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„In der politischen Beitrittsfähigkeit ist Serbien das Schlusslicht“

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(FOTO: Büro Lukas Mandl))

Lukas Mandl (ÖVP) ist Abgeordneter des EU-Parlaments und war bei den Kommunalwahlen im Kosovo Leiter der Wahlbeobachtungsmission. Als erster Österreicher in solch einer Position im Kosovo sprachen wir mit ihm über den Kosovo-Bericht, den jüngsten Staat Europas, aber auch über die Situation am Westbalkan generell und dessen EU-Perspektive.

KOSMO: Sie sind im EU-Parlament Kosovo-Beauftragter der Fraktion der Europäischen Volkspartei. Können Sie unseren Leser*innen erklären, was man unter dem Begriff „Kosovo-Bericht“ versteht?

Die Berichte sind dazu da, den Willen der Bürgerinnen und Bürger der EU auszudrücken. Diese werden durch das Parlament vertreten, welches das Sprachrohr ist. Außerdem werden Empfehlungen für die Mitgliedsstaaten und die Europäische Kommission abgegeben. Zu den ganz aktuellen Berichten gehört hier jener zum Kosovo, wo es um die weiteren Schritte geht hinsichtlich der EU-Integration und was es dazu noch benötigt.

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„Serbien könnte sprichwörtlich wie das Deutschland des Westbalkans sein, also wie ein Wirtschaftsmotor“, betonte Mandl hinsichtlich eines EU-Beitritts des Westbalkans.

KOSMO: Können Sie anhand des Kosovo-Berichts sagen, in welchen Bereichen Fortschritte erzielt wurden und in welchen nicht?

Ja, das wird im Bericht klar aufgelistet. Ganz grundsätzlich gilt, dass das EU-Parlament immer mehr Fortschritte in den Westbalkan-Berichten erzielt als die anderen EU-Institutionen. Die Berichte zu Serbien und Kosovo bringen klar zum Ausdruck, dass die gegenseitige Anerkennung der beiden Staaten ansteht.

KOSMO: Warum ist die gegenseitige Anerkennung Serbiens und des Kosovo für die EU so wichtig?

Die Anerkennung ist nicht nur für die EU wichtig, sondern es ist auch für Bürgerinnen und Bürger beider Staaten und für die ganze Welt bedeutend, dass zwei Nachbarstaaten sich vertragen. Im besten Fall, dass zwei Nachbarstaaten mit Respekt miteinander umgehen und gut kooperieren. Dazu kommt noch, dass die kleine Minderheit mitgliedsstaatlicher Regierungen in Europa, die die Republik Kosovo nicht anerkennen, sich leider teils an Serbien orientieren. Das heißt: Serbien blockiert nicht nur die Entwicklung und Chancen der eigenen Bürgerinnen und Bürger, sondern auch den Prozess der Republik Kosovo, des jüngsten Staates Europas. Es müsste aber der Normalzustand sein. Serbien ist der größte Staat des Westbalkan und wirtschaftlich am stärksten. Rund 50 Prozent der Wertschöpfung am Westbalkan kommen aus Serbien. Serbien könnte sprichwörtlich wie das Deutschland des Westbalkans sein, also wie ein Wirtschaftsmotor. Leider sprechen wir aber viel mehr über die Vergangenheit als über die Zukunft. Mein Appell an Serbinnen und Serben ist, dass es eine kooperative Haltung geben sollte und nicht eine Haltung der Konfrontation, wie bisher seitens der Regierung, sicher nicht seitens aller Bürgerinnen und Bürger. Serbien blockiert sich ganz klar selbst.

KOSMO: Der Kosovo erfüllt alle Benchmarks für die Visaliberalisierung, aber die Frage des visafreien Reisens für Kosovo-Bürger ist noch vom Europäischen Rat abhängig. Die rechten Parteien im EU-Parlament allem voran aus Deutschland und Frankreich sind gegen eine Visaliberalisierung. Was bedeutet das und wann darf mit einer Entscheidung gerechnet werden?

Das Europäische Parlament – Stichwort Fortschritte in Namen der Bürgerinnen und Bürger – hat schon mehrfach dafür gestimmt, dass die Visaliberalisierung umgesetzt wird. Die Kommission hat mehrfach bestätigt, dass die Kriterien dafür erfüllt sind. Sie wird von einer Minderheit mitgliedstaatlicher Regierungen blockiert. Diese haben in der EU noch immer das Einstimmigkeitsprinzip in gewissen Fragen. Leider ist die Republik Kosovo eine außenpolitische Frage, weil der Kosovo noch nicht in der EU ist. Auf dieser Basis kann eine Minderheit, auch ein Mitgliedsstaat, etwas blockieren. Deswegen ist die Mehrheit dieser Minderheit ausgeliefert.

KOSMO: Wie fast ganz Europa verhängte auch der Kosovo Sanktionen gegen Russland wegen des Ukrainekrieges, während Serbien dies natürlich nicht tat. Gefährdet dies den Frieden und die Stabilität am Balkan?

Für mich ist das nicht natürlich, dass sich Serbien nicht an den Sanktionen beteiligt hat. Es sollte selbstverständlich sein. Ich war in den ersten Tagen des Krieges höchst irritiert und schockiert davon, dass tatsächlich ein Westbalkanstaat, nämlich Serbien, sich nicht einreiht. Sanktionen bedeuten unblutige Verteidigung gegen einen blutigen Angriffskrieg, also eine Verteidigungsmaßnahme. Das ist ein riesiger Fortschritt und beschreibt den Status unserer Zivilisation. Die serbische Regierung blockiert die Entwicklung der eigenen Bürgerinnen und Bürger. Die Europäische Union ist der größte Geldgeber in allen sechs Westbalkanstaaten, auch in Serbien. Wenn der Eindruck erweckt wird, das seien Russland, China oder auch die USA, dann ist das falsch. Die USA tun dafür sicherheitspolitisch viel mehr für den Westbalkan als die EU.

KOSMO: Wo befinden sich der Kosovo und Serbien auf dem EU-Weg?

In politischer Hinsicht hat die serbische Regierung ihr Land nun an das Ende der Liste gesetzt. In der politischen Beitrittsfähigkeit ist Serbien das Schlusslicht. Da mag die wirtschaftliche Stärke im Vergleich zu anderen gegeben sein. Die von Europa vertretenen Werte werden von der serbischen Führung leider nicht geteilt. Bosnien und Herzegowina ist aus den bekannten Gründen strukturell das Schlusslicht. Die anderen vier Westbalkan-Staaten sind sehr nah an der Europäischen Union, der Kosovo natürlich am meisten, sowohl in der politischen Struktur als auch im Meinungsbild der Bevölkerung. Im Kosovo ist man auch schon sehr weit auf einem Weg, der für die gesamte Region vielversprechend ist: Gemessen am Lebensalter lebt dort die jüngste Bevölkerung Europas, die allermeisten Menschen sind bildungshungrig und arbeitswillig. Auch weil es kaum tradierte Industrie gibt, ist es umso wichtiger, auf Digitalisierung zu setzen. Der Westbalkan könnte gleichsam zum Silicon Valley Europas werden. Diese Perspektive gibt Zuversicht, dass es nach der Überwindung der irrationalen Konflikte eine blühende Zukunft geben kann.