Die Wiener IS-Rückkehrerin Evelyn T. steht vor Gericht. Nach neun Jahren Odyssee – von der Radikalisierung mit 14 bis zur Internierung im syrischen Camp Roj – droht ihr eine Haftstrafe wegen Terrorismusvorwürfen.
Es ist der 9. April 2025, kurz vor 10:00 Uhr. Im dritten Stock des Straflandesgerichts Wien herrscht angespannte Atmosphäre. Medienpräsenz manifestiert sich in Form von fünf Kameras, die auf die geschlossene Holztür des Verhandlungssaals 303 gerichtet sind. Hier wird die Wiener IS-Rückkehrerin (Islamischer Staat-Rückkehrerin) Evelyn T. vor Gericht erscheinen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung sowie Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation vor. Die Verteidigungsstrategie zeichnet sich bereits ab – Evelyn wird ein Geständnis ablegen.
Nach Abschluss ihrer Pflichtschule begann Evelyns Weg in die Radikalisierung. Mit 14 Jahren, orientierungslos und überfordert, geriet sie durch Vermittlung ihrer Cousine in einen bereits stark radikalisierten Freundeskreis. In dieser Umgebung entwickelte sich Evelyn zu einer streng gläubigen Person. Die Begegnung mit einem charismatischen Mann führte zur islamischen Eheschließung. Der entscheidende Wendepunkt kam, als ihr Ehemann begann, den Islamischen Staat zu thematisieren.
Im April 2015 unternahm Evelyn ihren ersten Versuch, über die Türkei zum IS zu gelangen, wo ihr Mann bereits anwesend war. Die türkischen Behörden verhinderten die Weiterreise am Flughafen Istanbul. Drei Monate später wagte sie einen erneuten Versuch mit dem Reisepass ihrer Schwester. Nach zweimonatigem Aufenthalt in Istanbul kehrte sie am 17. September 2015 nach Österreich zurück, was eine zweiwöchige Inhaftierung zur Folge hatte.
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Weg nach Syrien
Im Juni 2016 realisierte Evelyn schließlich ihre Ausreise nach Syrien zur Vereinigung mit ihrem Ehemann. In Raqqa (damalige Hauptstadt des IS in Syrien) erlebte sie eine gefängnisähnliche Lebenssituation. Die Feststellung ihrer Schwangerschaft verstärkte ihren Wunsch, die Terrororganisation zu verlassen. Am 1. November 2017 ergab sich das Paar den alliierten Streitkräften. Evelyn wurde ins Camp Roj (Internierungslager für IS-Angehörige in Nordsyrien) transferiert, wo sie bis Ende Februar 2025 gemeinsam mit ihrem Sohn interniert war.
Evelyns Schicksal steht exemplarisch für eine kleine Gruppe österreichischer Staatsbürgerinnen. Fünf Frauen aus Österreich schlossen sich bis zum Zusammenbruch des IS-Kalifats 2019 der Terrormiliz an. Lediglich zwei von ihnen kehrten Anfang März nach Österreich zurück. Evelyn und Maria G. waren die letzten österreichischen Staatsangehörigen im Camp Roj. Während Maria zu ihren Familienangehörigen zurückkehren durfte, erfolgte bei Evelyn die unmittelbare Festnahme.
Gerichtsurteil
Kurz nach 13:00 Uhr verkündet das Gericht sein Urteil: zwei Jahre bedingte Haft für Evelyn. Die Richter betonen die Einzigartigkeit des Falles. Die Angeklagte distanziert sich eindeutig von ihrer Vergangenheit: „Ich habe dem IS abgeschworen und will damit nichts mehr zu tun haben.“ Nach dieser Erklärung verlässt sie den Gerichtssaal. Evelyn wird nicht in Haft genommen.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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