serbische Sprichwort besagt: „Im Krieg gibt der Staat Kanonen, die reichen Ochsen und die armen Söhne. Wenn der Krieg vorbei ist, nimmt der Staat die Kanonen, bereichert seine Ochsen, und die Armen zählen die Gräber“, und Serbien zählt offensichtlich 24 Jahre später immer noch seine eigenen, und wer weiß, wie viele mehr.