Start Aktuelle Ausgabe
REPORTAGE

„Ich kämpfe für die Rechte meines Sohnes“

Symbolbild. (FOTO: iStockphoto)

UNRECHT. Obwohl wir glauben, dass das Gesetz in Österreich Frauen und Kinder absolut schützt, gibt es um uns herum immer Fälle schwerer Gewalt. Leider geschieht dies alles im Kreise der Familie.

Sandra (der wahre Name ist der Redaktion bekannt) ist etwa vierzig Jahre alt und Mutter eines achtjährigen Sohnes. Vor vier Jahren kam sie aus dem heimatlichen B-H nach Oberösterreich, wo ihr Mann, mit dem sie seit vollen zehn Jahren verheiratet ist, seit 2013 lebte und arbeitete. Während der Vorbereitungen zur Übersiedlung besuchte sie Deutschkurse und plante in Österreich die Nostrifizierung ihres Universitätsdiploms, um hier Arbeit zu finden und das Leben der Familie mit ihrem Verdienst zu erleichtern. Neben den notwendigen Dingen für sich und ihr Kind packte sie auch viele Wünsche, Hoffnungen und Pläne in ihren Koffer. Sie freute sich, dass ihre kleine Familie endlich wieder zusammen sein würde, und glaubte, dass jetzt ihre Wünsche, über die sie mit ihrem Mann so oft gesprochen hatte, in Erfüllung gehen würden.

Sandra wusste, dass ihr Mann sie und ihren Sohn in einer großen Wohnung erwartete, für die ihr Vater ihnen die Kaution geliehen hatte, und der Visumsantrag für die Familienzusammenführung war bereits bei den Behörden eingereicht. Leider kam alles ganz anders und die junge Frau kämpft heute in ihrem neuen Land hart, um für sich und ihr Kind eine Existenz aufzubauen und ihre Rechte durchzusetzen. Dies ist ihr Bericht.

Eine Nacht, die man nicht vergisst
Es war gegen zehn Uhr abends im Frühjahr 2015, als mein Sohn und ich aus Bosnien an der Adresse ankamen, die mein Mann mir gegeben hatte und an der sich unser neues Zuhause befinden sollte. Ich klingelte und konnte es kaum erwarten, hineinzukommen, denn wir waren beide sehr müde. Niemand antwortete, daher klingelte ich noch einmal. Dann rief ich meinen Mann mit dem Telefon an. Er meldete sich und sagte, er käme in einer halben Stunde. Obwohl ich enttäuscht war, dass er uns nicht erwartete, sagte ich nichts, sondern beruhigte mein ängstliches Kind, das noch nicht einmal fünf Jahre alt war. Das Warten zog sich hin und ich rief meinen Mann noch einmal an. Jetzt war das Telefon, das er verwendete, ausgeschaltet. So stand ich da mit dem Kind im Hauseingang. Es war kalt in dieser Nacht, – 9°C, und er war nicht da. Als mir klar wurde, dass das alles kein Scherz mehr war, rief ich meinen Vater an, der Pensionist ist, und er kam sofort. Er brachte das Kind in ein nahegelegenes Motel und ich blieb mit den Sachen vor dem Haus und wartete, dass mein Mann endlich auftauchte und mich in unsere Wohnung ließ. Ich rief ihn die ganze Nacht über immer wieder an, aber er meldete sich erst gegen 6 Uhr morgens.

DAS FRAUENHAUS war meine Zuflucht vor der Gewalt meines Mannes.

Er schrie mich an, beschimpfte mich und sagte, dass ich hier nichts zu suchen hätte und dass das Kind und ich niemals in seine Wohnung kommen würden. Ich war außer mir vor Schock und verstand nicht, was passierte. Ich versuchte, ihn zu Verstand zu bringen, fragte, was ich alleine in dem fremden Land mit unserem kleinen Sohn tun solle, und er sagte, ich solle in die Donau springen, und drohte mir, mich umzubringen. Ehrlich gesagt, hatte er schon früher solche Ausfälle, die mit gewalttätigem Verhalten einhergingen, aber er entschuldigte sich immer damit, dass das der Einfluss der Kaffeehäuser und schlechter Gesellschaft sei und dass er sich ändern würde, wenn wir gemeinsam in Österreich lebten. Jetzt jedoch betonte er, dass ich nur das machen dürfe, was er mir befiehlt, und dass ich nicht wie die anderen Frauen werden dürfe, die vom Gesetz geschützt seien wie weiße Bären. Er wiederholte oft, dass man eine Frau mit Arbeit und Geburten unter Kontrolle halten müsse, und wenn das nicht gelänge, müsse man sie umbringen. Damals dachte ich, er meinte das als Scherz, und wollte nicht glauben, dass ich mit einem Gewalttäter verheiratet war.

Umzug ins Frauenhaus
Am Morgen brachte mir mein Vater das Kind und dann rief ich mit seiner Hilfe die Polizei, die mich in ein Gewaltschutzzentrum brachte. Dort erzählte ich mithilfe einer Mitarbeiterin, die aus unserer Region stammte, was mir passiert war. Aus Besorgnis, dass mich mein Mann körperlich angreifen könnte, wenn ich die Wohnung beträte, wurde mir geraten, in ein Frauenhaus zu gehen. Ich fühlte mich, als sollte ich ins Gefängnis gehen. Das Kind weinte, aber ich beruhigte es in dem Wissen, dass dies in dem Moment der einzige Ort war, wo wir beide geschützt wären. In den ersten Wochen war ich ganz verloren und konnte nicht begreifen, was da warum passiert war. Wegen meines Sohnes musste ich eine Lösung finden. Die zuständigen Institutionen übernahmen meinen Fall, kontaktierten meinen Mann, der behauptete, ich würde lügen und ich sei auf eigene Initiative ohne Absprache mit ihm nach Österreich gekommen, obwohl er persönlich den Antrag auf ein Visum für uns bzw. für eine Familienzusammenführung abgeben hatte, wofür es auch Nachweise gibt.

Er verhielt sich unberechenbar und nach einem Jahr verbot ihm die Polizei, sich mir zu nähern. Er jedoch verletzte dieses Verbot, sobald ich das Haus verließ, und zahlte Strafen deswegen, aber niemand konnte irgendetwas dagegen tun. Einmal war ich in der Kirche, und als ich mich umdrehte, sah ich ihn hinter mir. In panischer Angst rannte ich hinaus, aber er fuhr mir im Auto nach, rief unseren Sohn und beschimpfte mich. Als ich nicht mehr wusste, was ich tun sollte, rief ich die Polizei, die uns wieder in Sicherheit brachte. Im Frauenhaus blieb ich knapp ein Jahr. In dieser Zeit zeigte mich mein Mann an und behauptete, ich verböte ihm, das Kind zu sehen, obwohl er gar nicht versucht hatte, mit ihm in Kontakt zu treten. Das Jugendamt schaltete sich ein, das Kind traf sich mit dem Vater. Vor Gericht wurde später gesagt, dass dieser ihm belastende Fragen gestellt hätte, und es wurde entschieden, dass sie sich unter Aufsicht in einem Café treffen sollten. Sein nächster Schritt brachte mich fast um den Verstand, denn er stellte einen Antrag, das Sorgerecht für unseren Sohn zu bekommen, und ob Sie es glauben oder nicht, dieses Verfahren dauert noch immer an.

Sandra: „Wegen der Unterhaltsschulden arbeitet mein Mann nicht Vollzeit, um eine Pfändung zu vermeiden.“

Ein zusätzliches Problem in dieser ganzen Misere bereitete mein Mann mir in B-H, wo er den zuständigen Behörden das Verschwinden des Kindes meldete und mich der Entführung beschuldigte. Aufgrund seiner falschen Anzeige kamen die Beamten des Zentrums für Sozialarbeit mit der Polizei zur Wohnung meiner Mutter, um meinen Sohn zu suchen und angeblich einen Kontakt zwischen dem Kind und seinem Vater herzustellen. Er hatte bereits 2015 in B-H in einer Tageszeitung eine Anzeige aufgegeben, dass er mich suche, obwohl er wusste, dass ich zu der Zeit im Frauenhaus in Oberösterreich war, und obwohl er das Kind regelmäßig sah.

Inzwischen gingen mein Sohn und ich zum Magistrat und anderen Institutionen, wo man uns fotografierte und unsere Fingerabdrücke nahm, um ein Visum für besonders schutzbedürftige Personen zu beantragen. Wir mir mitgeteilt wurde, hatten sie im November 2015 meinen Mann angerufen, aber er hatte es abgelehnt, irgendetwas zu unterzeichnen, und hatte sich benommen, als gäbe es uns gar nicht. Er verhöhnte uns alle, aber vor allem unseren Sohn. Leider erhielten wir, obwohl mir gesagt worden war, dass unser Antrag innerhalb von sechs Monaten entschieden werden sollte, zwischen Juni 2015 und Januar 2018 kein Visum und dann kam eine Ablehnung. Ich legte mithilfe einer humanitären Organisation dagegen Widerspruch ein und bisher ist nichts passiert. Mein Sohn und ich haben noch immer kein Aufenthaltsvisum.

Schritte ins Ungewisse
Den Moment, als wir das Frauenhaus verlassen sollten und als mir gesagt wurde, dass mir das Jugendamt das Kind wegnehmen könnte, wenn ich ihm keine angemessene Unterkunft und Lebensbedingungen bieten könnte, werde ich nie vergessen. Die Angst lähmte mich, aber meine Familie kam mir wieder zu Hilfe. Eine kleine Wohnung wurde für uns gefunden, alles zahlte mein Vater, und wir konnten einen Wohnsitz anmelden.

Mein Mann, mit dem ich noch immer verheiratet war, reichte in B-H eine Scheidungsklage ein und forderte, dass ich dorthin kommen sollte, um die Papiere zu unterschreiben. Allerdings stellte ich mithilfe eines Anwalts, den ich kostenlos bekommen hatte, 2016 in Österreich einen Antrag auf Scheidung und das Gericht nahm ihn an. Leider wurde das Verfahren aufgrund einer Bescheinigung eingestellt, die mein Mann aus B-H brachte, dass dort bereits ein Scheidungsverfahren eingeleitet war. Ich möchte auf jeden Fall geschieden werden und diese Farce von einer Ehe endlich beenden, aber ausschließlich in Österreich. Ich bin der Meinung, dass er die Leute hier nicht so manipulieren, bestechen und belügen kann. Wenn unser Fall in Österreich entschieden würde, wäre ich sicher, dass die Rechte meines Kindes, die der Vater bereits seit Jahren verletzt, geschützt würden.

Mir tut es sehr leid, dass das Jugendamt seine Erklärungen nicht überprüft und ihn nicht unter Druck setzt, um die Interessen des Kindes zu schützen. Alles, was er beantragt, wird sofort akzeptiert, und wenn er das dann nicht einmal einhält, gibt es für ihn keine Sanktionen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie sich unseren Fall nur vom Leibe halten wollen und es ihnen egal ist, dass mein Kind und ich uns in einer ausweglosen Situation befinden. Wir haben nämlich noch ein großes Problem, das uns mein Mann aufgehalst hat, denn es sind schon mehr als drei Jahre vergangen, ohne dass das Kind einen gültigen Reisepass hatte. Dem Gesetz nach kann er in der Botschaft von B-H ohne die Unterschrift beider Eltern keinen neuen Pass bekommen und der Vater weigert sich die ganze Zeit, eine Zustimmungserklärung zu unterschreiben, dass unser Sohn einen neuen Pass erhalten darf. Ohne dieses Dokument können wir auch kein Visum bekommen. Wenn wir umziehen wollten, kann mein Kind keinen neuen Wohnsitz anmelden. Ab dem kommenden Schuljahr werden für die Schüler kürzere Reisen geplant, und mein Sohn wird wegen des Passes nicht mit seinen Freunden mitfahren können. Wenn meinen Mann von den Behörden gefragt wird, warum er das Kind auf diese Weise bestraft, antwortet er, dass er fürchtet, ich könnte mit dem Kind flüchten.

Ich bin der Meinung, dass mein Mann nur will, dass wir beide nach B-H zurückkehren und dass wir von dort nie wieder weggehen können. Das hat er mir auch mehrfach gesagt, und um das durchzusetzen, schreckt er vor nichts zurück. Kürzlich hat mich seine neue Lebensgefährtin bei der Polizei angezeigt, weil ich illegal in Österreich leben würde, und ich musste 3.000 Euro Strafe zahlen. Nach dem Rat der Caritas, die in meinem Namen einen Antrag gestellt hat, zahle ich jetzt 20 Euro monatlich und hoffe, dass die Strafe ausgesetzt wird. Das ist für mich sehr viel Geld und das Warten auf ein Visum verzögert sich weiter.

MÜDE. Seit Jahren drehe ich mich wegen des Widerstands meines Mannes im Kreis, dabei würden ein paar Unterschriften von ihm alles lösen. (FOTO: iStockphoto)

Das Gericht und das Jugendamt haben auch versucht, meinen Mann dazu zu bewegen, seine finanziellen Verpflichtungen uns gegenüber zu erfüllen. Nach einem Urteil muss er für das Kind monatlich 230 Euro und für mich 550 Euro Unterhalt zahlen. Bis August 2018 schuldete er mir für meinen Unterhalt 21.000 Euro und für das Kind 3.500 Euro. Bis heute hat sich nichts geändert, außer dass die Schulden gestiegen sind. Aufgrund der nichtgezahlten Alimente wurde er zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, bedingt auf drei Jahre. Aber obwohl er noch immer nicht zahlt, hat das Jugendamt das dem Gericht nicht gemeldet. Aufgrund der angehäuften Schulden will er nicht mehr Vollzeit arbeiten, um eine Pfändung zu vermeiden. Als er im letzten Jahr sein Visum verlängern musste, arbeitete er drei Monate und kündigte gleich darauf. Er versucht, eine Firma zu finden, die ihn nur geringfügig anmeldet und ihm den Rest schwarz auszahlt, aber das gelingt ihm nicht. Mein Sohn und ich haben schon damals, als wir noch im Frauenhaus waren, über ihn eine Krankenversicherung erhalten, aber wenn er nicht arbeitet, sind wir nicht versichert, und ich habe Angst, wir könnten krank werden.

Sein Widerstand ist die größte Hürde
In all dieser Zeit konnte ich nicht anfangen zu arbeiten, obwohl ich mich mithilfe einer Frauenschutzorganisation bei Hunderten Firmen beworben habe. Meine Mittelschulausbildung und auch mein Studium gehören zu den Mangelberufen und ich habe Einladungen erhalten, zu arbeiten, aber alles ist ins Wasser gefallen, als ich den potentiellen Arbeitgebern mitgeteilt habe, dass ich hier noch immer keinen geregelten Status habe. Seit 2015 drehen wir uns wegen des Widerstands meines Mannes im Kreis. Nur ein paar Unterschriften von ihm würden alle meine Probleme lösen. Wenn wir das Visumsverfahren für mich und mein Kind endlich abschließen könnten, das er eingeleitet und dann blockiert hat, würde ich sofort Arbeit finden, wäre unabhängig und frei, ein neues Leben zu beginnen. Kürzlich habe ich ihn gebeten, sich nicht mehr querzustellen, habe ihn angefleht, für das Kind das Passformular und für uns den Visumsantrag zu unterschreiben und uns zu ermöglichen, endlich normal zu leben. Ich würde ihn von allen finanziellen Verpflichtungen uns gegenüber entbinden, ich würde nichts mehr von ihm fordern und auch seinen Kontakt zu dem Kind niemals beschränken. Ich bin bereit, alles zu unterschreiben, was er will, nur damit mein Kind und ich endlich Ruhe und Sicherheit erhalten und damit ich für uns sorgen kann.

Mein Sohn hat sich trotz des Stresses, den wir durchmachen, sehr gut in das österreichische Bildungssystem integriert. Nach einem Jahr Kindergarten und einer Vorschulklasse geht er jetzt in die zweite Klasse der Volksschule. In all der Zeit habe ich Deutschkurse gemacht, die das Frauenhaus und andere Sozialeinrichtungen finanziert haben. Das hat mir geholfen, mit der Lehrerin zu kommunizieren und meinem Sohn beim Lernen zu helfen, und ich brauche nicht mehr für alles einen Übersetzer, wenn es um meinen Kampf um Gerechtigkeit geht. Mir geht es sehr schlecht, denn ich lebe mit meinem Sohn von heute auf morgen. Insbesondere schmerzt es mich, dass ich meinen Eltern fast die Existenzgrundlage genommen habe. Mein Vater ist in Österreich, meine Mutter in B-H, und sie kann nicht zu ihm kommen, weil er mein Kind und mich unterhält. Aber ich hoffe dennoch, dass das Jugendamt und die anderen Institutionen am Ende stärker sein werden als der Widerstand eines inhumanen Vaters.

Vera Marjnaovic
Meine Berufung zur Journalistin entdeckte ich bereits als Sechzehnjährige während meiner Gymnasialzeit in Montenegro. Diesem Berufszweig bin ich seither treu geblieben. Nach meiner Ankunft in Wien widmete ich mich der Arbeit mit Mitgliedern der BKS-Gemeinschaft, wodurch ich tiefgreifende Einblicke in die Lebensgeschichten und sowohl die Triumphe als auch die Herausforderungen verschiedener Generationen gewann. Diese vielfältige Palette an Persönlichkeiten prägte meinen journalistischen Weg und festigte mein Engagement für soziale Themen.